Dr. Martin Weiss
BFH Beschl. v. 4.2.2025 – VIII R 1/22

§ 2 Abs. 1 S. 2 GewStG ist verfassungskonform dahin auszulegen, dass ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 Alt. 2 EStG nicht als nach § 2 Abs. 1 S. 1 GewStG der Gewerbesteuer unterliegender Gewerbebetrieb gilt (Bestätigung der Rechtsprechung).
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Problemstellung
Bei Personengesellschaften wird die Gewerblichkeit im ertragsteuerlichen Sinne nicht nur anhand der Bedingungen des § 15 Abs. 2 EStG beurteilt. Vielmehr gibt es hier – im Vergleich zum Einzelunternehmer, der hiervon nicht betroffen ist (BFH v. 12.4.2018 – IV R 5/15, DStR 2018, 1421, Rn. 35) – Regelungen zu „fiktiven Gewerblichkeiten“ (§ 15 Abs. 3 EStG), wie etwa die gewerbliche Prägung (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG). Diese sind nach Verneinung der „originären Gewerblichkeit“ des § 15 Abs. 2 EStG zu prüfen („mustergültige Prüfung“ z.B. bei BFH v. 14.7.2016 – IV R 34/13, BStBl. II 2017, 175).
Eine der Wirkungen der Gewerblichkeit der Personengesellschaft ist, dass sich über § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG eine sachliche Gewerbesteuerpflicht einstellt. Diese Gewerbesteuer wird von der Personengesellschaft selbst geschuldet (§ 5 Abs. 1 S. 3 GewStG), sodass die im Entstehungszeitpunkt (§ 18 GewStG) beteiligten Mitunternehmer diese im ökonomischen Ergebnis tragen müssen (BFH v. 14.1.2016 – IV R 5/14, BStBl. II 2016, 875, Rn. 48). Genau diesen Mitunternehmern steht dementsprechend die Steuerermäßigung für erlittene Gewerbesteuer nach § 35 EStG zu, wenn sie natürliche Personen sind (BMF v. 3.11.2016, BStBl. I 2016, 1187, Rn. 28).
Eine fiktive Gewerblichkeit kann sich u.a. über die zweite Alternative des § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 EStG („Aufwärtsinfektion“) einstellen. Dabei bezieht (nach § 4a Abs. 2 Nr. 2 EStG; EStH 15.8 Abs. 5, „Beteiligung an einer gewerblich tätigen Mitunternehmerschaft“) eine Oberpersonengesellschaft gewerbliche Einkünfte aus einer Unterpersonengesellschaft, was auch bei Anwendung des § 15a EStG bei der Unterpersonengesellschaft nach neuerer Rechtsprechung der Fall ist (BFH v. 11.7.2024 – IV R 18/22, DStR 2024, 1923). In diesem Kontext hatte der BFH eine Bagatellgrenze für einkommensteuerliche Zwecke abgelehnt (BFH v. 6.6.2019 – IV R 30/16, BStBl. II 2020, 649), sodass auch eine geringfügige Beteiligung an einer gewerblichen Untergesellschaft zur Abfärbung „nach oben“ führt. Diese Aussage hat sich die Finanzverwaltung zu eigen gemacht (EStH 15.8 Abs. 5, „Bagatellgrenze“, 2. Spstr.).
Allerdings gibt es bei der Gewerbesteuer keinen Konsens: Grundsätzlich führen die fiktiven Gewerblichkeiten des § 15 Abs. 3 EStG auch zu einer sachlichen Gewerbesteuerpflicht unter § 2 Abs. 1 GewStG (GewStH 2.1 Abs. 2, „Umfassender Gewerbebetrieb einer Personengesellschaft“). Eine gewerblich geprägte Personengesellschaft, die ausschließlich Grundbesitz verwaltet, unterliegt somit der Gewerbesteuer, die wiederum durch Anwendung der „erweiterten Kürzung“ im Ergebnis vermieden werden kann (§ 9 Nr. 1 S. 2 ff. GewStG).
Der BFH hat indes in Fällen der zweiten Alternative des § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 EStG die Eigenschaft der Obergesellschaft als Gewerbebetrieb im Sinne des § 2 Abs. 1 GewStG verneint (BFH v. 5.9.2023 – IV R 24/20, DStR 2023, 2491, Rn. 104 ff.; BFH v. 30.11.2023 – IV R 10/21, DStR 2024, 97, Rn. 48 ff.). Insoweit ist die Finanzverwaltung anderer Auffassung (Oberste Finanzbehörden der Länder v. 1.10.2020, DStR 2020, 2252).
