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Rückstellungsbildung im Fall einer gegen den Steuerpflichtigen gerichteten Klage

BC-Redaktion

FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25.9.2012, 3 K 77/11

(Revision eingelegt, Az. BFH: VIII R 45/12; FG-Pressemitteilung vom 20.12.2012)

 

  1. Wird gegen den Steuerpflichtigen gerichtlich ein Anspruch geltend gemacht, hat der Steuerpflichtige eine Rückstellung zu bilden. Auf die Erfolgsaussichten der Klage kommt es nicht an, es sei denn, die Klage ist dem Grunde und/oder der Höhe nach offensichtlich willkürlich oder erkennbar nur zum Schein erhoben worden.
  2. Rückstellungen sind bei der Ermittlung des Übergangsverlusts/Übergangsgewinns wegen Wechsels der Gewinnermittlungsart gewinnerhöhend zu berücksichtigen, selbst wenn ein bei der Rechtsvorgängerin durch die Rückstellungsbildung entstandener Verlust gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG nicht auf die – nunmehr ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelnde – Rechtsnachfolgerin übergeht.

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Im Streitfall war u.a. die Frage zu behandeln, ob es für eine Rückstellungsbildung bei einem gegen den Kaufmann gerichtlich geltend gemachten Anspruch auf die Erfolgsaussichten der Klage ankommt.

Die Klägerin, eine Partnerschaftsgesellschaft, war zum 1.1.2004 durch Verschmelzung im Wege der Neugründung durch Übertragung des Vermögens der O-AG gegründet worden. Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung (nach § 4 Abs. 3 EStG). Die O-AG hatte ihren Gewinn (gemäß § 4 Abs. 1, § 5 EStG) durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt. Im Jahr 2003 war die O-AG von der C-AG auf Rückzahlung eines Beratungshonorars verklagt worden (u.a. wegen Unangemessenheit). Zur Klärung der Frage der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme wurde die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft E beauftragt, ein Gutachten zu erstellen. E gelangte hierbei zu der Einschätzung, der erhobene Anspruch auf Rückzahlung des Beraterhonorars sei unbegründet (keine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines vorgebrachten Anspruchs!).

Im Jahr 2004 schlossen die Klägerin und die C-AG einen Prozessvergleich, in dem sich die Klägerin verpflichtete, einen Betrag in Höhe von 50% der Klageforderung in sieben Raten zu entrichten. In ihrer Gewinnermittlung für 2004 berücksichtigte die Klägerin die infolge des Prozessvergleichs in 2004 gezahlte Rate als laufende Betriebsausgabe (unter der Bezeichnung „Schadensersatz“). In dem für 2004 von ihr ausgewiesenen Gesamthandsverlust war zudem wegen des Wechsels der Gewinnermittlungsart vom Betriebsvermögensvergleich zur Einnahmen-Überschussrechnung ein Übergangsverlust enthalten. Die O-AG hatte in ihrem Jahresabschluss 2003 hinsichtlich der Klage der C-AG keine Rückstellung gebildet. Begründung: Für eine steuerliche Anerkennung der Rückstellung müssten nach ständiger Rechtsprechung bereits „dem Grunde nach“ mehr Gründe für das Bestehen der Verbindlichkeit als gegen das Bestehen der Verbindlichkeit sprechen (Wahrscheinlichkeit von mindestens 50%). Dementsprechend hatte die Klägerin in dem von ihr ermittelten Übergangsverlust eine (gewinnerhöhende) Auflösung einer solchen Rückstellung auch nicht berücksichtigt.

Nach Auffassung des Finanzamts hätte wegen der klageweise geltend gemachten Ansprüche bei der O-AG eine Rückstellung gebildet werden müssen. Der von der Klägerin erklärte Gesamthandsverlust 2004 sei um diesen Betrag zu reduzieren, da sich der Rückstellungsbetrag bei der Ermittlung des Übergangsgewinns bzw. Übergangsverlusts entsprechend gewinnerhöhend auswirke.

