Dr. Hans-Jürgen Hillmer
Neue Studienergebnisse auf dem Prüfstand

Auch wenn der Fortschritt derzeit langsamer voranschreitet, steht für ein renommiertes Experten-Team fest: Nachhaltigkeit bleibt weiterhin ein zentraler Bestandteil unserer Wirtschaft. So sehen es die Bertelsmann-Stiftung, die Stiftung Mercator und Hamburger Wissenschaftler, die als breit angelegtes Gemeinschaftsprojekt die Neuausgabe des Sustainability Transformation Monitor („Überwachung der Nachhaltigkeitstransformation“) am 19.3.2025 veröffentlicht haben. Kurzfristig sind aber aufgrund politischer Unsicherheiten Bremsspuren unübersehbar. Dennoch sind Mittelständler gut beraten, auch das Gaspedal im Auge zu behalten.
Praxis-Info!
Problemstellung
Mittlerweile ist Nachhaltigkeit zwar in vielen Unternehmen fest verankert – allerdings stockt aktuell die Dynamik. Denn die Politik sorgt nicht nur für unzureichend stabile Rahmenbedingungen, sondern verursacht teilweise auch – Stichworte EU-Omnibus und USA-Rückschritte – massive Instabilitäten. Jüngst vorgestellte Ergebnisse des Sustainability Transformation Monitor 2025 (einer Befragung von knapp 600 Nachhaltigkeitsverantwortlichen der deutschen Wirtschaft, mehr dazu siehe unten) verdeutlichen die Verunsicherung: In der Realwirtschaft geben 71,4% der Befragten an, dass das Thema „Regulatorik“ das Engagement für mehr Nachhaltigkeit ausbremst. In der Finanzbranche sind es sogar 79,4%.
Das wertet Jakob Kunzlmann, Nachhaltigkeitsexperte der Bertelsmann Stiftung, als ein Alarmsignal: „Ohne Planungssicherheit bleibt die Transformation der Wirtschaft auf halbem Weg stecken.“ Allerdings sehen viele der Verantwortlichen nach wie vor die Politik zugleich auch als Treiberin der Transformation. In der Realwirtschaft sagen das 62,1%, im Finanzwesen sogar 70,6%. Weitere wichtige Treiber sind aus Sicht der Unternehmen – genau wie in den Vorjahren – die Jugend und die zukünftigen Mitarbeitenden. Fast drei Viertel der Befragten nennen jeweils diese beiden Gruppen als wichtigsten Ansporn. Was also ist Verantwortlichen im Mittelstand anzuraten?
Lösung
Die Einordnung der aktuell nur noch leiser zu vernehmenden Forderungen, die nachhaltigkeits-getriebene Transformation weiter voranzutreiben, bedarf jenseits persönlicher Einzelmeinungen einer ungeschminkten Bestandsaufnahme, für die der STM 2025 eine wertvolle, weil verschiedene Perspektiven vereinende Basis bietet (zur Beschreibung dieser Basis siehe unten die Informationen im ersten Praxishinweis).
1. Tief verwurzelte Ernüchterung
Und da macht sich tatsächlich erst einmal Ernüchterung breit: In vielen Bereichen der Realwirtschaft stagniert die Transformation der Wirtschaft. Insbesondere bleibt die Umsetzung neuer Maßnahmen hinter den Erwartungen zurück. So haben nur 13% der Unternehmen, die im Vorjahr noch angaben, zukünftig die Aufstellung von konkreten Klimazielen für das eigene Unternehmen zu planen, diese Pläne auch tatsächlich umgesetzt. 77% haben ihre geplanten Maßnahmen nicht umgesetzt, 10% der Unternehmen haben ihre Nachhaltigkeitsziele ganz aufgegeben.
Und auch finanzielle Anreize fehlen in einer Großzahl an Unternehmen weiterhin. So geben 82% der Unternehmen aus der Realwirtschaft und 75% aus der Finanzwirtschaft an, das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen nicht an die Vergütung von Führungskräften oder von anderen relevanten Entscheidungsträgern zu koppeln. Das ist bedenklich, denn durch die Einbindung von nachhaltigkeitsbezogenen KPIs (Key Performance Indicators – wesentliche Leistungskennzahlen) in die Vergütungssysteme würde das Thema „Nachhaltigkeit“ an Steuerungsrelevanz in Unternehmen gewinnen. Als Gründe für die aktuell zurückhaltende Einbindung benennt Manuel Reppmann, am STM beteiligter Experte der Universität Hamburg, u.a. „die Komplexität bei der Auswahl geeigneter Kriterien sowie potenzielle Zielkonflikte mit finanziellen Kennzahlen“.