Lösung
In seinem Beschluss nach § 126a FGO vom 4.2.2025 hat sich der VIII. Senat jedoch der vom IV. Senat zur Frage der Gewerbesteuer vertretenen Auffassung angeschlossen. Die klagende Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartGmbB) war an einer gewerblichen Kommanditgesellschaft beteiligt, führte aber ansonsten nur steuerberatende Tätigkeiten nach § 18 EStG aus. Einen Gewerbebetrieb im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG hatte bereits das FG Hamburg (Urt. v. 25.2.2021 – 3 K 139/20, BeckRS 2021, 10308) verneint und die Revision nicht zugelassen.
Nach erfolgreicher Nichtzulassungsbeschwerde (§ 116 FGO) der Finanzverwaltung hat sich der VIII. Senat einstimmig (§ 126a FGO) der Rechtsauffassung des FG angeschlossen. Dabei hat es die Auffassung des IV. Senats zur Aufwärtsabfärbung (zweite Alternative des § 15 Abs. 3 Nr. 1 S. 1 EStG) bei ansonsten vermögensverwaltenden Tätigkeiten der Oberpersonengesellschaft bestätigt. Diese Grundsätze seien auch auf das Zusammentreffen mit freiberuflichen Tätigkeiten anzuwenden. Auch in diesem Fall bestehe bei der Oberpersonengesellschaft keine sachliche Gewerbesteuerpflicht nach § 2 Abs. 1 GewStG.
- Die sachliche Gewerbesteuerpflicht kann sich auch „punktuell“ einstellen (§ 18 Abs. 3 UmwStG; GewStH 7.1 Abs. 3, „Vermögensübergang auf eine Personengesellschaft“; Suchanek, DStR 2023, 1382, 1389): Die Klägerin hatte einen Formwechsel aus der Kapitalgesellschaft in die PartGmbB vorgenommen (§ 9 UmwStG). Innerhalb von fünf Jahren nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag (§ 9 S. 3 Hs. 1 UmwStG) hatte ein Mitunternehmer einen Teil seines Mitunternehmeranteils veräußert und damit die Sperrfrist des § 18 Abs. 3 UmwStG verletzt (zur Anwendung auch nach einem Formwechsel BFH v. 14.3.2024 – IV R 20/21, DStR 2024, 995, Rn. 24).
- Die insoweit bestehende „besondere sachliche Gewerbesteuerpflicht“ (BMF 2.1.2025, BStBl. I 2025, 92, Tz. 18.05 ff.) trifft auch ansonsten nicht gewerbesteuerpflichtige Rechtsträger wie die Klägerin (BFH v. 17.7.2013 – X R 40/10, BStBl. II 2013, 883). Sie wirkt jedoch nur für Veräußerungs- oder Aufgabegewinne, nicht für laufende Gewinne (BFH v. 24.9.2015 – IV R 30/13, DStR 2015, 2660). Seit den Ergänzungen der Norm im JStG 2024 betrifft diese sachliche Gewerbesteuerpflicht jedoch auch „mittelbare“ Veräußerungen (BeckOK GewStG/Weiss, 13. Ed. 1.3.2025, GewStG § 7, Rn. 167.13 ff.).
- Besonders negativ ist die Anwendung des § 18 Abs. 3 UmwStG mit Blick auf die Steuerermäßigung nach § 35 EStG: Diese wird insoweit nicht gewährt (§ 35 Abs. 1 S. 3 EStG i.V.m. § 18 Abs. 3 S. 3 UmwStG; BMF 3.11.2016, BStBl. I 2016, 1187, Rn. 13), obwohl auch diese Gewerbesteuer nach § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG von der Personengesellschaft selbst, nicht etwa dem Veräußernden, geschuldet wird (BFH v. 28.2.2013 – IV R 33/09, DStR 2013, 1324).
- Gefahren drohen einer freiberuflichen Personengesellschaft auch mit Blick auf die Erfüllung der Merkmale des § 18 EStG. Sämtliche Gesellschafter müssen als Mitunternehmer die Merkmale eines freien Berufs (Katalogberuf des § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG oder „ähnlicher Beruf“) erfüllen, denn die tatbestandlichen Voraussetzungen der Freiberuflichkeit können nicht von der Personengesellschaft selbst, sondern nur von den Mitunternehmern erfüllt werden (BFH v. 5.9.2023 – VIII R 31/20, BeckRS 2023, 38853, Rn. 35).
- Dies gilt auch in doppelstöckigen Personengesellschaften (BFH v. 4.8.2020 – VIII R 24/17, BStBl. II 2021, 81). Eine Bagatellgrenze wird in diesem Bereich von Seiten der Rechtsprechung gerade nicht anerkannt (BFH v. 5.9.2023 – VIII R 31/20, BeckRS 2023, 38853, Rn. 35 ff.).
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Dr. Martin Weiss, Steuerberater, Fachberater für Internationales Steuerrecht, Dipl.-Kfm., Verlag C.H.BECK, München
BC 4/2025
BC20250421