Die von der Bundesregierung vorgeschlagene Arzneimittelreform zur Verhinderung von Lieferengpässen war gestern Gegenstand einer Anhörung im Gesundheitsausschuss. Die geladenen Experten begrüßten zwar den vorgelegten Gesetzentwurf, sahen aber auch deutlichen Nachbesserungsbedarf. So warnten die Krankenkassen vor steigenden Kosten, die Pharmafirmen beklagten ihrerseits den hohen Kostendruck.
Eckpunkte des ALBVVG
Das sogenannte Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) sieht laut Mitteilung der Bundestagspressestelle Änderungen im Bereich der Festbeträge, Rabattverträge und der Versorgung mit Kinderarzneimitteln vor. Für Kinderarzneimittel gelten künftig weniger strikte Preisregeln, Festbeträge werden abgeschafft. Pharmafirmen können ihre Abgabepreise für solche Arzneimittel einmalig um bis zu 50% des zuletzt geltenden Festbetrages oder Preismoratoriums anheben. Der Entwurf (BT-Drs. 20/6871) sieht außerdem vor, dass Preisinstrumente für versorgungskritische Arzneimittel bei einem Engpass gelockert werden können. Sollte es zu wenige Anbieter geben, können Festbetrag oder Preismoratorium einmalig um 50% angehoben werden. Ferner müssen Antibiotika mit Wirkstoffproduktion in der EU und im Europäischen Wirtschaftsraum bei Ausschreibungen von Kassenverträgen zusätzlich berücksichtigt werden. Auf diese Weise soll die Anbietervielfalt erhöht werden. Die Verfügbarkeit von Arzneimitteln soll zudem mit neuen Austauschregeln für Apotheken gestärkt werden.
Krankenkassen monieren geplante Freistellungsregelungen
Der AOK-Bundesverband erklärte, die Freistellung ganzer Arzneimittelgruppen von Rabattverträgen und Festbeträgen sowie die Anhebung von Preisobergrenzen um bis zu 50% seien kritisch zu hinterfragen. Dem liege die falsche Annahme zugrunde, dass in erster Linie ein zu großer ökonomischer Druck im generischen deutschen Markt ursächlich sei für die Lieferengpässe. Dies sei jedoch kaum nachvollziehbar, denn das Phänomen sei weltweit zu beobachten.
Arzneimittelhersteller verweisen auf Kostendruck
Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) machte laut Mitteilung hingegen den Kostendruck für die Probleme verantwortlich. Dies führe zu einer Marktverengung auf wenige Produzenten und zur Abwanderung von Produktionskapazitäten in Drittländer mit geringeren Produktionskosten. Das nun einsetzende Umdenken sei zu begrüßen, jedoch umfasse die Arzneimittelversorgung nicht nur die Generikaproduktion, sondern auch die Erforschung und Herstellung innovativer Arzneimittel. Ferner machten mehrere Vertreter von Pharmaverbänden deutlich, dass mit den jetzt geplanten Regelungen vermutlich keine nachhaltige Lösung der Engpassproblematik zu erwarten ist. Sie verwiesen auf die unterschiedlichen Abschläge, die in ihrem Zusammenwirken keinen Anreiz darstellten, in Deutschland zu produzieren und zu forschen. Der Verband Progenerika hob die langen Vorlaufzeiten bei der Umstellung der Produktion von Arzneimitteln hervor. Die Vorgaben für die Diversifizierung von Lieferketten müssten für alle Rabattverträge und im gesamten Generikamarkt gelten. Bei versorgungskritischen Arzneimitteln müssten höhere Preise für einen längeren Zeitraum gewährt werden, um Anreize für eine veränderte Produktionsplanung zu schaffen.
Kinder bei der Arzneimittelversorgung nicht benachteiligen
Nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) gehen die Regelungen teilweise nicht weit genug. Nicht nur Antibiotika und Arzneimittel zur Fiebersenkung von Kindern mit den Wirkstoffen Paracetamol und Ibuprofen seien knapp, sondern auch andere Arzneimittel in kindgerechten Darreichungsformen. Der Entwurf sollte breiter gefasst werden, um Kinder bei der Arzneimittelversorgung nicht zu benachteiligen.
Apotheker fordern bessere Honorierung
Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) verwies auf die zusätzliche Belastung für Apotheker, wenn Medikamente nicht lieferbar sind, und forderte eine angemessene Honorierung. Der vorgeschlagene Zuschlag von 50 Cent für den zusätzlichen Aufwand bei Lieferengpässen sei völlig unzureichend. Die ABDA schlug in der Anhörung einen Zuschlag von 21 Euro vor.
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
- Bundesregierung plant Reform der Arzneimittelversorgung gegen Lieferengpässe, FD-MedizinR 2023, 457450
- Gabriel, Vergaberechtliche Anreize für die Herstellung von Arzneimitteln in Europa, PharmR 2022, 253
- Henke, Der Aufbau der Europäischen Gesundheitsunion - Lernen aus der Corona-Krise, MedR 2021, 890
- Nawroth, Lieferengpässe bei Arzneimitteln, PharmR 2020, 181