Der Bundesjustizminister hat um Entlassung gebeten. Marco Buschmann stellt sich hinter seinen geschassten FDP-Kollegen Lindner und zeigt sich besorgt über den Zustand Deutschlands. An zwei Projekten seiner Amtszeit hängt sein Herz besonders. Sein Nachfolger wird wohl Verkehrsminister Volker Wissing.*
Nach der Entlassung von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) durch den Bundeskanzler am Mittwochabend hat auch Bundesjustizminister Marco Buschmann den Bundeskanzler offiziell um seine Entlassung gebeten. In einer Erklärung, die der FDP-Politiker am Donnerstag veröffentlichte, stellte der 47-Jährige sich hinter seinen Parteikollegen Lindner.
Er teile dessen Skepsis gegenüber der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch im Koalitionsausschuss vorgeschlagenen Aussetzung der Schuldenbremse, so der noch amtierende Bundesjustizminister. Er könne auch Scholz‘ Vorgehen nach dem Scheitern der Ampel nicht nachvollziehen. Buschmann sieht Deutschland vor großen Herausforderungen, außen- und sicherheitspolitisch, aber auch ökonomisch.
Die derzeitige Stagnation der Wirtschaft beschleunige die Zentrifugalkräfte der Gesellschaft. Der promovierte Jurist fürchtet Verteilungskämpfe, beklagt eine Verrohung der Debattenkultur und spart zum Abschied nicht mit großen Worten. "Es droht uns eine Zeit der Wölfe, in der zunehmend wieder das Hobbessche Wort vom 'homo homini lupus' gilt. Das muss auch einen Justizminister umtreiben", so Buschmann. Zu seiner Amtszeit zieht der FDP-Politiker eine positive Bilanz, nicht zuletzt in Sachen Digitalisierung der Justiz und Entbürokratisierung. Er ruft dazu auf, vor allem zwei begonnene Projekte nicht der Diskontinuität anheimfallen zu lassen.
Buschmann teilt Bedenken gegen Aussetzung der Schuldenbremse
Lindner habe mit seinem in der vergangenen Woche bekanntgewordenen Wirtschaftspapier Vorschläge gemacht, die "auf viel Zustimmung in Wirtschaft und Wissenschaft gestoßen" seien, erklärt Buschmann. Das Papier, das - auch in Anlehnung an ein Wirtschaftspapier des damaligen FDP-Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff, das im Jahr 1982 zum Ende der sozialliberalen Koalition aus SPD und FDP führte – schnell als "Scheidungspapier" für die Ampel-Koalition bezeichnet wurde, sah unter anderem vor, das Erreichen der Klimaziele zu verschieben und Sozialausgaben einzuschränken.
In der Sitzung des Koalitionsausschusses vom Mittwochabend habe der Bundeskanzler dann seinerseits Maßnahmen vorgeschlagen, die unter anderem eine Aussetzung der Schuldenbremse beinhalteten und darauf bestanden, dass Lindner sich bereiterklären solle, dem politisch zuzustimmen. Das entspricht den Schilderungen von Olaf Scholz in seiner Presseerklärung vom Mittwochabend. Scholz erklärte, sich – vor allem mit Blick auf den Ukrainekrieg – auf eine Notlage im Sinne von Art. 115 Abs. 2 S. 6 GG berufen zu wollen, die eine Aussetzung der Schuldenbremse rechtfertigen kann.
Buschmann teilte nun mit, er teile Lindners Skepsis gegenüber der Idee: "Mir erscheint schon der Veranlassungszusammenhang zwischen der Begründung einer Haushaltsnotlage und den damit zu finanzierenden Maßnahmen nicht plausibel", keinesfalls könne eine solche Entscheidung ohne jede seriöse Prüfung erfolgen.
Lindners Vorschlag, mangels Konsens in dieser Frage eine vorgezogene Bundestagswahl anzustreben, habe der Kanzler ausgeschlagen und stattdessen selbst die Koalition aufgekündigt. "Warum der Bundeskanzler den geordneten Weg zu Neuwahlen ausgeschlagen hat, um sodann selbst die Koalition aufzukündigen und in völlig unklaren Verhältnissen Neuwahlen anzustreben, erschließt sich mir nicht", erklärte Buschmann. "Daher sah sich der Bundesfinanzminister meiner Ansicht nach völlig zu Recht außer Stande, dem Wunsch des Bundeskanzlers zu entsprechen."
Buschmann sieht den Wohlstand Deutschlands in Gefahr und prophezeite "brutale Verteilungskämpfe" bei der Ressourcen-Verteilung. Wirtschaftlich stehe das Land vor großen Herausforderungen, so der ehemalige Wirtschaftsanwalt, der früher für die Kanzlei White & Case tätig war. Die Gesellschaft laufe Gefahr, "auf den Pfad einer Nullsummen- oder gar Schrumpf-Logik abzugleiten". Die Verrohung der Debattenkultur in den letzten Jahren falle nicht zufällig in eine Zeit wirtschaftlicher Rückschläge, so Buschmann. "In einem solchen Umfeld gedeihen die Prinzipien des Rechts und der Humanität nicht gut."