 

 

Lösung

Auch nach dem Urteil des FG Schleswig-Holstein ist die Rechtsvorgängerin der Klägerin (der O-AG) in 2003 wegen des anhängigen Zivilprozesses zur Bildung einer Rückstellung verpflichtet gewesen. Die hier streitbefangene Rückstellung ist betrieblich veranlasst und auch in der Vergangenheit (im Jahr 2003) wirtschaftlich verursacht.

Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt es bei einem klageweise geltend gemachten Anspruch für eine Rückstellungsbildung nicht auf die Erfolgsaussichten der Klage an. Im Fall eines im Klagewege gegen den Kaufmann geltend gemachten Anspruchs ist grundsätzlich immer eine Rückstellung zu bilden. Da der Ausgang eines Rechtsstreits regelmäßig unsicher ist, muss infolge der Klageerhebung für das Bestehen einer Verbindlichkeit (ebenso wie für die Inanspruchnahme) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bejaht werden (vgl. auch BFH-Urteil vom 8.11.2000, I R 10/98, BStBl. II 2001, 349). Aufgrund des Vorsichtsprinzips hat der Kaufmann grundsätzlich damit zu rechnen, dass ein für ihn ungünstiges Urteil ergeht, er also den Prozess verliert. Lediglich für Klagen, die dem Grunde und/oder der Höhe nach offensichtlich willkürlich oder erkennbar nur zum Schein gegen den Steuerpflichtigen angestrengt worden sind, ist eine Ausnahme von der Bilanzansatzpflicht zuzulassen.

 

 

Bilanzierungshinweis:

Nach Auffassung des BFH ist eine Rückstellung wegen eines gerichtlich verfolgten Schadensersatzanspruchs sogar so lange nicht aufzulösen, solange über diesen Anspruch nicht endgültig (rechtskräftig) entschieden ist; dies gilt selbst dann, wenn der Steuerpflichtige als Beklagter zunächst in einer Instanz obsiegt hat (vgl. BFH-Urteil vom 27.11.1997, IV R 95/96, BFHE 185, 160, BStBl. II 1998, 375).

 

 

Die bei der Rechtsvorgängerin zu bildende Rückstellung ist im Streitjahr 2004 gewinnerhöhend bei der Klägerin zu berücksichtigen. Entschließt sich der Steuerpflichtige von einer Gewinnermittlungsart zu einer anderen Gewinnermittlungsart überzugehen, ist im Wege der Gewinnkorrektur sicherzustellen, dass betriebliche Vorgänge wie Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben erfasst werden, die ohne diese Korrekturen wegen der unterschiedlichen Systematik des Betriebsvermögensvergleichs einerseits und der Einnahmen-Überschussrechnung andererseits nicht oder aber doppelt erfasst würden (BFH-Urteil vom 22.11.2011, VIII R 5/08, Juris, m.w.N.). Aus diesem Grund können nach dem Übergang zur Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG (Einnahmen-Überschussrechnung) solche Beträge nicht mehr als Betriebsausgaben abgezogen werden, die sich bereits zuvor bei der Gewinnermittlung nach § 5 EStG (Betriebsvermögensvergleich) durch den Ansatz einer entsprechenden Verbindlichkeit oder – wie im Streitfall – Rückstellung erfolgsmindernd ausgewirkt haben (BFH-Urteil vom 4.8.1977, IV R 119/73, BStBl. II 1977, 866).

Auch die Höhe der Rückstellung ist im Streitfall nicht zu beanstanden. Rückstellungen sind handelsrechtlich in Höhe des Betrags anzusetzen, der nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendig ist (§ 253 Abs. 1 Satz 2 HGB a.F.).

