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NVwZ Editorial

Catcalling: Erfordernis eines geplanten Straftatbestandes?

Rechtsanwältin Dr. Alexandra Windsberger, Habilitandin Universität Konstanz

Heft 19/2025

Foto der Autorin von NVwZ-Editorial 19/2025 Dr. Alexandra Windsberger

Nach bislang fast ausschließlich medial geführten Debatten, die durch eine Petition („it is 2020, catcalling should be punishable“) befeuert wurden, wird derzeit wieder allerorten vorgetragen, dass ein neuer Straftatbestand für sog. Catcalling eingeführt werden müsse. Auch Bundesjustizministerin Stefanie Hubig spricht sich für eine Kriminalisierung aus und will einen Gesetzesentwurf vorlegen.

Aus Sicht des betroffenen Strafrechts bleiben zwei Grundfragen und ein verfassungsrechtliches Kernproblem: So bedürfte es zunächst für eine Neuregelung überhaupt einer gesetzlichen Regelungslücke. Unbeantwortet ist auch, ob „Catcalling“ strafrechtlich relevantes Verhalten darstellt. Denn bei „Catcalling“ handelt es sich um einen „Containerbegriff“, dessen Implementierung in ein vom verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot geleitetes Strafrecht gar nicht zielführend ist. Dem Begriff unterfallen herabwürdigende sexistische Äußerungen ebenso wie Belästigungen durch obszöne Gesten, Pfiffe, Anstarren, Hinterherlaufen, Kuss- und Schmatzgeräusche. All jene im Einzelfall in einem etwaigen Strafverfahren zu ermittelnden Verhaltensweisen werden über Delikte wie sexuelle Nötigung, sexueller Übergriff, Vergewaltigung, üble Nachrede, Bedrohung, Nachstellung, und sexuelle Belästigung nicht oder eben nur erfasst, wenn sie eine bestimmte Schwelle überschritten haben. Auch eine Beleidigung liegt nur vor, wenn die Äußerung eine entwürdigende, ehrverletzende Bewertung des Opfers enthält. Geschmacklose, übergriffige Attraktivitätsbekundungen oder Geräusche erreichen diese Hürden in der Regel nicht. Für Äußerungen unterhalb jener Schwellen, sexistische Gesten und Geräusche, existiert keine Strafnorm. Das ist richtig und eben kein Problem.

Fragmentarität ist neben Subsidiarität eines der zentralen Charakteristika eines rechtstaatlichen Strafrechtssystems, das eben nicht alle denkbaren Rechtsgüter durch alle möglichen Angriffsarten strafrechtlich schützt. Selbst wenn einer Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsens zu Folge 42 % der Befragten angab, wegen Catcalling Angst vor (sexuellen) Übergriffen zu haben, bildet das aber noch kein Rechtsgut ab. Die Mehrheit der Betroffenen sagten, dass sie die Äußerung ignorierten. Begibt man sich auf die Suche nach Strafgründen jenseits subjektiver Gefühle, kann das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung betroffen sein. Inwieweit Betroffene mittels „Catcalling“ in ihrem Sexualverhalten determiniert werden, ist aber weder empirisch belegt, noch theoretisch gezeigt.

Wenn Menschen auf Grund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung sexistisch belästigt werden, scheint der Ruf nach der ultimativen Ahndung – dem Strafrecht – legitim. Doch das geht mit empfindlichen Freiheitsbeschränkungen einher. Das Normensystem eines liberalen Rechtstaates schränkt die Freiheit seiner Bürger gerade nur da ein, wo es der Schutz elementarster Interessen seiner Bürger zwingend erfordert. Das Strafrecht ist Seismograph des politischen Systems. Verbale sexistische Äußerungen, die den Tatbestand der Nötigung, Bedrohung oder Beleidigung nicht erfüllen, sollten daher straflos bleiben. Die aktuelle Diskussion zu zunehmender Inkriminierung von Übertretungen, zur Wiederherstellung denkbarer Ehrgefühle oder zum Schutz emotionaler Lagen ist mehr als gefährlich. Wer das Strafrecht als Disziplinierungsinstrument missbraucht, versucht damit eigens Werte zu etablieren und Rollenmuster weiter festzuschreiben; Betroffene (zumeist weiblich) werden nicht befähigt, sondern weiter in die schwache Opferrolle gedrängt. Dort, wo das in Rechtsmoralismus mündet, gefährdet es demokratische Grundstrukturen. Dem ist mit allen Kräften der Liberalität entgegenzutreten.

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