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Rückforderung von Corona-Soforthilfen war rechtswidrig

OVG Münster
Im Streit um (Teil-)Rück­for­de­run­gen von Co­ro­na-So­fort­hil­fen hat das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Müns­ter die Auf­he­bung meh­re­rer Be­schei­de durch das Ver­wal­tungs­ge­richt Düs­sel­dorf im Er­geb­nis be­stä­tigt. Die Be­schei­de seien rechts­wid­rig ge­we­sen. Das Land könne aber neue Be­schei­de er­las­sen und über­zahl­te Mit­tel, die nicht dazu ge­dient hät­ten, eine fi­nan­zi­el­le Not­la­ge ab­zu­mil­dern, ins­be­son­de­re Fi­nan­zie­rungs­eng­päs­se zu über­brü­cken, zu­rück­for­dern.

Land forderte Corona-Soforthilfen teilweise zurück

Die Kläger, ein Steuerberater, eine Kosmetikstudio-Betreiberin und ein Schnellrestaurant-Betreiber, beantragten im ersten Lockdown beim Land Nordrhein-Westfalen Corona-Soforthilfen. Ihnen wurden jeweils 9.000 Euro als einmalige Pauschale bewilligt und wenig später ausgezahlt. Nachdem die Kläger bezogen auf den dreimonatigen Bewilligungszeitraum Einnahmen und Ausgaben rückgemeldet hatten, ergingen automatisiert Schlussbescheide. Darin wurde ein aus dem elektronischen Rückmeldeformular errechneter "Liquiditätsengpass" festgestellt und die Differenz zwischen diesem und dem ausgezahlten Pauschalbetrag zurückgefordert. Das VG Düsseldorf hob diese Schlussbescheide auf. Das Land legte dagegen jeweils Berufung ein.

OVG: Vorgaben der Bewilligungsbescheide nicht beachtet

Das OVG ist dem nur im Ergebnis gefolgt und hat die Berufungen zurückgewiesen. Die Schlussbescheide seien rechtswidrig und aufzuheben, weil das Land die Vorgaben der Bewilligungsbescheide nicht beachtet habe, die für die endgültige Festsetzung bindend seien. Danach habe die Soforthilfe ausschließlich zur Milderung pandemiebedingter finanzieller Notlagen, insbesondere zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen gedient. Das später vom Land geforderte Rückmeldeverfahren finde in den Bewilligungsbescheiden keine Grundlage. Die darin von den Zuwendungsempfängern verlangten Angaben seien ungeeignet gewesen, um die letztlich jeweils zu belassende Fördersumme unter Berücksichtigung der bindenden Festsetzungen der Bewilligungsbescheide zu bestimmen. In welchem Umfang Fördermittel während des Bewilligungszeitraums tatsächlich im Rahmen der Zweckbindung der Förderung verwendet worden seien, habe dort nicht angegeben werden können. Denn darauf sei es nach dem Rechtsstandpunkt des Landes, das insoweit den Vorgaben des Bundes gefolgt sei, schon nicht angekommen. Zudem seien die Schlussbescheide rechtswidrig, weil sie ohne eine hierfür erforderliche Rechtsgrundlage vollständig durch automatische Einrichtungen erlassen worden seien.

Überzahlte Beträge können aber zurückgefordert werden

Das Land bleibe allerdings berechtigt, die den Empfängern letztlich zustehende Soforthilfe in Form von neu zu erlassenden "Schlussbescheiden" endgültig festzusetzen und die überzahlten Beträge zurückzufordern. Die Corona-Soforthilfe sei als Billigkeitszuschuss in Gestalt einer einmaligen Pauschale bewilligt worden. Trotz missverständlicher Formulierungen in den Bewilligungsbescheiden habe die Bewilligung angesichts der noch unbekannten Entwicklung und Dauer der pandemiebedingten Beschränkungen der Wirtschaft von Anfang an noch klar erkennbar zumindest unter dem Vorbehalt gestanden, ob und in welchem Umfang die bewilligten Finanzmittel für den ausschließlichen Zuwendungszweck benötigt würden. Jeder Empfänger einer Soforthilfezuwendung habe in Nordrhein-Westfalen zwar darauf vertrauen können, dass er keine Mittel zurückzahlen muss, die er während des Bewilligungszeitraums berechtigterweise zur Milderung der finanziellen Notlagen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie oder zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen verwendet hatte.

