Mag. Dr. Stefan Eder ist Rechtsanwalt und Partner bei Benn-Ibler Rechtsanwälte GmbH in Wien.
KIR 2025, 1 Die juristische Profession steht generell an einem Wendepunkt. Die Digitalisierung vieler Prozesse verändert schon
seit Jahren Arbeitsprozesse und das Arbeitsbild der Mitarbeiter sowohl in der Justiz als auch in der öffentlichen
Verwaltung, aber auch in Notariaten, Anwaltskanzleien, bei Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und in Unternehmen. Die Anforderungen an die Qualifikationen der Mitarbeiter sowie auch die internen Strukturen und Arbeitspyramiden haben sich entsprechend verändert.
Dieser Prozess wird sich durch Automatisierung und den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) beschleunigen und verstärken.
McKinsey erwartet, dass generative KI traditionelle juristische Aufgaben automatisieren wird und es Juristen daher möglich
sein wird, sich auf kreativere und strategischere Tätigkeiten zu konzentrieren (https://www.mckinsey.com/featured-insights/
in-the-balance/legal-innovation-and-generative-ai-lawyers-emerging-as-pilots-content-creators-and-legal-designers), wobei
sie jedoch auch die Ergebnisse von automatisationsgestützten Anwendungen künftig überwachen und optimieren werden
(müssen). Dies erfordert generell eine Anpassung der juristischen Kenntnisse, um sowohl technologische als auch klassische
juristische Herausforderungen zu meistern.
Die Automatisierung routinemäßiger juristischer Aufgaben, wie etwa Dokumentenprüfung, Vertragsanalyse oder juristischer
Recherche, hat bereits und wird in Zukunft durch Einbindung in juristische Workflows noch mehr klassische Gelegenheiten für
die praktische Ausbildung erheblich reduzieren. In der Vergangenheit konnten Nachwuchsjuristinnen und Nachwuchsjuristen
durch Mitarbeit in Routineaufgaben wertvolle praktische Erfahrungen sammeln und Einblicke in die juristische Praxis
gewinnen. Mit der zunehmenden Übernahme dieser Aufgaben durch KI-Anwendungen verschwinden diese grundlegenden
Ausbildungsformate jedoch.
Gerade Routinetätigkeiten, die oft von jungen Juristen in der Ausbildung „on the job“ erledigt werden und diesen vielseitige
Möglichkeiten zur Sammlung praktischer Erfahrungen bieten, werden durch verlässliche, fehlerfreie und extrem schnelle digitale Anwendungen ersetzt. Bisher haben Anwälte, Notare, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer eine Vielzahl junger
Juristen für Routinetätigkeiten benötigt und somit auch ausgebildet, von denen viele in der Folge in andere Bereiche
(primär zu Unternehmen oder in den öffentlichen Dienst)
abgewandert sind. Gerade die Tätigkeiten dieser jungen
Juristen sind jene, die durch kommende Digitalisierung und
Automatisierung vermehrt ersetzt werden.
Nicht realistische Zukunftsmusik? Keineswegs! Aus eigener
praktischer Arbeit kann berichtet werden, dass die Auswertung von rund 850.000 in einem juristischen Kontext relevanten Dokumenten in Tagen statt in Mannmonaten gelöst
werden kann. Dabei wurden nicht nur sachverhaltsrelevante Fakten erhoben, sondern auch juristisch relevante Zusammenhänge und Verknüpfungen aufgezeigt, die bei traditioneller händischer Auswertung erst mühsam hätten bestimmt werden müssen. Insgesamt ein schnell verfügbares,
hochwertiges Ergebnis. Zugegeben sind derartige Anwendungen aktuell nicht breit verfügbar und befinden sich
noch in der Entwicklungsphase. Die baldige künftige, auch
breitere Verfügbarkeit ist aber absehbar. Technisch sind
dabei allerdings sog. große Sprachmodelle (Large Language Models − LLMs) nur am Rande relevant. Vielmehr
kommt eine Vielzahl etablierter KI-Technologien zum Einsatz, deren Zusammenspiel zu optimieren ist (Stichwort:
„Compound AI“).