"In der Rechtspolitik vieles gelungen"
Buschmann, der als harter Arbeiter mit Hang zum Mikromanagement gilt und auch seinen Leuten dem Vernehmen nach viel abverlangt haben soll, bedankt sich bei den politischen Partnern, aber auch bei seinem Team für die Zusammenarbeit der vergangenen Jahre mit einem gewissen Humor. Die hochqualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ministerium hätten ihn "mit offenen Armen empfangen - und ich darf sagen, dass ich diese Arme immer gut ausgelastet habe", erklärte der Politiker, der dafür bekannt dafür ist, keinen Alkohol zu trinken und in seiner Freizeit mindestens semiprofessionell elektronische Musik zu produzieren. In den vergangenen drei Jahren sei in der Rechtspolitik vieles gelungen.
Die Corona-Maßnahmen hätten nur so lange gedauert, wie sie nötig gewesen seien, der Schutz der Bürgerrechte sei "stets Leitmotiv der rechtspolitischen Arbeit" geblieben, ob nun bei der Vorratsdatenspeicherung, der Chat-Kontrolle oder dem Schutz der Wohnung vor heimlichen Durchsuchungen, so der scheidende FDP-Minister.
Rechtspolitisch sei Deutschland "gleich mehrfach auf der Höhe der Zeit" angekommen, meint der gebürtige Gelsenkirchener und erinnert an die Abschaffung des § 219a StGB, der es Ärztinnen und Ärzten weitgehend verbot, über Schwangerschaftsabbrüche zu informieren, die Reform der Ersatzfreiheitsstrafe und das neue Namensrecht.
Resilienz des BVerfG absichern
Weiter lobte Buschmann die seines Erachtens fortschreitende Digitalisierung der Justiz. "Mit einer Fülle von Maßnahmen haben wir materielles Recht und Prozessrecht digitalisiert – einschließlich einer Grundgesetzänderung, die die digitale Verkündung von Gesetzen ermöglicht." Zudem sei der Grundstein für eine digitale Justizcloud gelegt.
Der FDP-Politiker betont "erste Achtungserfolge" in Sachen Bürokratieabbau und lässt es sich auch bei seinem ministeriellen Abschied nicht entgehen, noch einmal in Richtung EU auszuteilen. "Freilich sind viele dieser Achtungserfolge durch einen nicht enden wollenden Strom neuer Regulierungen der EU-Kommission wieder zu Nichte gemacht worden. Der deutsche Gesetzgeber kann gar nicht so schnell Bürokratie abbauen, wie sie die EU derzeit nachproduziert", erklärte Buschmann.
In diesem Kontext hebt er das Projekt "Gebäudetyp E" hervor, das dafür sorgen soll, dass in Deutschland wieder schneller und einfacher gebaut werden kann und am Mittwoch im Kabinett beschlossen wurde. "Es sollte unbedingt noch im Parlament beschlossen werden", mahnt Buschmann.
Ein weiteres Projekt scheint dem scheidenden Minister am Herzen zu liegen. Er weist ausdrücklich auf die von der ehemaligen Ampel-Koalition gemeinsam mit der Union geplante Grundgesetzänderung zur Resilienz des BVerfG hin. Der 47-Jährige bezeichnete es als wichtig, dass dieser "wertvolle Kompromiss", der das Bundesverfassungsgericht besser "gegen Attacken auf seine Unabhängigkeit" absichern soll, nicht der Diskontinuität anheimfällt.
Wissing folgt Buschmann wohl als Justizminister*
Das Amt des Justizministers übernimmt wohl Bundesverkehrsminister Volker Wissing, wie dpa und Medien am Donnerstagnachmittag übereinstimmend berichten. Wissing erklärte am Donnerstagmorgen, bis zur Neuwahl als Verkehrsminister im Amt bleiben zu wollen und verkündete seinen Austritt aus der FDP. Er hatte schon nach dem Bekanntwerden von Linders Wirtschaftspapier, das allseits als Kampfansage an die Koalitionspartner bewertet wurde, in einem Gastbeitrag in der FAZ für einen Verbleib in der Koalition geworben.
Im Laufe des Donnerstags hatte es zunächst unterschiedliche Meldungen über die Nachfolge gegeben. So hatte die FAZ berichtet, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) werde Buschmanns Posten für den Rest der Legislaturperiode übernehmen. Etwas später stritt Regierungssprecher Steffen Hebestreit das jedoch ab. Er teilte mit, die beiden Ressorts könnten nicht in einer Hand liegen. Das Innenministerium ist traditionell primär auf Sicherheit und Ordnung fokussiert, während das Justizministerium sich häufig eher als Bewahrer der Bürgerrechte sieht. Auch Faeser und Buschmann vertraten in der Vergangenheit besonders in Fragen des Datenschutzes und bei den Kompetenzen von Polizei und Sicherheitskräften häufig sehr unterschiedliche Auffassungen. Nachfolger von Christian Lindner als Finanzminister wird der aktuelle Staatssekretär Jörg Kukies.
*Anm. d. Red.: Ergänzt am Tag der Veröffentlichung (14:28 Uhr, Denise Dahmen).