Dürr verwies auf Schweden, wo das Rentenalter flexibel ist und die Altersrente frühestens ab dem Monat beantragt werden kann, in dem man 63 Jahre alt wird. Auf die Nachfrage, ob er die Menschen ermuntern wolle, auch noch mit 72 oder 73 zu arbeiten, sagte Dürr: "Warum sollte ich jemandem verbieten, mit 70 oder 72 zu arbeiten?" Das wäre geradezu altersdiskriminierend.
Dies provozierte am Montag Kritik von SPD-Chefin Saskia Esken und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Esken brachte zugleich eine mögliche Ausweitung der vor drei Jahren eingeführten Grundrente für eine stärkere Unterstützung ärmerer Rentnerinnen und Rentner ins Spiel. Sie attestierte Dürr "mangelnden Respekt denen gegenüber, die sich krumm gemacht haben" sowie "halb gare oder ganz falsche Informationen". "Nach einem Blick in das Sozialgesetzbuch sollte jedem klar sein: Es gibt keine starre Altersgrenze", sagte Esken der Deutschen Presse-Agentur. "Rente gibt es nur auf Antrag und niemand wird gezwungen, eine Rente zu beantragen."
Die Deutsche Rentenversicherung hat dazu notiert: "Viele Versicherte gehen davon aus, dass sie spätestens mit dem Erreichen ihrer Regelaltersgrenze in Rente gehen müssen. Das stimmt jedoch nicht!" Man könne auch über das reguläre Renteneintrittsalter hinaus arbeiten, so die Rentenversicherung auf ihrer Homepage. Für jeden Monat steige die Höhe der späteren Altersrente. Zusätzlich erhalten Versicherte Zuschläge in Höhe von 0,5% pro Monat.
DGB wirft Dürr "Geisterdebatten" vor
"Auch wer eine gesetzliche Rente bereits in Anspruch nimmt, kann zusätzlich weiterarbeiten, und zwar mit unbegrenztem Verdienst, da wir die bisherigen Hinzuverdienstgrenzen aufgehoben haben", betonte Esken. Viele könnten oder wollten nach jahrzehntelanger harter Arbeit aber nicht weiterarbeiten – "das ist auch ihr gutes Recht", so Esken. Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters werde es mit der SPD nicht geben.
DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel warf Dürr "Geisterdebatten" vor, die mit der Arbeits- und Lebensrealität der Mehrheit der Beschäftigten wenig zu tun hätten. "Auch der immer wieder kehrende Hinweis auf Schweden hört sich an wie "Oh wie schön ist Bullerbü." Viele könnten nicht über das reguläre Renteneintrittsalter arbeiten oder hätten zu miese Arbeitsbedingungen.
Rund 244.000 Rentnerinnen und Rentner müssen in diesem Jahr unterdessen keine Steuern mehr zahlen, weil sie von der Erhöhung des Grundfreibetrags profitieren. Das teilte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums auf Anfrage mit, zuerst hatte die "Süddeutsche Zeitung" berichtet. Der Grundfreibetrag gilt für alle Steuerpflichtigen und bezeichnet das Jahreseinkommen, bis zu dem keine Steuer gezahlt werden muss. Er stieg zum Jahreswechsel um 696 Euro auf 11.604 Euro. Zugleich kämen aber auch 114.000 Rentnerinnen und Rentner wegen der im Juli anstehenden Rentenerhöhung neu als Steuerpflichtige hinzu.
"Zusammen genommen würden somit 2024 rund 6,3 Millionen Menschen in der Kategorie Steuerpflichtige mit Renteneinkünften verbleiben", führte der Sprecher aus. Insgesamt gibt es rund 21 Millionen Rentner in Deutschland. SPD-Chefin Esken bemerkte dazu, im Umkehrschluss bedeute dies, dass rund 15 Millionen Rentnerinnen und Rentner so wenig Rente bekommen, dass sie darauf keine Steuern zahlen müssten – infolge von geringfügiger Tätigkeit oder Niedriglöhnen. Das wertete sie als "starkes Argument", das Rentenniveau wie geplant auch über 2025 hinaus zu stabilisieren.
Esken erwägt Ausweitung der Grundrente
In diesem Zusammenhang brachte Esken aber auch eine Ausweitung der Grundrente ins Spiel. "Wenn wir in der Koalition nach weiteren Möglichkeiten suchen, um die Situation von Menschen mit geringen Renten zu verbessern, dann läge es nahe, die gut bewährte Grundrente zu erhöhen und auszuweiten", sagte die SPD-Chefin. Das Gesetz zur Grundrente war nach langem Streit am 1. Januar 2021 in Kraft getreten. Rund 1,1 Millionen Rentenzahlungen wurden zum Stichtag 31. Dezember 2022 durch einen individuellen Zuschlag aufgestockt. Derzeit werden Pläne von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FPD) für ein Rentenpaket in der Regierung abgestimmt, mit denen das Rentenniveau stabilisiert werden soll. Zur Unterstützung der immer stärker unter demografischen Druck geratenen Rentenkasse will die Regierung bis Mitte der 2030er-Jahre zudem mindestens 200 Milliarden Euro auf dem Kapitalmarkt anlegen.
Dennoch soll der Rentenbeitragssatz von aktuell 18,6% bis zum Jahr 2045 auf 22,3% steigen. Die Rentenausgaben dürften wegen der Alterung der Gesellschaft und der geplanten Festschreibung des Rentenniveaus auf rund 800 Milliarden Euro klettern. Demnächst sollen die Pläne im Kabinett und dann im Bundestag beraten werden.