Ein Beispiel von mehreren, die sich anführen ließen, zeigt,
dass sich die Arbeitsschwerpunkte von Juristen hin zu vertieftem juristischem Arbeiten und breiterer Nutzung von
Technologien verlagern werden, um das eigene Arbeitsprodukt zu optimieren. Benötigt werden aber nicht Juristen,
die sich als Informatiker betätigen – vielmehr braucht es
neben fundierten juristischen Kenntnissen Ausbildung und
Erfahrung in und mit dem Umgang und der Anwendung
neuer Technologien im juristischen Umfeld und adaptierten Arbeitsprozessen. Juristische Arbeitsprozesse werden
zum Teil interdisziplinärer – der Einsatz moderner Technologie erfordert die Zusammenarbeit mit Linguisten, Informatikern und Statistikern, um die Potenziale entsprechend
zu nutzen.
Dieser Wandel wird erhebliche Herausforderungen für die
juristische Ausbildung mit sich bringen. Traditionelle Ausbildungswege, die es jungen Juristen ermöglichten, juristische Fähigkeiten in der Praxis zu entwickeln, verschwinden
zunehmend bzw. sind sie nur mehr sehr eingeschränkt verfügbar. Gleichzeitig verändern sich aber auch die Anforderungen an juristische Fachkräfte. Diese müssen lernen, in
einem Umfeld mit steigendem technologischem Einsatz zurechtzukommen und zu arbeiten. Um die nächste Generation von Juristen angemessen vorzubereiten, müssen wir daher die Ausbildung von Juristen neu denken und innovative
Ansätze in den Mittelpunkt stellen.
Die doppelte Herausforderung in der
juristischen Ausbildung
Wenn man sich die Dauer von Ausbildungszyklen einerseits
und die übliche Kurve der Beschleunigung im Einsatz digitaler Mittel andererseits vor Augen hält, wird bewusst, dass
nicht viel Zeit bleibt, um Ausbildungssysteme (beginnend
mit der universitären Ausbildung) umzustellen und anzupassen. Es ist richtig, dass wir aktuell lediglich erste Ansätze zur
Automatisierung von rechtlichen Aufgaben sehen. Juristische Workflows werden in der Praxis bislang kaum automatisiert abgebildet. Wenn man aber den Stand der Forschung und Entwicklung mit in Betracht zieht, hat der Prozess, mit dem Digitalisierung und Automatisierung verstärkt
in juristische Berufe Einzug hält, bereits begonnen und wird
sich relativ zügig ausbreiten, da Lösungsansätze sich schnell
verallgemeinern und verbreitern lassen und daher auch bald
skaliert werden.
Zudem verändert sich das Berufsbild juristischer Fachkräfte
grundlegend. Juristen benötigen heute digitale Kompetenzen, die Beherrschung digitaler Werkzeuge sowie ein tiefgehendes Verständnis von Datenmanagement und Automatisierungstechnologien. Die traditionelle Ausbildung, die
auf juristische Argumentation und prozedurales Wissen setzt,
reicht nicht mehr aus. Diese doppelte Herausforderung –
weniger Ausbildungsmöglichkeiten und neue Anforderungen – erfordert dringendes Handeln von Universitäten, Kanzleien und Berufsverbänden.
Wenngleich die deutsche Justizministerkonferenz im Juni
2024 die Bewährtheit der volljuristischen Ausbildung betont
hat und keinen grundlegenden Reformbedarf sieht, erkennt
sie auch, dass besondere Aufmerksamkeit der Digitalisierung,
insbesondere der Vermittlung von IT-Kompetenzen, dem
Einsatz von Legal Tech und KI gelten muss (https://www.mj.
niedersachsen.de/JuMiKo/beschluesse/-228116.html).
Hackathons: Ein neues Modell für
juristisches Training
So stellt sich die Frage, wer künftig im juristischen Bereich
welche Ausbildung leisten und welche Kompetenzen vermitteln wird. Es wird wohl ein guter Teil der zu leistenden
Ausbildung im universitären Bereich verankert sein (müssen).
