Professorin Dr. Sabine Schlacke, Greifswald
21/2023
Von welch elementarer Bedeutung unabhängiger Sachverstand in der Klimapolitik ist, zeigt einmal mehr die Stellungnahme des Expertenrats für Klimafragen vom 22.8.2023, mit der er seiner gesetzlichen Verpflichtung aus § 12 III Nr. 3 KSG nachkommt. Ihr Gegenstand ist der am 13.6.2023 von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf des Klimaschutzprogramms 2023. Die Novellierung des erstmals 2019 vorgelegten Klimaschutzprogramms ist gem. § 9 I 1 KSG iVm § 8 II KSG erforderlich, da die Sektoren Gebäude und Verkehr im Jahr 2021 und 2022 ihre jeweils zulässigen Jahresemissionsmengen überschritten haben. Zusätzlich wäre auch die Vorlage eines Sofortprogramms der jeweils für die Sektoren verantwortlichen Ministerien erforderlich gewesen (vgl. § 8 I KSG), um die Einhaltung der sektoralen Jahresemissionsmengen für die folgenden Jahre sicherzustellen. Allerdings legten weder das Bau- noch das Verkehrsministerium letztlich ein solches vor. Stattdessen soll diese Verpflichtung laut Erklärung der Bundesregierung nun mit den im vorgelegten Klimaschutzprogramm enthaltenen Maßnahmen – u.a. dem Änderungsvorschlag des Gebäudeenergiegesetzes, dem Entwurf des Wärmeplanungsgesetzes oder der Einführung des 49-Euro-Tickets – abgegolten sein. Die Bewertung des vorgelegten Klimaschutzprogramms durch den Expertenrat fällt ernüchternd aus: Zunächst fehlt es für eine valide Beurteilung an einer aktuellen und plausiblen Datengrundlage. Darüber hinaus verbleibt nach Abschätzung des Expertenrats selbst bei konsequenter Umsetzung des Programms eine gravierende Lücke zwischen dem erwartbarem CO2-Äq-Minderungswert und den nach dem KSG bis 2030 zu erreichenden nationalen Klimaschutzzielen. Überdies werde Deutschland auch die in der EU-Klimaschutzverordnung 2018/812 (=Effort-Sharing-Mechanismus) verankerten Reduktionsziele verfehlen und damit gegen Unionsrecht verstoßen. Die Reaktion der Bundesregierung hierauf ist: Sie überführt die Einzelmaßnahmen des Klimaschutzprogrammentwurfs (zB GEG-Entwurf) weitgehend unverändert in das jeweilige Gesetzgebungsverfahren. Die mangelnde Datengrundlage soll durch die Zweite Änderung des Bundes-KSG (BT-Drs. 20/8290) adressiert werden: Ein neuer § 5a KSG-E sieht die Erstellung von Projektionsdaten durch das Umweltbundesamt vor. Die Pflicht zur Vorlage von Sofortprogrammen der verantwortlichen Ministerien bei sektoralen Zielverfehlungen und damit der zentrale Nachsteuerungsmechanismus des KSG 2019 wird abgeschafft. Allerdings sollen die zuständigen Bundesministerien innerhalb von drei Monaten nach der Vorlage der Bewertung der Projektionsdaten durch den Expertenrat Vorschläge für Maßnahmen in den jeweiligen ihrer Verantwortlichkeit unterfallenden Sektoren vorlegen (§ 8 II KSG-E). Eine Sanktionierung der Verfehlung von Sektorzielen für Gebäude und Verkehr kann – nach wie vor – lediglich auf EU-Ebene in Form eines von Vertragsverletzungsverfahren und ggf. Strafzahlungen erfolgen.
Der Expertenrat – ein nach § 11 KSG unabhängiges Sachverständigengremium mit nur fünf Wissenschaftler/innen – hat gute Arbeit geleistet. Das liegt auch daran, dass seine Aufgaben und Zuständigkeiten klar definiert sind. Die Bundesregierung hat auf seine Kritik nur sehr verhalten reagiert. Ob diese Reaktion ausreichend war, um die Klimaziele zu erreichen, kann bezweifelt werden. Deutlich geworden ist, dass ohne unabhängigen wissenschaftlichen Sachverstand diese in noch weitere Ferne rücken. So bleibt zu konstatieren: Vertrauen in die Klimapolitik ist gut, Kontrolle ist besser. Erforderlich ist daher ein Ausbau der wissenschaftlichen Beratung (vgl. den 15 Mitglieder umfassenden EU-Klimarat), nicht ein Rückbau, wie sie u.a. durch Streichung der Wissenschaftsplattform Klimaschutz in § 9 III KSG-E zu befürchten ist.