Kompensation coronabedingter wirtschaftlicher Engpässe, nicht von Umsatzeinbußen

Objektiven Empfängern der Bewilligungsbescheide habe sich aber auch aufdrängen müssen, dass die Soforthilfe vollumfänglich nur zur Kompensation der unmittelbar durch die Corona-Pandemie ausgelösten wirtschaftlichen Engpässe genutzt werden durfte, entsprechende Mittelverwendungen nachzuweisen und bei Einzelfallprüfungen zu belegen sowie nicht zweckentsprechend benötigte Mittel nachträglich zu ermitteln und zurückzuzahlen waren. Den Bewilligungsbescheiden lasse sich hingegen nicht entnehmen, dass sie auch bezogen auf die Berechnungsgrundlagen für die Rückzahlung unter dem Vorbehalt einer noch zu entwickelnden Verwaltungspraxis stehen sollten. Auch wenn in Nordrhein-Westfalen stets die Höchstfördersumme bewilligt worden sei, fänden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Rückzahlung - abweichend vom Bundesprogramm - nur erfolgen musste, wenn dieser Betrag höher war als eine wie auch immer zu bestimmende Umsatzeinbuße. Insoweit trete der offensichtlich nicht gemeinte Wortlaut hinter dem klar erkennbaren Förderzweck zurück.

Zweifel über Umfang der Rückzahlungspflicht gehen zu Lasten des Landes

Allerdings sei unklar geblieben, ob das Land die Rückzahlungspflicht ebenso wie der Bund nur davon abhängig machen wollte, dass die gewährten Mittel (vollständig) zum Ausgleich des eingetretenen Liquiditätsengpasses benötigt worden sind. Nahe liege, dass eine Rückzahlung auch solcher Mittel nicht erfolgen sollte, die zur Milderung der finanziellen Notlagen benötigt wurden. Denn die Überbrückung von Liquiditätsengpässen sei in den Bewilligungsbescheiden und der Erläuterung des Landes im Internet nur beispielhaft erwähnt worden. Soweit durch eine erkennbar irrtümlich verwendete und offensichtlich nicht wörtlich so gemeinte Formulierung des Landes über den Umfang der Rückzahlungspflicht Zweifel verblieben seien, müssten diese zu Lasten des Landes gehen.

Corona-Soforthilfen durften vorübergehend Existenzminimum sichern

Von einem Liquiditätsengpass in Gestalt vorübergehender Zahlungsschwierigkeiten konnten Zuwendungsempfänger laut OVG ausgehen, sobald sie bis zum Ablauf bestehender Zahlungsfristen neben den verbliebenen laufenden Überschüssen keine ausreichenden eigenen Einnahmen - auch nicht aus weiterhin möglichen und tatsächlich abgeschlossenen Kompensationsgeschäften - erzielen konnten, um Zahlungsverpflichtungen ohne Rückgriff auf Rücklagen im Rahmen des "Cashflow" auch ohne staatliche Fördermittel noch rechtzeitig ausgleichen zu können. Sofern das Existenzminimum des Selbstständigen nicht durch Sozialleistungen abgedeckt worden sei, hätten bis zum 01.04.2020, 13:30 Uhr, bewilligte Mittel auch dann eingesetzt werden dürfen, wenn die Umsätze des geförderten Betriebs nicht einmal mehr ausreichten, um dieses Existenzminimum finanzieren zu können. Entgegenstehende Klarstellungen des Bundes seien bereits vor ihrer Veröffentlichung am 30.03.2020 für Nordrhein-Westfalen vom 29.03.2020 bis zum 1.4.2020, 13:30 Uhr, außer Kraft gesetzt worden. Für spätere Bewilligungen sei sowohl in den Kurzfakten des Bundes als auch in den Informationen des Landes bis zum 12.05.2020 übereinstimmend klargestellt worden, dass der Lebensunterhalt einschließlich der Bedarfe für Ernährung, Kleidung, Hausrat etc. sowie der Kosten für Unterkunft und Heizung nicht durch die Soforthilfe, sondern durch Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II abgesichert werden sollte (Urt. v. 17.03.2023 - 4 A 1986/22).

Weiterführende Links

Aus der Datenbank beck-online

  • Gundlach, Die Corona-Soforthilfe als Falle, LKV 2022, 337
  • VG Düsseldorf, Vorläufigkeit eines Verwaltungsaktes, BeckRS 2022, 22431 (Vorinstanz)
  • VG Gelsenkirchen, Rückforderung von Corona-Soforthilfe, BeckRS 2022, 26956
  • VG Trier, Keine Gewährung von Corona-Soforthilfen für Getränkehandel, COVuR 2022, 238
  • VG Köln, Rückforderung von Corona-Soforthilfen, COVuR 2022, 621
  • VG Gießen, Corona-Soforthilfe hilft nicht bei Einnahmeausfällen, sondern ausschließlich bei existenzbedrohenden Liquiditätsengpässen, GewArch 2021, 69

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