Hintergrund des Verfahrens ist ein Fall aus der Stahlindustrie. Ein ehemaliger Geschäftsführer einer GmbH, der zugleich auch Vorstandsvorsitzender einer AG aus der selben Unternehmensgruppe war, hatte sich von 2002 bis 2015 an einem Preiskartell beteiligt. Das Bundeskartellamt verhängte daraufhin Bußgelder in Höhe von 4,1 Millionen Euro gegen die GmbH und in Höhe von 126.000 Euro gegen den Geschäftsführer persönlich. Die GmbH verlangt nun vom ehemaligen Geschäftsführer die Erstattung des Bußgelds, die AG Ersatz für IT- und Anwaltskosten, die zur Abwehr des Bußgeldes entstanden waren. Auch wollen GmbH und AG festgestellt wissen, dass der Beklagte ihnen alle weiteren Schäden zu ersetzen hat, die aus dem Kartellverstoß folgen.
Das LG gab der Klage nur hinsichtlich des Feststellungsantrags statt, auf dem Bußgeld und den Anwaltskosten blieben die Unternehmen dagegen sitzen. Das bestätigte das OLG und auch der Kartellsenat des BGH scheint ähnlicher Ansicht zu sein, legte aber die Sache nun dem EuGH zur Vorabentscheidung vor (Beschluss vom 11.02.2025 - KZR 74/23). Nach § 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG hafteten Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder, die ihre Obliegenheiten verletzen, der Gesellschaft für den entstandenen Schaden, so der BGH. Die Voraussetzungen hält er hier für erfüllt: Die Beteiligung des Geschäftsführers an dem nach Art. 101 AEUV verbotenen Preiskartell sei eine vorsätzliche Pflichtverletzung. Der GmbH sei durch das Bußgeld auch ein Schaden entstanden.
EuGH soll klären: Wird Abschreckung unter Verstoß gegen EU-Recht vereitelt?
Allerdings könnte der Rückgriff auf das Vermögen des Geschäftsführers Sinn und Zweck der Verbandsbuße widersprechen. Dann könnte eine einschränkende Auslegung des § 43 Abs. 2 GmbHG geboten sein. Ob das der Fall ist, sei umstritten, so die Karlsruher Richter und Richterinnen. Für die Beantwortung der Frage sei auch erheblich, ob das Unionsrecht eine einschränkende Auslegung des § 43 Abs. 2 GmbHG und § 93 Abs. 2 S. 1 AktG gebietet. Die nähere Ausgestaltung der Geldbußen falle zwar in die Kompetenz der Mitgliedstaaten. Nach der Rechtsprechung des EuGH müssten diese aber sicherstellen, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Geldbußen gegen Unternehmen verhängen können, wenn diese vorsätzlich oder fahrlässig gegen das Kartellverbot in Art. 101 AEUV verstoßen.
Mit diesen Geldbußen sollen die Behörden rechtswidrige Handlungen der betreffenden Unternehmen ahnden und sie wie auch andere Wirtschaftsteilnehmer von künftigen Verletzungen der Wettbewerbsregeln des Unionsrechts abschrecken, erläutert der BGH. Diese Abschreckung könnte beeinträchtigt werden, wenn sich die Gesellschaft von der Bußgeldlast vollständig oder teilweise entlasten könnte.
Wie der EuGH bereits zu erkennen gegeben habe, könnte eine Geldbuße sehr viel von ihrer Wirksamkeit einbüßen, wenn das betroffene Unternehmen berechtigt wäre, sie auch nur teilweise steuerlich abzusetzen. Daher stelle sich auch die Frage, ob die Abwälzung der Geldbuße des Unternehmens auf den Geschäftsführer nach Maßgabe gesellschaftsrechtlicher Vorschriften den Zweck der kartellrechtlichen Geldbuße beeinträchtigt.
Tim Willing, Senior Legal Counsel bei Deminor Recovery Services SA, hält die Vorlageentscheidung für nachvollziehbar. Der BGH lasse in seiner Pressemitteilung durchblicken, dass er es für wahrscheinlich halte, dass die einschränkende Auslegung der Haftungstatbestände von Geschäftsleitern bereits aus dem unionsrechtlichen Grundsatz zur Sicherstellung von abschreckenden Kartellgeldbußen gegen Unternehmen geboten sei. "Dies untermauert der BGH durch den Verweis darauf, dass der EuGH bereits eine steuerliche Absetzbarkeit der Bußgeldzahlung als kritisch angesehen hatte. Sollte der EuGH diese Position vertreten, hätte der BGH bereits keinen Freiraum einen Regressanspruch gegenüber Geschäftsleitern zu bejahen", so Willing auf Anfrage von beck-aktuell (Beschluss vom 11.02.2025 - KZR 74/23).
Aus der Datenbank beck-online
LG Düsseldorf, Schadensersatz, Gesellschafter, Mitverschulden, Erstattung, Unternehmen, BeckRS 2021, 62936 (erste Instanz im Ausgangsverfahren)
Lotze/Heyers, Der Bußgeld-Innenregress als kartellrechtliche Vorfrage?, NZKart 2018, 29
Bunte, Regress gegen Mitarbeiter bei kartellrechtlichen Unternehmensgeldbußen, NJW 2018, 123
Eufinger, Die Regresshaftung von Vorstand und Geschäftsführer für Kartellverstöße der Gesellschaft, WM 2015, 1265
Binder/Kraayvanger, Regress der Kapitalgesellschaft bei der Geschäftsleitung für gegen das Unternehmen verhängte Geldbußen BB 2015, 1219
LAG Düsseldorf, Haftung des Geschäftsführers einer GmbH für Kartellrechtsbußen des Unternehmens, NJOZ 2015, 782
Lotze, Haftung von Vorständen und Geschäftsführern für gegen Unternehmen verhängte Kartellbußgelder, NZKart 2014, 162