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Nicht jeder darf in die Künstlersozialkasse

Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn
Selbst­stän­di­ge Künst­ler kön­nen unter be­stimm­ten Vor­aus­set­zun­gen die Hälf­te ihrer Bei­trä­ge zur So­zi­al­ver­si­che­rung spa­ren, wenn die Künst­ler­so­zi­al­kas­se (KSK) sie auf­nimmt. Das BSG hat nun näher ge­klärt, wann eine Fla­men­co­tanz­leh­re­rin, eine Tä­to­wie­re­rin und eine Hoch­zeits­red­ne­rin sowie Ze­re­mo­ni­en­lei­te­rin einen An­spruch dar­auf haben – und wann nicht.

Eine Versicherung bei der KSK ist bei selbstständigen Künstlern und Publizisten begehrt: Anders als gewerbliche Selbstständige anderer Branchen müssen sie (sofern die Besserverdiener unter ihnen nicht auf eine private Assekuranz ausweichen) die hohen Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung nicht alleine tragen, sondern bekommen – wie Arbeitnehmer – von der KSK die Hälfte dazu. Die Einrichtung finanziert sich aus einem Zuschuss des Bundes (20%) und aus Sozialabgaben von jenen Unternehmen (30%), die Kunst und Publizistik verwerten. Nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz haben schöpferisch tätige Menschen aus den Bereichen Musik, darstellende Kunst oder bildende Kunst (einschließlich Design) sowie Publizistik – etwa Schriftsteller und Journalisten – einen Anspruch auf Mitgliedschaft.

Flamencolehrerin

Die Kasseler Bundesrichter und -richterinnen verhandelten und urteilten am gestrigen Donnerstag über drei solcher Fälle (Urteile vom 27.06.2024 – B 3 KS 1/22 R, B 3 KS 1/23 R und B 3 KS 2/22 R). Der erste betraf eine Flamencotanzlehrerin, deren Aufnahme die KSK abgelehnt hatte – der Schwerpunkt ihrer Tätigkeit liege im Sportbereich. So wie zunächst schon das SG Oldenburg, anders aber als dann das LSG Niedersachsen-Bremen gab das BSG der Frau recht, die überwiegend von den Einnahmen aus ihrer Flamenco-Schule lebt. Die obersten Sozialrichter stellten fest: Der Flamencotanz ist als Kunst anzuerkennen. Tanz sei als darstellende Kunst mehr als nur Ballett, bedürfe aber als Tanzkunst der Abgrenzung zum Tanzsport, schreiben sie in einer Mitteilung. "Bei diesem steht typischerweise für die Akteure der Wettkampfgedanke im Vordergrund und bestehen Regeln und Wertmaßstäbe aus dem Bereich des Sports." Demgegenüber sei die Tanzkunst vom künstlerischen Anspruch ihrer Akteure geprägt. Auch unterschieden sich Tanzkunst und Tanzsport regelmäßig nach der Art der Veranstaltung, dem Veranstaltungsort und der Zugehörigkeit der Akteure zu einschlägigen Interessengruppen. "Ausgehend hiervon ist Flamenco als ein Bühnentanz Tanzkunst und nicht Tanzsport und auch nicht bloße Traditions- und Brauchtumspflege (Folklore)", heißt es darin weiter.

Dabei umschiffte der 3. Senat eine weitere Klippe: Der wirtschaftliche Schwerpunkt der Tätigkeit liege bei der Klägerin zwar nicht im Bereich der Ausübung von Tanzkunst, sondern in der Lehre. Auch für das Unterrichten von Flamenco als Lehre von Kunst bedürfe es einer Abgrenzung, und zwar von Tanzunterricht und Sporttraining. "Nur weil die Ausübung von Flamenco Kunst sein kann, muss es nicht auch stets dessen Lehre sein", schränkt er ein. Abzugrenzen sei danach, ob es im Schwerpunkt um auf sportliche Fitness zielendes Training oder um die Vermittlung von Fähigkeiten zur eigenen Präsentation von Bühnentanz geht. Um Lehre von Tanzkunst handele es sich zudem dann nicht, wenn statt der aktiven Kunstausübung der Schülerinnen und Schüler vorrangig pädagogische, psycho- oder soziotherapeutische Ziele verfolgt würden. Doch das sei hier nicht gegeben, weil es sich um eine erfahrene Bühnentänzerin handele. Egal ist demnach auch, ob die Teilnehmer Berufstänzer werden wollen oder bloße Laien sind.

