Redaktion beck-aktuell, Dr. Hendrik Wieduwilt
ARD und ZDF wollen Bundeskanzler Scholz mit Friedrich Merz debattieren lassen, doch wenn es nach den Umfragewerten geht, wäre Alice Weidel die größere Konkurrentin für den CDU-Chef. Sebastian Roßner erklärt, warum die Sender bei ihrer Auswahl nun eine neue Komponente berücksichtigen können.
beck-aktuell: Vor dem TV-Duell zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und CDU-Chef Friedrich Merz zeichnet sich juristischer Streit ab: Robert Habeck möchte ebenfalls in dieses Format und hat ein eigentlich geplantes Duell mit Alice Weidel von der AfD abgesagt. Sein Team argumentiert, ARD und ZDF griffen mit ihrer Entscheidung, Habeck gegen Weidel antreten zu lassen, in den Wahlkampf ein. Das Duell müsse aber die Realität der Regierungsoptionen abbilden. Die AfD will indes ein Triell mit Weidel, Merz und Scholz. Herr Dr. Roßner, wie frei sind die Sender eigentlich dabei, ein solches Duell personell zusammenzustellen?
Roßner: Die Sender, jedenfalls der öffentlich-rechtliche Rundfunk, sind nicht nur durch die Rundfunkfreiheit in der Freiheit ihrer Sendungen geschützt, sondern eben auch an die Chancengleichheit der politischen Parteien gebunden. Das heißt, diese beiden verfassungsrechtlichen Positionen müssen zum Ausgleich gebracht werden. Die Sender müssen dazu ein redaktionelles Konzept vorlegen, das abstrakt bestimmt, wer in einer Sendung aufgrund welcher Kriterien teilnehmen darf. Dieses Konzept darf die Chancengleichheit der Parteien nicht evident verletzen.
Ein typisches Konzept für eine solche Diskussionsrunde wäre etwa, Vertreter der Parteien einzuladen, die im Bundestag vertreten sind. Das ist insofern schwierig, als es nur auf eine vergangene Entscheidung des Wählers rekurriert. Bei den Kanzlerkandidaten-Duellen, bzw. -Triellen war bisher das Kriterium, dass man die aussichtsreichsten Kandidaten einlud – also diejenigen, die eine reelle Chance hatten, tatsächlich Kanzler zu werden.
beck-aktuell: Guido Westerwelle ist ja auch mal in einem Wahlkampf als Kanzlerkandidat der FDP aufgetreten, wenn auch vielleicht mit ein bisschen Ironie. Die Partei zielte zu der Zeit auf 18%, also kein Ergebnis, mit dem man wirklich Kanzler wird. Aber er wollte auch bei den TV-Veranstaltungen dabei sein und ist damit auf die Nase gefallen, oder?
Roßner: Das ist korrekt. Damals hat sich die FDP durch mehrere Instanzen geklagt und ist dann letzten Endes vor dem BVerfG gescheitert. Das Gericht sagte, das redaktionelle Konzept des Senders, nach dem man nur die aussichtsreichsten Kandidaten eingeladen hatte, sei korrekt gewesen. Man muss dazu sagen, dass diese ganze Idee des Kanzlerkandidaten-Duells – und das war vielleicht auch der Ausgangspunkt der Beschwerden der FDP damals – im Grunde genommen ein bisschen abweicht von dem, was bei der Wahl eigentlich passiert. Denn man wählt ja den Bundestag, nicht den Kanzler. Insofern kann man sich fragen, ob ein Duell überhaupt eine gute Form ist, aber es hat natürlich einen hohen journalistischen Reiz.
"Wahlkampf-Debatten mit der AfD sind noch Neuland"
beck-aktuell: Absolut, und der Reiz wächst, weil wir einen immer stärker personalisierten Wahlkampf erleben. Nun kann man sich streiten, wer das zu verantworten hat, aber es liegt ja eine gewisse Ironie darin, denn die Verfassung sieht eben nicht vor, dass wir einen Kanzler oder eine Kanzlerin wählen. In den aktuellen Umfragen liegt die AfD zurzeit auf Platz zwei, doch ging es bisher eher darum, ob die Grünen in die Diskussionsrunde kommen. Was ist denn nun ausschlaggebend? Die numerischen Chancen oder die politischen Chancen, sprich die versprochene Brandmauer?