 

 

Bilanzierungshinweis:

Das Urteil bezieht sich auf die Rechtslage vor Inkrafttreten des BilMoG (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz) am 29.5.2009. Nach § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB n.F. sind „Rückstellungen in Höhe des nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrages anzusetzen“. Erfüllungsbetrag ist der Betrag, den ein Schuldner zur Erfüllung der dem Grunde nach ungewissen Verbindlichkeit voraussichtlich aufbringen muss; dieser ist zu schätzen. Demnach sind in der Handelsbilanz künftige Kosten- und Preissteigerungen in die Bewertung einzubeziehen.

Der neu eingeführte § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. f EStG legt hingegen fest: Bei der Rückstellungsbewertung bleiben in der Steuerbilanz die Wertverhältnisse am Bilanzstichtag maßgeblich; künftige Kosten- und Preissteigerungen spielen in der steuerlichen Bewertung keine Rolle.

 

 

Die Verpflichtung, die der im Fall eines Rechtsstreits zu bildenden Rückstellung zugrunde liegt, ist in der Regel sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ungewiss. Die Rückstellung ist daher grundsätzlich mit dem eingeklagten Betrag zu bewerten. Etwas anderes ergibt sich im Streitfall auch nicht aus § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. c EStG, wonach künftige Vorteile, die mit der Erfüllung der Verpflichtung voraussichtlich verbunden sein werden, soweit sie nicht als Forderung zu aktivieren sind, bei ihrer Bewertung wertmindernd zu berücksichtigen sind; es fehlt an einer begründeten Aussicht auf den Vorteil, die bloße Möglichkeit eines Vorteils genügt nicht. Den von der Klägerin infolge der zivilgerichtlichen Klage behaupteten Regressanspruch gegen den gemeinsamen Gesellschafter der O-AG und der C-AG hält das Finanzgericht als zu vage, um von einem (werthaltigen) Vorteil ausgehen zu können.

 

 

         (Quelle: Hoffmann, BC 2012, S. 536, Heft 12)

 

Entgegen der Auffassung der Klägerin stellt die gewinnerhöhende Hinzurechnung der streitbefangenen Rückstellung auch keine verfassungswidrige Übermaßbesteuerung dar. Dass die Klägerin (bzw. deren Gesellschafter) die bei der Rechtsvorgängerin gebildete Rückstellung im Streitfall steuerlich selbst nicht nutzen kann (bzw. können), widerspricht nicht den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Gewinnkorrektur beim Wechsel der Gewinnermittlungsart, sondern liegt allein an der gesetzlichen Regelung des § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG, wonach ein verbleibender Verlustvortrag nicht auf den neuen Rechtsträger übergeht. Diese Regelung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere ist sie schon deswegen nicht unverhältnismäßig, weil sie für den Steuerpflichtigen nicht unvermeidbar ist. Die übertragende Körperschaft kann sich dafür entscheiden, ihr Vermögen in ihrer Schlussbilanz nicht mit dem Buchwert, sondern mit einem höheren Wert anzusetzen (Zwischenwert oder gemeiner Wert), und einen dadurch entstehenden Übertragungsgewinn durch Verrechnung mit einem steuerlichen Verlustvortrag nach § 10d EStG steuerfrei stellen.

Entgegen der Auffassung der Klägerin wird auch die steuerliche Identität des Totalgewinns gewahrt, denn die streitbefangene Rückstellung hat sich bereits erfolgsmindernd bei der übertragenden Körperschaft ausgewirkt. Wollte man mit der Klägerin die streitbefangene Rückstellung bei der Ermittlung des Übergangsverlusts/Übergangsgewinns wegen des Wechsels der Gewinnermittlungsart deswegen unberücksichtigt lassen, weil die Klägerin eine Erhöhung des Verlustvortrags der O-AG steuerlich selbst nicht nutzen kann, so würde dies im Ergebnis zu einer Umgehung des § 4 Abs. 2 Satz 2 UmwStG führen.

[Anm. d. Red.]

 

 

BC 1/2013

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