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Klimaschutz durch den EGMR?

Rechtsanwalt Professor Dr. Ludger Giesberts, LL.M.(LSE), Köln

09/2024

Das Urteil des EGMR vom 9.4.2024 (53600/20) schlägt hohe Wellen: „Historisches Urteil“, „Sensation von Straßburg“ und „Klimaschutz ist Menschenrecht“ sind nur einige Reaktionen. Worum geht es?

Geklagt hat der Verein „Klimaseniorinnen Schweiz“ nebst vier Mitgliedern, die Schweiz zu verpflichten weitere Maßnahmen zur Einhaltung des 1,5° C zu ergreifen. Überraschenderweise hat nur der Verein, nicht aber die dem Verein angehörigen Mitglieder, obsiegt. Den Mitgliedern fehle der hier als Beschwerdebefugnis bezeichnete „Opferstatus“. Einen durch den Klimawandel bedingten kritischen Gesundheitszustand hätten die Mitglieder nicht nachweisen können. Die Klagen portugiesischer Jugendlicher und eines französischen Politikers scheiterten dagegen bereits an der Zulässigkeit. Bemerkenswerterweise spielte der Gesundheitszustand der Mitglieder hinsichtlich der Beschwerdebefugnis des sie vertretenden Vereins keine Rolle. Hier stand wohl – und dies ist zu kritisieren – das Ergebnis, dem Verein Klagerechte zu verleihen, im Vordergrund. Vereine seien nur beschwerdebefugt, weil sie die notwendigen organisatorischen und finanziellen Ressourcen besitzen, um in den komplexen klimabedingten Sachverhalten Rechtsstreitigkeiten führen zu können. Um zu verhindern, dass jeder Verein Klagen kann, müssen drei Anforderungen (rechtmäßiger Sitz, satzungsmäßiger Zweck: Klimaschutz; Repräsentativität) erfüllt sein. Eine Vorfrage war, ob im Ausland emittierte Emissionen, die bei der Produktion von Gütern anfallen, die durch die Schweiz importiert werden, der Schweiz als sogenannte „eingebettete Emissionen“ zuzurechnen seien. Der EGMR bejaht das. Sollte dieser Gedanke richtig sein, was durchaus zu bezweifeln ist, dürfte das erhebliche Auswirkungen haben. Es könnte eine Verantwortlichkeit von Staaten für Emissionen durch bloße Nachfrage nach Import-Produkten aus anderen Ländern durch die Bürger dieser Importstaaten begründet werden. In der weiteren Prüfung geht es vor allem um eine Verletzung von Art. 8 EMRK. Dieses Menschenrecht schützt ua das Privat- und Familienleben von Personen. Mangels gesonderter Regelungen zu Gunsten des Umweltschutzes in der EMRK (anders in der Staatszielbestimmung des Art. 20a GG) statuiert der EGMR, weit über den Wortlaut des Art. 8 EMRK hinaus, die positive Pflicht zum Erlass von legislativen und administrativen Maßnahmen für einen effektiven Schutz von Gesundheit und Leben der Menschen. Statt auf eine normative Herleitung wird auf verfahrensökonomische, letztlich abstrakte rechtspolitische Erwägungen abgestellt. Auch hier dürfte das Ergebnis das Ziel der Auslegung gewesen sein. Der EGMR hält zudem zu staatlichen Schutzpflichten fest: Er differenziert zwei Ermessensebenen, nämlich Ebene 1 „Festlegung von Staatszielen“ und Ebene 2 die „Wahl der Mittel“. Der EGMR macht deutlich, dass beim „Ob“ von Staatszielen im Bereich des Klimaschutzes praktisch kein Ermessen verbleibt. Als Ziel wird dabei die Klimaneutralität bis 2050 gesetzt. Darin klingt an, was auch das BVerfG in seinem Klimabeschluss vom 24.3.2021 (NVwZ 2021, 951) schon anführt: Der Klimawandel sei für künftige Generationen unumkehrbar. Deshalb müsse jetzt gehandelt werden. Schließlich ist noch auf die von deutschen Gerichten bereits mehrfach aufgeworfene Frage einzugehen, ob und inwiefern ein Gericht „zuständig“ ist für von den hier adressierten Fragen des Klimaschutzes, die rechtlich nicht geregelt sind. Deutsche Gerichte haben bislang die klare Tendenz, die Legislative als das dafür kompetente Organ im Verfassungsstaat anzusehen. Gerichte seien dafür mangels normativer Maßgaben nicht die verfassungsrechtlich aufgerufenen Organe. 

 Auf internationaler Ebene, hier vor dem EGMR, stellt sich die Frage allerdings etwas anders. Hier geht es nicht um die Abgrenzung der Kompetenzen von Legislative und Judikative, sondern um die Frage, welche Kompetenzen die Mitgliedstaaten der EMRK dem Gerichtshof übertragen haben. Dies sind zunächst nur einmal die in der Konvention geregelten Zuständigkeiten. Eine Ausweitung seiner Kompetenzen ist dem EGMR grundsätzlich verwehrt, es sei denn, es finden sich dafür im Normenwerk der EMRK Anhaltspunkte, die den Willen der Unterzeichnerstaaten dokumentieren. Den hieran bestehenden Zweifeln des Richters Eicke in seinem abweichenden Votum ist deshalb wohl zuzustimmen. Dieser verweist darauf, dass die sog. „evolutive Auslegung“ der EMRK dann jedenfalls abzulehnen sei, wenn ein Recht bewusst nicht in die EMRK aufgenommen worden sei. Die Übernahme einer Zuständigkeit für eine saubere und gesunde Umwelt sei nämlich von den Vertragsparteien ausdrücklich abgelehnt worden. Abzuwarten bleibt, welche Auswirkungen das Urteil auf die Rechtsprechung in den Mitgliedstaaten der EMRK haben wird. Die Entscheidung dürfte unterschiedlich rezipiert werden. Von kritikloser Übernahme bis deutlicher Ablehnung ist alles vorstellbar.

Rechtsanwalt Professor Dr. Ludger Giesberts, LL.M.(LSE), Köln

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