Roßner: Das ist ein bisschen Neuland. Bisher war die Aussicht auf Erfolg an der Wahlurne ausschlaggebend bei der Bewertung solcher Konzepte der Rundfunkanstalten. Man hat also auf die vergangenen Wahlergebnisse und die aktuellen Umfragen geschaut und daraus abgeleitet, wer einzuladen war. Jetzt haben wir eine Besonderheit, weil die anderen Parteien nicht mit der AfD zusammenarbeiten wollen. Das wird nicht nur bekundet, sondern ist bislang auch so praktiziert worden. Damit hätte Alice Weidel nur eine Chance aufs Kanzleramt, wenn die AfD die absolute Mehrheit der Sitze im Bundestag erringen würde, was unwahrscheinlich ist. Insofern ist dieses Kriterium der politischen Chancen nicht von der Hand zu weisen und wird zu berücksichtigen sein.
beck-aktuell: Man könnte es ein wenig böswillig mit der Situation in der Union vergleichen, wo Markus Söder knallhart und Friedrich Merz etwas weniger deutlich sagen, dass es mit den Grünen nichts werden könne. Wobei man hier wohl damit rechnen muss, dass sie sich noch einmal umentscheiden, wenn die Macht zum Greifen nah ist…
Roßner: Schauen wir doch einfach in die Praxis: Es gibt bereits schwarz-grüne Zusammenarbeit, etwa in der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Das sind auch zwei sehr bedeutende Verbände in ihren Parteien. Die Praxis zeigt also, dass es schwarz-grüne Kooperationen gibt, rot-grüne sowieso. Insofern haben die Grünen eine andere Position im Parteienspektrum als es die AfD hat, die nach wie vor ein Außenseiter im politischen System ist. Ich würde daher sagen, dass man auf das tatsächlich feststellbare Verhalten der Parteien abstellen muss und nicht nur auf die wahlkampftaktisch motivierten Äußerungen einzelner Spitzenpolitiker. Zudem gibt es auch keine Abgrenzungsbeschlüsse seitens der Parteitage von CDU oder CSU in Bezug auf die Grünen.
"Wildcard" für Sahra Wagenknecht?
beck-aktuell: Nun bekommt vielleicht Sahra Wagenknecht eine "Wildcard", denn nachdem Habeck das Duell mit Weidel abgesagt hat, kündigte sie an, dass sie für ein Gespräch mit der AfD-Chefin bereitstehe. Dürften die Sender so ein Duell stattfinden lassen, obwohl es doch nach den Umfragen eher auf ein Duell zwischen Habeck und Weidel hinauslaufen müsste?
Roßner: Mir fehlt ein bisschen die Fantasie, wie das redaktionelle Konzept aussehen könnte, das abstrakt formuliert dafür sorgen würde, dass die Chefin des BSW dort teilnähme. Das BSW hat zwar den Umfragen nach sehr gute Chancen, in den Bundestag einzuziehen, aber für eine Kanzlermehrheit wird es aller Voraussicht nach nicht reichen.
Diese Äußerungen von Frau Wagenknecht sind natürlich politisch geschickt, sie bringt sich damit selbst ins Spiel. Aber das kommt nicht ernsthaft in Betracht. Man könnte natürlich überlegen, zum Modell der Elefantenrunde zurückzukehren. Da wäre Frau Wagenknecht ebenso dabei wie Frau Weidel, aber das ist eben ein anderes Format.
beck-aktuell: Wie würde man so einen Anspruch eigentlich vor Gericht durchsetzen?
Roßner: Der normale Weg wäre, vor dem zuständigen Verwaltungsgericht einen Antrag zu stellen – in diesem Fall wahrscheinlich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren –, um den Sender zu verpflichten, die Teilnahme des eigenen Kandidaten zu erlauben. Dann ginge es im verwaltungsgerichtlichen Instanzenzug weiter.
beck-aktuell: Wäre es auch noch möglich, eine einstweilige Anordnung beim BVerfG zu beantragen?
Roßner: Ja, das ist denkbar. Hier könnte man die Verletzung von verfassungsmäßigen Rechten der Partei geltend machen. Aber man wird abwarten müssen, ob es dazu kommt. Das hängt davon ab, wie die Verwaltungsgerichte entscheiden.
beck-aktuell: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Dr. Roßner!
Dr. Sebastian Roßner ist Rechtsanwalt und berät in verschiedenen Bereichen des Öffentlichen Rechts, vor allem im Staats- und Verfassungsrecht und im Recht der Politik, etwa im Parteienrecht.
Die Fragen stellte Dr. Hendrik Wieduwilt, Rechtsanwalt, Kolumnist und Co-Host von "Gerechtigkeit & Loseblatt - Die Woche im Recht", dem Podcast von NJW und beck-aktuell. Das Gespräch ist auch in der aktuellen Folge 35 zu hören.
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
BVerfG, "TV-Duell" der Kanzlerkandidaten, NJW 2002, 2939
Hahn-Lorber/Roßner, TV-Duell ohne Herausforderer, NVwZ 2011, 471