Festgestellt wurde zudem, dass Nachhaltigkeit an Bedeutung bei Finanzierungsentscheidungen verliert: Für knapp die Hälfte der Unternehmen ist das Thema bei Finanzierungsgesprächen „unwichtig“ oder „eher unwichtig“. Der Anteil der Unternehmen, welche das Thema im Vorjahr noch als wichtig oder sehr wichtig eingeschätzt haben, ist in der gleichen Befragungsgruppe dieses Jahr um 15,3 Prozentpunkte zurückgegangen.
2. Aber auch Lichtblicke
Als Lichtblick sehen die STM-Experten dagegen, dass immer mehr Unternehmen eine eigene Nachhaltigkeitsabteilung besitzen. Ihr Anteil ist in der Realwirtschaft um 15,1 Prozentpunkte auf 51% gestiegen. Allerdings reagieren organisatorische Verankerungen dieser Art auf neue Prioritäten erfahrungsgemäß zeitverzögert.
Bedeutsamer für die Abschätzung der zukünftigen Gewichtung der Nachhaltigkeit dürfte daher sein, dass sich im STM ein wichtiger Fortschritt in der Erhebung von Emissionsdaten offenbart. Mittlerweile kennen knapp 91% der befragten Unternehmen ihren CO2-Fußabdruck zumindest in Grundzügen. Fast 60% erfassen ihre Emissionen sogar bis hin zu Scope-3, also entlang ihrer gesamten Wertschöpfungskette. Dies bedeutet einen signifikanten Anstieg im Vergleich zum Vorjahr und lässt darauf schließen, dass Unternehmen zunehmend auf regulatorische Anforderungen wie die anstehende Berichtspflicht gemäß der Europäischen Richtlinie für Nachhaltigkeitsberichterstattung (Corporate Sustainability Reporting Directive, kurz: CSRD) und EU-Taxonomie reagieren. Das ordnet Laura Marie Edinger-Schons, Professorin für Nachhaltiges Wirtschaften an der Universität Hamburg, so ein: „Unternehmen können nun gezielter Emissionen senken, Risiken steuern und nachhaltige Investitionen erleichtern. Wer seine Daten kennt, kann Nachhaltigkeit nicht nur berichten – sondern strategisch steuern.“
Allerdings überwog aus der Sicht vieler, insbesondere kleinerer Unternehmen der Realwirtschaft bei der CSRD zum Zeitpunkt der Befragung dennoch der Aufwand den Nutzen. „Hier ist die Politik gefordert, insbesondere für den Mittelstand einen Kompromiss zwischen Bürokratieaufwand und aussagekräftigen Berichtspflichten zu finden“, erklärt Philipp Wesemann, verantwortlicher Projektmanager bei der Essener Stiftung Mercator. In der Finanzwirtschaft werden die CSRD-Vorgaben dagegen weiterhin positiv wahrgenommen, da die Banken die Daten der Unternehmen für die Steuerung ihrer Portfolios benötigen. Daher sagen 56,9%, dass für sie die CSRD-Berichterstattung sehr nützlich ist.
Und vielerorts sind auch schon Fakten geschaffen worden: Mehr als die Hälfte der Unternehmen in der Realwirtschaft (51,5%) sagt inzwischen, dass sie bei der Umsetzung der CSRD-Vorgaben gut aufgestellt sind (gegenüber dem Vorjahr ein Plus von 25,8%). „Mehr eigenständige Nachhaltigkeitsabteilungen, die Anbindung an den Vorstand, mehr Routine im Umgang mit den Vorgaben: All das zeigt, dass das Thema Nachhaltigkeit in den Unternehmen tief verankert ist“, betont Fritz Putzhammer, Nachhaltigkeitsexperte der Bertelsmann Stiftung.
