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Schwäbischer Erfindungsgeist

Professor (Yeditepe Univ. Istanbul) Dr. Rolf Gutmann, Schorndorf

18/2023

Editorial 18-2023Aus Tübingen erreichen uns viele Vorstellungen von modernem Stadtmanagement. Die grundsätzliche Bestätigung der Verpackungssteuer als örtlicher Verbrauchsteuer ist ein großer Schritt zum Ziel der Abfallvermeidung hin. Kassiert allerdings hat das BVerwG (NVwZ 2023, 1406, in diesem Heft) die Tübinger Satzung in zwei Punkten: die Obergrenze von € 1,50 pro Mahlzeit sei unbestimmt. Die Steuer darf also auch höher sein. Kassiert wurde weiter das in § 8 der Satzung vorgesehene Recht, jederzeit Geschäftsräume zu betreten. Eine entsprechende Befugnis widerspricht nämlich Art. 8 EMRK (EGMR NJW 2010, 2109) und den durch Art. 13 GG gesetzten Schranken (BVerfG NJW 1997, 2163). Die Satzung überschritt deshalb den Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen.

Doch kommen Grenzüberschreitungen zur Erlangung legitimer Ziele in Tübingen öfter vor. So geriet OB Boris Palmer in die öffentliche Kritik, nachdem er eine nächtliche Auseinandersetzung mit einem Studenten durch ein Bußgeldverfahren abschließen wollte.

Eine Grenzüberschreitung erfolgte auch im Migrationsrecht. Da hatte sich die Verwaltung eine Entlastung der Ausländerbehörde vorgestellt und durch Allgemeinverfügung bestimmt:

1. Es wird festgestellt, dass die Fortgeltungswirkung des § 81 IV 1 AufenthG im Falle einer entsprechenden Antragsstellung vor dem Ablauf der befristeten Aufenthaltserlaubnis für alle im Stadtgebiet Tübingen mit Hauptwohnsitz wohnhaften ausländischen Staatsangehörigen besteht.

2. Die Fortgeltungswirkung des § 81 IV 3 AufenthG wird im Falle eines Ablaufs der befristeten Aufenthaltserlaubnis vom Inkrafttreten dieser Allgemeinverfügung bis einschließlich 31.1.2024 mit sofortiger Wirkung für alle im Stadtgebiet Tübingen mit Hauptwohnsitz wohnhaften ausländischen Staatsangehörigen angeordnet. Schengen-Visa sind davon ausgenommen.

Aufgrund hoher Fallzahlen bei gleichzeitig reduzierter Personalkapazität könne das Ausländeramt es derzeit nicht leisten, bei Anträgen auf Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltstiteln rechtzeitig zu entscheiden und in allen Fällen Fiktionsbescheinigungen auszustellen. Die Stadtverwaltung habe deshalb festgelegt, dass ablaufende Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt des Ablaufs bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde mitsamt aller Nebenbestimmungen fortgelten – auch dann, wenn der Antrag erst nach Ablauf des Aufenthaltstitels gestellt werde und das Ausländeramt noch keine Fiktionsbescheinigung ausgestellt habe. Sie nütze damit den gesetzlichen Ermessensspielraum aus.

Ärgerlich nur, dass sich dieser vorgebliche Ermessensspielraum auf Tübingen beschränkte. Tatsächlich erfordert § 81 IV 3 AufenthG eine Einzelfallentscheidung. Verlässt ein derart fiktiv rechtmäßig gestellter Ausländer das Tübinger Stadtgebiet, endet die als Ortsrecht hergestellte Fiktionswirkung. Bei der Ausreise am Flughafen sollten sich Betroffene auf eine Strafanzeige gefasst machen und darauf einrichten, dass sie trotz Fiktionswirkung auf Grund rechtzeitigen Verlängerungsantrags nicht wieder einreisen dürfen. Schon wenn sie in Reutlingen angetroffen wurden, bestand die Gefahr, in Abschiebungshaft genommen zu werden. Die Lösung war deshalb sparsam, aber nur in Tübingen. Andererseits aber auch rechtswidrig, so dass die wackeren Schwaben nun vom Regierungspräsidium Tübingen gestoppt wurden.

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