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Bürgermeister und Aufsichtsrat: Was geht vor?

BVerwG
Ein Ober­bür­ger­meis­ter sitzt im Auf­sichts­rat eines Un­ter­neh­mens, an dem die Ge­mein­de be­tei­ligt ist. Wie ist das Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen sei­ner Be­richts­pflicht ge­gen­über dem Ge­mein­de­rat und sei­ner ge­sell­schafts­recht­li­chen Ver­schwie­gen­heits­pflicht zu lösen? Das BVer­wG gibt Aus­kunft.

Mehrere Fraktionen im Stadtrat von Mönchengladbach begehrten vom Oberbürgermeister Einsicht in Unterlagen zur Aufsichtsratssitzung eines börsennotierten Unternehmens, an dem die Stadt mittelbar beteiligt war; der Oberbürgermeister war zudem Mitglied in dessen Aufsichtsrat. Er lehnte die begehrte Einsichtnahme ab, schließlich sei er als Aufsichtsratsmitglied gesellschaftsrechtlich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Zu Unrecht, wie nun das BVerwG klarstellte (Urteil vom 18.09.2024 – 8 C 3.23).

Schon das OVG hatte in zweiter Instanz zwar kein unbegrenztes Akteneinsichtsrecht der Fraktionen gesehen, jedoch befunden, dass die gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitspflicht des Oberbürgermeisters als Aufsichtsratsmitglied durch § 394 AktG gegenüber den Fraktionen suspendiert sei. Danach unterliegen Aufsichtsratsmitglieder, die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat eines Unternehmens gewählt oder entsandt worden sind, hinsichtlich der Berichte, die sie der Gebietskörperschaft zu erstatten haben, keiner Verschwiegenheitspflicht. Die notwendige Berichtspflicht ergebe sich aus § 113 Abs. 5 S. 1 GO NRW, meinte das OVG. Nach dieser Vorschrift haben die Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinde den Rat über alle Angelegenheiten von besonderer Bedeutung frühzeitig zu unterrichten. Die Vorschrift ist für das OVG mit §§ 394 f. AktG vereinbar: Letzteren lasse sich nicht entnehmen, dass Bestimmungen, mit denen eine Berichtspflicht begründet werde, ein besonderes Maß an Vertraulichkeit gewährleisten müssten und das bei einer größeren Zahl von Berichtsempfängerinnen und -empfängern (etwa dem gesamten Rat einer Gemeinde) von vornherein nicht der Fall sei.

Der Bürgermeister legte gegen das Urteil Revision ein: Einer Berichtspflicht an den Rat stehe nicht nur die Zahl der Berichtsempfängerinnen und -empfänger, sondern auch die vielfach enge Beziehung zwischen Ratsmitgliedern, Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen entgegen. Zudem habe die Bundesregierung im Gesetzgebungsverfahren zur Aktienrechtsnovelle 2016 eine Ausweitung der Ausnahmen von der Verschwiegenheitspflicht kritisch gesehen.

Berichtsempfänger müssen keine Gewähr für besondere Vertraulichkeit bieten

Doch seine Argumente überzeugten auch das BVerwG nicht: Die Freistellung von der Verschwiegenheitspflicht nach § 394 S. 1 AktG sei nicht an die Gewähr besonderer Vertraulichkeit des Berichtsempfängers gebunden, so das BVerwG. Die Vorschrift schließe den Rat einer Gemeinde als Berichtsempfänger nicht aus. Für diese Erkenntnis deklinierten die Leipziger Richterinnen und Richter den gesamten Kanon der Gesetzesauslegung durch.

