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Polnische Justizreform vom Dezember 2019 unionsrechtswidrig

EuGH
Im Streit um die pol­ni­sche Jus­tiz­re­form vom De­zem­ber 2019 hat der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof der Klage der EU-Kom­mis­si­on statt­ge­ge­ben. Die Re­form ver­sto­ße gegen das Uni­ons­recht. Der EuGH un­ter­streicht den Wert der Rechts­staat­lich­keit, der der Union als Rechts­ge­mein­schaft schlecht­hin ihr Ge­prä­ge gebe und sich in Grund­sät­zen nie­der­schla­ge, von denen sich die Mit­glied­staa­ten nicht unter Be­ru­fung auf in­ner­staat­li­che Be­stim­mun­gen oder Recht­spre­chung los­sa­gen könn­ten.

Kommission rügte Änderungen vom Dezember 2019

In dem Streit ging es um die polnische Justizreform vom Dezember 2019, die die Kommission ebenfalls wegen Beeinträchtigung der Unabhängigkeit der Richter rügte. Das entsprechende Änderungsgesetz verleihe der - inzwischen abgeschafften – Disziplinarkammer, deren Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet seien, die Befugnis, in Sachen zu entscheiden, die sich unmittelbar auf den Status und die Amtsausübung von Richtern auswirkten. Außerdem verbiete es jedem nationalen Gericht, die Beachtung der Anforderungen der Union in Bezug auf ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht zu überprüfen, und stufe eine solche Überprüfung als Disziplinarvergehen ein. Der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des polnischen Obersten Gerichts werde eine ausschließliche Zuständigkeit für derartige Überprüfungen zuerkannt. Zudem verletze das Änderungsgesetz das Recht auf Privatleben und das Recht auf Schutz personenbezogener Daten, indem es die Richter verpflichte, Angaben zu ihren Aktivitäten in Vereinigungen oder Stiftungen und zu ihrer früheren Mitgliedschaft in einer politischen Partei zu machen. Außerdem sehe es die Veröffentlichung dieser Angaben vor. Während des Verfahrens wurde Polen im Oktober 2021 verurteilt, an die Kommission ein Zwangsgeld von einer Million Euro pro Tag zu zahlen. Im April 2023 wurde der Betrag des Zwangsgelds auf 500.000 Euro pro Tag halbiert. Die Wirkungen dieser Beschlüsse enden mit dem heutigen Urteil, mit dem das Verfahren abgeschlossen wird. Die Verpflichtung Polens, die für die Vergangenheit geschuldeten Zwangsgelder zu zahlen, bleibt davon jedoch unberührt.

EuGH betont Wert der Rechtsstaatlichkeit der Union

Der EuGH hat der Klage stattgegeben. Er unterstreicht zunächst, dass der Wert der Rechtsstaatlichkeit der Union schlechthin ihr Gepräge gebe und sich in rechtlich bindenden Verpflichtungen niederschlage, von denen sich die Mitgliedstaaten nicht unter Berufung auf innerstaatliche Bestimmungen oder Rechtsprechung, einschließlich der verfassungsrechtlichen, lossagen könnten.

EuGH bekräftigt: Disziplinarkammer verstößt gegen EU-Recht

Der EuGH bekräftigt unter Berufung auf seine frühere Rechtsprechung seine Würdigung, dass die Disziplinarkammer des Obersten Gerichts die gebotene Anforderung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht erfülle. Daraus schließt er, dass die bloße Aussicht für die Richter, die das Unionsrecht anzuwenden haben, Gefahr zu laufen, dass eine solche Instanz über Fragen in Bezug auf ihren Status und ihre Amtsausübung entscheiden könne, insbesondere durch ihre Zustimmung dazu, dass sie strafrechtlich zur Verantwortung gezogen oder festgenommen werden, oder durch den Erlass von Entscheidungen über wesentliche Aspekte der für sie geltenden arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Regelung oder der Regelung über ihre Versetzung in den Ruhestand, ihre Unabhängigkeit beeinträchtigen könne.

