Die Union plant eine große Verschärfung der Migrationspolitik und sagt, die Pläne seien juristisch geprüft. Einige Migrationsrecht-Experten haben Bedenken und halten die Vorschläge für rechtswidrig - aber nicht alle.
Die Unionspläne für eine schärfere Asylpolitik sind auch unter Juristen umstritten. Mehrere Rechtsexperten sehen darin einen Verstoß gegen europäisches Recht.
Der Gießener Professor Jürgen Bast, der sich mit internationalem Migrations- und Flüchtlingsrecht befasst, hält dauerhafte Kontrollen an den deutschen Grenzen nicht für zulässig. "Das Einführen von Grenzkontrollen darf nur vorübergehend und bei einer konkreten Gefahrenlage erfolgen", sagt er. Die Vorschläge der CDU seien so konstruiert, dass sie die europäische Regelungsebene schlicht ignorierten. "Der ganze Ansatz zielt genau entgegen bestimmter Grundaussagen der EU-Verträge." Recht könne man zwar ändern, aber dann müsse das auf europäischer Ebene geschehen. "Wir sind nicht irgendwo an irgendeiner Außengrenze, sondern wir sind mitten in der Europäischen Union", machte Bast deutlich. "Da gibt es keine geschlossenen Grenzen und keine Abweisung an denselben. So ist die Rechtslage."
Unter anderem will die Union mit ihrem Antrag dauerhafte Grenzkontrollen zu allen Nachbarländern sowie ein Einreiseverbot für alle Menschen ohne gültige Einreisedokumenten durchsetzen - auch wenn sie ein Schutzgesuch äußern. SPD und Grüne halten Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) vor, damit teils gegen Verfassung und Europarecht zu verstoßen. Der rechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Günter Krings, wies dies zurück: Die Forderungen seien rechtlich geprüft worden.
Einreiserecht oft nicht auf Anhieb erkennbar
Ob jemand das Recht hat, einzureisen, sei an der Grenze oft nicht auf Anhieb zu erkennen, sagt der Vorsitzende des Ausschusses Migrationsrecht im Deutschen Anwaltverein, Thomas Oberhäuser. So habe der EuGH etwa schon entschieden, dass Minderjährige nicht zurückgeschickt werden dürften. "Das heißt, man muss an der Grenze zumindest feststellen: Sind es Minderjährige oder nicht?" Das sei aber nicht Aufgabe der Bundespolizei.
Auch die Absichten, mit denen eine Person die Grenze überquert, können für ihr Einreiserecht entscheidend sein, so Oberhäuser. Diese müssten folglich geprüft werden. "Es ist Aufgabe der Ausländerbehörden vor Ort, solche Fragen zu beantworten." Eine pauschale Zurückweisung an der Grenze, wie von Merz gefordert, sei daher rechtswidrig, sagt Oberhäuser. "Das ist offensichtlich mit Unionsrecht unvereinbar, was da gefordert wird."
Stopp im Eilverfahren?
Bast betonte, wenn jemand an der Grenze einen Anspruch auf Schutz geltend mache, müsse ein Asylverfahren durchgeführt werden. Welcher EU-Staat dafür zuständig ist, werde über die sogenannte Dublin-Verordnung ermittelt. Für die Dauer der Prüfung dürfe man einreisen und habe ein provisorisches Aufenthaltsrecht. Eine einseitige Zurückweisung schutzsuchender Migranten und Migrantinnen sei daher europarechtlich unzulässig.
Wenn jemand illegal einreist und keinen Schutz sucht, ist Bast zufolge das Land zuständig, in dem die Person angetroffen wird. Es gebe in manchen Grenzregionen Absprachen zwischen den Staaten, dass es anders läuft. Aber ein Mitgliedsstaat dürfe nicht einfach seine Lasten anderen aufbürden. Das aber sei heruntergebrochen die Logik der CDU-Vorschläge. Mit Blick auf die anderen EU-Staaten sagte Bast: "Das werden die erstens nicht lustig finden, aber es ist ja auch einfach rechtswidrig." Nach seiner Einschätzung müssten Verwaltungsgerichte das in Eilverfahren stoppen. "Noch bevor das dann in einem längeren Verfahren auch der EuGH sagt."
Anders sieht das der ehemalige Präsident des BVerfG, Hans-Jürgen Papier. "Ich habe schon seit geraumer Zeit die Ansicht vertreten, dass eine solche Zurückweisung an den deutschen Binnengrenzen ohne weiteres zulässig ist", sagte Papier am Freitag der Welt. Das Asylgesetz sage ganz klar: Ausländer, die aus sicheren Drittstaaten einreisen, seien zurückzuweisen. Ein EU-Mitgliedsstaat könne nicht Kraft Europarechts gezwungen sein, Personen die Einreise zu gestatten, auch wenn die Bundesrepublik für einen Asylantrag nicht zuständig oder dieser offensichtlich aussichtslos sei. "Europarecht kann und darf eine solche rigorose Einschränkung der deutschen Souveränität gar nicht anordnen", so Papier.
Gefahr für EU-Wertesystem
Professor Winfried Kluth von der Forschungsstelle Migrationsrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg nannte Merz' Vorschläge einen fundamentalen Affront gegen das geltende Recht. Erlaubt sei eine Abweichung vom Unionsrecht zur Gefahrenabwehr. Das setze aber eine entsprechende Gefahrenlage voraus - "also dass der Staat nicht mehr funktionsfähig ist, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung - und zwar im Staat insgesamt - nicht aufrechterhalten werden kann", sagte Kluth.
Die Pläne verstoßen aus seiner Sicht auch gegen den Grundgedanken der Genfer Flüchtlingskonvention, dass die Lasten im Flüchtlingsrecht geteilt werden sollen. Wenn jetzt Deutschland, das mit Frankreich die meisten Flüchtlinge in Europa aufnehme, sich verweigere, dann gebe es einen Dominoeffekt, sagte Kluth, der auch Vorsitzender des Sachverständigenrats für Integration und Migration ist. Das könne weitreichende Folgen auf das Flüchtlingsrecht und den humanitären Schutz insgesamt haben.
Politisch könne man das diskutieren, und viele Menschen fänden die Vorschläge spontan gut. "Aber man muss sich als Staat auch über die Folgen für das etablierte System im Klaren werden, wenn man eben mit so einer Forderung an die Öffentlichkeit tritt." Letztlich wäre es aus seiner Sicht das Ende eines gemeinsamen europäischen Asylsystems.
"Und das hat dann ja auch zur Konsequenz, dass letztendlich ein wichtiger Grundanker der Europäischen Union ins Rutschen kommt, weil das humanitäre Bekenntnis in diesem Bereich ein wichtiger Teil des europäischen Wertesystems ist, also keine Marginalie."
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
Fritzsch/Haefeli, Zurückweisungen von Asylbewerbern an den deutschen Binnengrenzen, NVwZ 2024, 468;