Der Wortlaut des § 394 S. 1 AktG biete für die Auslegung, dass die Verschwiegenheitspflicht eines Aufsichtsratsmitglieds bei bestehender Berichtspflicht nur dann entfalle, wenn seitens des Berichtsempfängers ein besonderes Maß an Vertraulichkeit gewährleistet sei, keinen Anknüpfungspunkt, befand das BVerwG. Der Verlauf der Beratungen im Rechtsausschuss lege indes nahe, dass nach den Vorstellungen des Gesetzgebers der Rat einer Gemeinde vom Kreis möglicher Berichtsempfänger im Sinne des § 394 Satz 1 AktG umfasst sein sollte. Der Entstehungsgeschichte der Aktienrechtsnovelle 2016, mit der § 394 S. 3 AktG eingefügt worden sei, lasse sich nichts Abweichendes entnehmen. Der Kreis möglicher Berichtsempfänger sei dabei nicht thematisiert worden.

Auch Systematik, Sinn und Zweck sprechen für Berichtspflicht

Die Systematik der §§ 394 f. AktG stehe der aus ihrer Entstehungsgeschichte gewonnenen Auslegung nicht entgegen, so der Senat. § 394 S. 1 AktG spricht hinsichtlich der Adressaten der Berichtspflicht von Berichten, "die sie [die Aufsichtsratsmitglieder] der Gebietskörperschaft zu erstatten haben". Die konkreten Adressaten würden durch das Organisationsrecht der Gebietskörperschaft bestimmt. Wegen des systematischen Zusammenhangs mit § 395 Abs. 1 AktG dürfe der Bericht nur an diejenigen Personen gerichtet werden , die die Beteiligung der Gebietskörperschaft verwalten oder prüfen. § 395 Abs. 1 AktG erweitere die Verschwiegenheitspflicht des § 394 AktG auf diejenigen Personen, die nicht selbst Organmitglieder, sondern aus Sicht der AG als Dritte zu betrachten sind. Das BVerwG sieht das Ziel der Vorschrift darin, die aktienrechtliche Verschwiegenheitspflicht auf diejenigen Personen zu erstrecken, die mit Berichten nach § 394 AktG im Rahmen einer ordnungsgemäßen Beteiligungsverwaltung bestimmungsgemäß in Berührung kommen.

Schließlich führen die Leipziger Richterinnen und Richter auch Sinn und Zweck des § 394 S. 1 AktG für die vom OVG vorgenommene Auslegung der Vorschrift an. Geregelt werde die Pflichtenkollision zwischen der gesellschaftsrechtlichen Verschwiegenheitspflicht und dem öffentlichen Interesse der Gebietskörperschaft an einer effektiven Beteiligungsverwaltung. Die §§ 394, 395 AktG seien Sonderbestimmungen zugunsten der öffentlichen Hand, die die gesellschaftsrechtlichen Verschwiegenheitsgrundsätze der besonderen Situation öffentlicher Unternehmensbeteiligungen anpassen sollen. Das mit ihnen verfolgte Regelungsziel, dem Interesse der Gebietskörperschaft an einer effektiven Beteiligungsverwaltung und -prüfung Rechnung zu tragen, schließe die Wahrnehmung demokratischer Kontrolle durch das zuständige Gemeindeorgan ein. Andernfalls – so das BVerwG – käme das durch § 394 AktG anerkannte Informationsinteresse der Gebietskörperschaft nicht ausreichend zur Geltung (Urteil vom 18.09.2024 - 8 C 3.23).

Weiterführende Links

Aus der Datenbank beck-online

Weirauch, Die gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitsverpflichtung im Aufsichtsrat öffentlicher Unternehmen, DÖV 2024, 146

OVG Münster, Gesellschaftsrechtliche Verschwiegenheitspflicht nur in Ausnahmefällen bei Beteiligung öffentlicher Hand, NZG 2023, 660 (Vorinstanz)

Ganzer/Tremml, Die Verschwiegenheitspflicht der Aufsichtsratsmitglieder einer kommunalen Eigengesellschaft in der Rechtsform einer mitbestimmten GmbH – dargestellt anhand der Rechtslage in Bayern, GewA 2010, 141

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