3. Nachhaltigkeit bleibt trotz Omnibus-Verfahren ein aktuelles Thema im Mittelstand
Vor allem in vielen kleineren und mittleren Betrieben dürfte in den letzten drei Wochen ein deutliches Aufatmen die Stimmung geprägt haben. Denn mit der Veröffentlichung der Entwürfe des Omnibus-Verfahrens zur CSRD am 26.2.2025 entfällt für sehr viele die Berichtspflicht. Wer aber daraus schließt, das Thema „Nachhaltigkeit“ ad acta legen zu können, riskiert schlicht, den Anschluss zu verpassen. So führt der den BVBC-Zielgruppen nahestehende Managementexperte Prof. Dr. Volker Steinhübel am 18.3.2025 zur Begründung an, dass die Bedeutung von Nachhaltigkeit für Unternehmen über die bloße Erfüllung regulatorischer Anforderungen hinausgeht: „Sie ist vielmehr eine Chance für jedes Unternehmen, denn als strategisches Prinzip bedeutet Nachhaltigkeit u.a.:
- Wettbewerbsvorteile und Innovationskraft,
- Resilienz durch ein verbessertes Risikomanagement,
- Kosteneinsparungen und Effizienz.“
Erfolg misst sich für ihn – und dem sei hier ausdrücklich beigepflichtet – eben nicht nur in Kennzahlen, sondern vor allem in Verantwortung, was ihn zu folgendem Appell bringt: „Eine Unternehmensstrategie, die nicht nur Wachstum, sondern auch Nachhaltigkeit – im Dreiklang von Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft – fokussiert, schafft echte Zukunfts- und damit Lebensfähigkeit.“
Praxishinweise: - An der Online-Befragung für den Sustainability Transformation Monitor 2025 (STM) haben sich 592 Unternehmen beteiligt. Ziel des STM ist es, die Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft evidenzbasiert zu begleiten. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem effektiven Zusammenwirken von Real- und Finanzwirtschaft in der Transformation. Er wird jährlich neu aufgelegt. Der STM ist zum dritten Mal in Kooperation der Bertelsmann Stiftung, der Stiftung Mercator, der Universität Hamburg und der Peer School for Sustainable Development entstanden. Der STM wird von einem breiten Partnernetzwerk unterstützt: dem Rat für Nachhaltige Entwicklung, dem UN Global Compact Netzwerk Deutschland, dem Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW), dem Bundesdeutschen Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management (B.A.U.M.), der Wissenschaftsplattform Sustainable Finance und Corporate Responsibility Interface Center (cric e. V.) – mehr dazu siehe unter https://www.stiftung-mercator.de/de/pressemitteilungen/politische-unsicherheit-bremst-nachhaltige-transformation-der-unternehmen-aus/ sowie zum STM 2023 im BC-Newsletter vom 1.6.2023.
- Einfach wird es allerdings nicht, dem Steinhübel-Appell zu folgen. Schon berichtet die F.A.Z. in einem Leitartikel vom 20.3.2025 auf S. 22, dass die Schweizer Konzerne Roche, Novartis und UBS ihre Diversitätsprogramme an die Dekrete aus Washington anpassen (siehe auch Zeit-Online). Ziele für Frauenquoten wurden offenbar gestrichen. Bei Novartis beteuert man immerhin, dass sich am Einsatz für Chancengleichheit und eine vielfältige Unternehmenskultur nichts geändert habe. Das wird zu beobachten sein.
- Dem für die Bilanzbuchhalter und Controller besonders wichtigen Omnibus-Verfahren (siehe dazu kürzlich die Erläuterungen von Zwirner/Boecker in BC 2025, 96 f., Heft 3) wird eine richtungsweisende Bedeutung zukommen. Denn nur auf den ersten Blick ist daraus ableitbar, dass es die nachhaltigkeitsorientierten Anstrengungen ausbremst. Anforderungsgerecht umgesetzt und angewendet, wird es hingegen genau richtig kommen, um langfristig die Nachhaltigkeitsausrichtung zu stärken, weil dem Phänomen der Bürokratie-Überlastung massiv entgegengewirkt werden kann. Dann werden auch die vielen KMU profitieren, denen seitens der Banken und anderer Finanzierungspartner ohnehin auch in Zukunft eine entsprechende Berichterstattung abverlangt wird. Für alle Beteiligten ermöglicht die Abkehr von überbordenden Informationsanforderungen die Konzentration auf das Wesentliche. Gelingt das, könnte also der „Omnibus“ viele noch zögernde Fahrgäste aufnehmen und am Ende der Nachhaltigkeit zum Durchbruch verhelfen! Da das Nachhaltigkeitsstreben bekanntlich seinen Ursprung in der Forstwirtschaft hat, sei zur Klarheit noch angefügt: Mit dem Omnibus-Verfahren besteht die große Chance, das in vielen Fällen nicht nur sprichwörtliche, sondern reale Hindernis zu beseitigen, den Wald vor lauter Bäumen nicht zu sehen.
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Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld
BC 4/2025
BC20250412