Tätowiererin

Erfolg in Kassel hatte auch eine Tätowiererin, deren Aufnahme die KSK ebenfalls abgelehnt hatte. Wie bereits das SG und das LSG Hamburg stellte sich auch die oberste Instanz auf ihre Seite. Sie schaffe mit ihren Tätowierungen bildende Kunst, stellten die Bundesrichter und -richterinnen fest. Zwar begründe Tätowieren grundsätzlich keine Künstlereigenschaft: Nach wie vor sei es trotz einer kreativen Komponente eine handwerkliche Tätigkeit im weiteren Sinne, weil der Schwerpunkt auf dem Einsatz manuell-technischer Fähigkeiten liege. Anders jedoch hier, schreiben sie und schaffen ausdrücklich eine neue weitere Ausnahme. Erforderlich hierfür sei die Zugehörigkeit zu jener Gruppe der Tätowierer, die künstlerisch ausgebildet oder als Künstler anerkannt seien. "Hinzu kommen muss, dass sich bei ihnen zwischen Kunst und Handwerk nicht trennen lässt." Das gelte dann, wenn "das aus zeichnerisch-entwerfender kreativer Tätigkeit entstandene individuelle Motiv und dessen Umsetzung sowie Fertigstellung auf und in der Haut mit eigenschöpferischem Gestaltungsspielraum beziehungsweise kreativen Freiheiten in einem künstlerischen Vorgang verwoben sind" – das Tätowieren also nicht bloß die technische Umsetzung einer kreativen Idee ist. Das Fazit: "Motiv und Tätowierung bilden vielmehr ein Gesamtkunstwerk und bleiben ein Unikat, das nicht weiter produziert und vermarktet wird."

Allerdings warnt der Senat: Dennoch sei nach wie vor nicht jedes Tattoo Kunst und nicht jeder Tätowierer ein Künstler; ein dahingehender Wandel der allgemeinen Verkehrsanschauung lasse sich ungeachtet der deutlich zugenommenen Verbreitung und Akzeptanz von Tätowierungen in der Gesellschaft nicht feststellen. Die Klägerin hingegen schaffe bildende Kunst, denn als diplomierte Designerin gehöre sie der neu definierten Gruppe an. Überdies sei sie nicht nur künstlerisch ausgebildet, sondern war und ist zudem in Künstlerkreisen als Illustratorin und Zeichnerin anerkannt. Sie setze eigene kreative, individuelle Motive in Tattoos "als einem Medium ihrer Ideen" eigenschöpferisch um. "Diese Tattoos bilden ein einheitliches Gesamtkunstwerk, bei dem sich zwischen Motiv und Umsetzung nicht trennen lässt; sie bleiben Unikate und werden nicht seriell verwendet, weder von der Klägerin noch von Dritten."

Hochzeitsrednerin

Pech hatte dagegen eine Hochzeitsrednerin und Zeremonienleiterin bei freien Trauungen, die sowohl von der KSK als auch vom SG Stuttgart und LSG Baden-Württemberg abgewiesen wurde. "Publizist im Sinne der Künstlersozialversicherung ist, wer als Schriftsteller, Journalist oder in ähnlicher Weise publizistisch tätig ist oder Publizistik lehrt", erläutern die Bundesrichter und -richterinnen. Die Klägerin übe aber weder darstellende Kunst aus, noch sei sie publizistisch tätig. Denn das Halten von Reden sei keine künstlerische Tätigkeit. Als darstellende Künstler anerkannt werden können demnach nur dem Schauspieler vergleichbare Sprecher wie Rezitatoren, Märchenerzähler oder Vorleser, "die stimmlich und sprachlich auf die zu sprechenden Werke einwirken und diese nicht unerheblich künstlerisch gestalten". Trotz der eigenschöpferischen Gestaltung der Reden und deren Vielfalt bilde nämlich bei der Frau nicht die Form ihres Vortrags den Schwerpunkt der Tätigkeit; im Vordergrund stünden vielmehr der Gegenstand und Inhalt des anlassbezogenen Wortbeitrags.

Aber auch eine Publizistin sei die Hochzeitsrednerin nicht, denn dafür sei ein Öffentlichkeitsbezug notwendig. "Maßgeblich für eine hinreichende Ähnlichkeit einer Tätigkeit zum Leitbild des Schriftstellers oder Journalisten ist danach nicht nur ein öffentliches Interesse am verbreiteten Werk, sondern das Werk an sich muss sich schon seinem Zweck nach an die Öffentlichkeit wenden." Daran fehlt es dem Urteil zufolge jedoch bei Hochzeitsreden, die anders als Texte von Schriftstellern und Journalisten nicht auf eine Verbreitung in der Öffentlichkeit zielen, sondern sich auch bei freien Trauungen an den Kreis der über das Brautpaar untereinander verbundenen Eingeladenen richten – selbst wenn sie hinterher irgendwo veröffentlicht würden (Urteil vom 27.06.2024 - B 3 KS 1/22 R).

Weiterführende Links

Aus der Datenbank beck-online

LSG Hamburg, Tätowieren als künstlerische Tätigkeit nach dem KSVG, BeckRS 2022, 45979 (Vorinstanz zu Az.: B 3 KS 1/23 R)

LSG Baden-Württemberg, Trauredner und Zeremonienleiter bei Hochzeiten üben keine künstlerische oder publizistische Tätigkeit iSd KSVG aus, BeckRS 2022, 40995 (Vorinstanz zu Az.: B 3 KS 2/22 R)

Müller, Künstlersozialversicherung – Was muss beim Webdesign beachtet werden, wann müssen Abgaben entrichtet werden?, NZS 2014, 325

Fahl, Reichweite der Künstlersozialversicherung – Das Internet und die Künstlersozialabgabe, NZS 2009, 84

Berndt, Die Versicherungspflicht selbständiger Künstler und Publizisten nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG), DStR 2008, 203


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