Hinderung polnischer Gerichte an EuGH-Vorlage EU-rechtswidrig

Ferner ließen sich die gerügten Bestimmungen des Änderungsgesetzes dahin auslegen, dass die für Richter geltende Disziplinarordnung und die darin vorgesehenen Sanktionen eingesetzt werden, um die nationalen Gerichte daran zu hindern, zu beurteilen, ob ein Gericht oder ein Richter den sich aus dem Unionsrecht ergebenden Anforderungen in Bezug auf einen wirksamen Rechtsschutz genügt, und dabei gegebenenfalls den Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen. Die so vom polnischen Gesetzgeber erlassenen Maßnahmen seien mit den Garantien hinsichtlich des Zugangs zu einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht unvereinbar. Denn diese Garantien implizierten, dass die nationalen Gerichte unter bestimmten Umständen zu überprüfen haben, ob sie selbst, die ihnen angehörenden Richter oder andere Richter oder Gerichte den im Unionsrecht vorgesehenen Anforderungen genügen.

Monopolistische Kontrolle eines wirksamen Rechtsschutzes mit EU-Recht unvereinbar

Ferner verstoße es gegen das Unionsrecht, dass mit dem Änderungsgesetz die Zuständigkeit zur Überprüfung der Beachtung der wesentlichen Anforderungen in Bezug auf einen wirksamen Rechtsschutz einer einzigen nationalen Instanz (nämlich der Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts) übertragen werden. Die Beachtung dieser Anforderungen müsse nämlich quer durch den gesamten sachlichen Anwendungsbereich des Unionsrechts und vor allen nationalen Gerichten, die mit in diesen Bereich fallenden Sachen befasst seien, gewährleistet werden. Die durch das Änderungsgesetz eingeführte monopolistische Kontrolle trage indessen in Verbindung mit der Einführung der oben genannten Verbote und Disziplinarvergehen dazu bei, das im Unionsrecht verankerte Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsschutz noch weiter zu schwächen.

Offenlegungspflichten verletzen Recht auf Achtung des Privatlebens

Außerdem verletzten die nationalen Bestimmungen, die die Richter verpflichteten, eine schriftliche Erklärung mit Angaben zu ihrer etwaigen Mitgliedschaft in einem Verein, einer Stiftung ohne Gewinnzweck oder einer politischen Partei vorzulegen, und die Veröffentlichung dieser Angaben im Internet vorsähen, die Grundrechte der betreffenden Richter auf Schutz personenbezogener Daten und auf Achtung des Privatlebens. Die Veröffentlichung der Angaben zu einer früheren Mitgliedschaft in einer politischen Partei im Internet sei im vorliegenden Fall nicht geeignet, das angeführte Ziel zu erreichen, das in einer Verstärkung der Unparteilichkeit der Richter bestehe. Was die Angaben zur Mitgliedschaft der Richter in Vereinen oder Stiftungen ohne Gewinnzweck betreffe, so könnten daraus die religiösen, politischen oder weltanschaulichen Überzeugungen der Richter hervorgehen. Ihre Veröffentlichung im Internet könnte es Personen, die sich aus nicht mit dem angeführten Ziel von allgemeinem Interesse zusammenhängenden Gründen über die persönliche Situation des betreffenden Richters Kenntnis verschaffen wollten, erlauben, frei auf diese Angaben zuzugreifen. Angesichts des besonderen Kontexts der mit dem Änderungsgesetz eingeführten Maßnahmen sei eine solche Veröffentlichung im Internet im Übrigen geeignet, die Richter der Gefahr einer unzulässigen Stigmatisierung auszusetzen, indem ihre Wahrnehmung sowohl durch die einzelnen ihrer Gerichtsbarkeit unterstehenden Personen als auch durch die allgemeine Öffentlichkeit in nicht gerechtfertigter Weise beeinträchtigt werde (Urt. v. 05.06.2023 - C-204/21).

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