Einige Universitäten, wie zB die Universität des Saarlandes,
die schon jetzt Kompetenzen und Verhaltensmuster von
Juristen und Informatikern in der Ausbildung verknüpfen,
gehen voran. Auch Berufsverbände werden wohl begleitende Ausbildungen anbieten müssen. Neben dem theoretischen Ansatz wird mit der Relevanz technologischer Aspekte
auch Praxiserfahrung im Umgang mit den Technologien
und deren Nutzung notwendig sein.
Hackathonformate bieten eine attraktive Lösung für die Herausforderungen in Bezug auf technische Aspekte in der
juristischen Ausbildung. Ähnlich wie Moot Courts, die die
Simulation von Verhandlungssituationen für die Vermittlung
prozeduraler und argumentativer Fähigkeiten nutzen, ermöglichen Hackathons praxisnahe Lernerfahrungen in einem strukturierten, kollaborativen Umfeld. Während Moot
Courts jedoch traditionelle juristische Kompetenzen betonen, zielen Hackathons darauf ab, digitale Kompetenzen,
digitale Fähigkeiten und interdisziplinäre Zusammenarbeit
zu fördern. In einem Hackathon arbeiten die Teilnehmer mit ihren Betreuern in Teams an realen Herausforderungen, oft unterstützt von Mentoren und gesponsert von öffentlichen oder
privaten Organisationen, die reale Problemstellungen und
Infrastruktur beisteuern. ZB könnten Teams digitale Werkzeuge zur Automatisierung der Compliance-Überwachung
testen und optimieren, juristische Chatbots entwerfen oder
sich die konkrete Nutzung von Plattformen für das Fallmanagement überlegen. Diese Projekte simulieren die Problemlösung, die in der modernen juristischen Praxis erforderlich ist,
und schlagen eine Brücke zwischen theoretischem Wissen
und professioneller Anwendung.
Hackathons bieten mehrere Vorteile für die juristische Ausbildung:
• Praktische Kompetenzentwicklung: Die Teilnehmer
arbeiten mit digitalen Werkzeugen und Technologien und
lernen, diese auf reale juristische Probleme anzuwenden.
• Relevanz für die Praxis: Die Projekte simulieren nicht
nur berufliche Herausforderungen, sondern bieten auch
Sponsoren und Mentoren die Gelegenheit, Praxiserfahrung
in der Arbeit mit diesen Anwendungen zu gewinnen.
• Interdisziplinäre Zusammenarbeit: Teams aus Studierenden und Fachleuten aus den Bereichen Recht, Informatik
und Linguistik fördern Innovationen und erweitern die Perspektiven der Teilnehmer.
• Engagement von Sponsoren: Die Einbindung öffentlicher und privater Organisationen stellt Ressourcen, Mentoring und realitätsbezogene Themen bereit, die ein praxisnahes Herangehen an die Problemstellungen ermöglichen.
Als Beispiel kann der ReMeP Hackathon „KI für die öffentliche
Verwaltung Hackathon“ iRd kommenden IRIS 2025 Konferenz dienen (https://iris-conferences.eu/). Durch die Integration dieser Formate in das breitere Ökosystem der juristischen Ausbildung können wir sicherstellen, dass künftig
Juristen besser in der Lage sind, die Komplexität des „KI-Zeitalters“ zu meistern.
Fazit
Die Konvergenz von KI und juristischer Praxis erfordert eine
transformative Veränderung (Anpassung) der juristischen
Ausbildung. Hackathons bieten eine skalierbare, innovative
Lösung, die traditionelle Methoden der praxisorientierten
Ausbildung wie Moot Courts ergänzt und die digitale
Kompetenzlücke schließt. Veranstaltungen wie der ReMeP
Hackathon zeigen das Potenzial dieses Formats, Juristen
auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. Es
ist an der Zeit, dass Universitäten, Berufsverbände und
öffentliche Institutionen derartige praxisorientierte Formate
für die Ausbildung hinsichtlich technischer Aspekte als
Methode der juristischen Ausbildung nutzen, um sicherzustellen, dass die nächste Generation von Juristen bereit
ist, in einer sich schnell verändernden Welt erfolgreich zu
sein.