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Steuerbilanzielle Rücklage nach § 6b EStG bei einer Mitunternehmerschaft

Dr. Martin Weiss

BFH Urt. v. 12.7.2023 – X R 14/21

 

1. Das Betriebs-Finanzamt der Mitunternehmerschaft hat über die Einstellung des Veräußerungsgewinns in eine sonderbilanzielle Rücklage nach § 6b EStG zu entscheiden, auch wenn ein Mitunternehmer seinen gesamten Mitunternehmeranteil veräußert hat.

2. Über die später wegen des Ablaufs der Reinvestitionsfrist erforderliche Auflösung einer solchen Rücklage ist nicht im Gewinnfeststellungsverfahren der Mitunternehmerschaft, sondern im Einkommensteuerverfahren des früheren Mitunternehmers zu entscheiden.

3. Wenn die Rücklage nach § 6b EStG im Gewinnfeststellungsverfahren der Mitunternehmerschaft erst aufgrund eines Rechtsbehelfs des Steuerpflichtigen berücksichtigt wird, ermöglicht § 174 Abs. 4 AO für den Veranlagungszeitraum des Ablaufs der Reinvestitionsfrist die Änderung eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids des früheren Mitunternehmers, um den Gewinn aus der Auflösung der Rücklage zu erfassen.


 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

§ 6b EStG stellt eine steuerbilanzielle Regelung zur „Verschiebung“ der ertragsteuerlichen Folgen eines Veräußerungsgewinns dar. Die bei der Veräußerung realisierten stillen Reserven müssen unter den Bedingungen des § 6b EStG nicht sofort versteuert werden. Vielmehr kann der Steuerpflichtige wahlweise auch eine steuerbilanzielle Rücklage bilden, mittels derer er die stillen Reserven auf ein Ersatzwirtschaftsgut übertragen kann. Dabei muss er allerdings innerhalb der Fristen des § 6b Abs. 3 EStG „tätig werden“, also innerhalb der folgenden vier Wirtschaftsjahre, da ansonsten die „Zwangsauflösung“ der Rücklage und ein „Strafzuschlag“ von 6% pro Wirtschaftsjahr (§ 6b Abs. 7 EStG) drohen.

Zudem sind nur bestimmte Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens förderfähig, insbesondere „Grund und Boden“ und „Gebäude“ (§ 6b Abs. 1 EStG). Bei natürlichen Personen sind zudem Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften bis zu einem Betrag von 500.000 € begünstigt (§ 6b Abs. 10 EStG). Sinn und Zweck des § 6b EStG ist es, „die aufgrund bestimmter Veräußerungsvorgänge freiwerdenden stillen Reserven steuerrechtlich nicht sofort zu erfassen, sondern sie auf ein Reinvestitionsgut zu übertragen“ (BFH Urt. v. 14.3.2012 – IV R 6/09, BFH/NV 2012, 112, Rz. 18, BeckRS 2012, 95139).

Die Möglichkeit, durch § 6b EStG stille Reserven intertemporal zu verschieben, steht dabei Steuerpflichtigen mit Gewinneinkünften (§ 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG) offen. Durch § 6c EStG wird das Wahlrecht u.a. auch den Steuerpflichtigen, die ihren Gewinn durch Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, eröffnet (BFH Urt. v. 22.11.2018 – VI R 50/16, BFH/NV 2019, 324, Rz. 17, DStR 2019, 435). Da ein Einzelunternehmer mehrere steuerliche Betriebsvermögen gleichzeitig aufweisen kann (siehe z.B. die Regelung des § 6 Abs. 5 S. 1 EStG), eröffnet die Finanzverwaltung unter Zustimmung des BFH „Übertragungsmöglichkeiten“ für den durch § 6b EStG begünstigten Gewinn (EStR 6b.2 Abs. 6).

Auch der begünstigte Gewinn aus der Veräußerung eines Wirtschaftsguts, das zum Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft gehört, kann „übertragen werden“ (EStR 6b.2 Abs. 7). Dabei ergibt sich die Besonderheit, dass bei einer Mitunternehmerschaft die Regelung des § 6b EStG „mitunternehmerbezogen“ anzuwenden ist (BFH Urt. v. 22.11.2018 – VI R 50/16, BStBl. II 2019, 313, Rn. 22). Der einzelne Mitunternehmer als „Steuerpflichtiger“ im Sinne des § 6b Abs. 1 S. 1 EStG kann daher autonom entscheiden, ob und in welchem Umfang er eine Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG bilden will. Um dazu berechtigt zu sein, muss er allerdings selbst die Bedingungen des § 6b Abs. 4 EStG erfüllen, u.a. bereits mindestens 6 Jahre vor dem Zeitpunkt der Veräußerung ununterbrochen an der Mitunternehmerschaft beteiligt gewesen sein (§ 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 2 EStG). Steuerbilanziell erfolgt die Abbildung einer unterschiedlichen Ausübung des Wahlrechts durch die Gesellschafter dann mithilfe von Ergänzungsbilanzen, durch die die Rücklage dem einzelnen Gesellschafter zugeordnet wird (BFH Urt. v. 18.5.2017 – IV R 36/14, BStBl. II 2017, 905, DStR 2017, 1524). Bei gewerblichen Mitunternehmerschaften (§ 2 Abs. 1 GewStG) ergeben sich dann auch gewerbesteuerliche Implikationen der Wahlrechtsausübung (BeckOK GewStG/Weiss, 7. Ed. 1.9.2023, GewStG § 7 Rn. 250), die allerdings alle Gesellschafter nach ihrer Beteiligungsquote treffen (§ 5 Abs. 1 S. 3 GewStG).

Über einen solchen Fall und seine materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Implikationen hatte der BFH nun erneut zu entscheiden. Der Kläger war bis zum Jahr 2006 an einer Kommanditgesellschaft beteiligt, die Eigentümerin eines bebauten (§ 6b-EStG-fähigen) Grundstücks war. Der durch die Veräußerung seines Mitunternehmeranteils im Jahr 2006 entstandene Gewinn war daher anteilig nach § 6b EStG begünstigt. Die so gebildete Rücklage wurde dann allerdings nicht innerhalb der Fristen des § 6b Abs. 3 EStG auf ein taugliches „Reinvestitionswirtschaftsgut“ (§ 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG) übertragen. Das Finanzamt löste die Rücklage im Veranlagungszeitraum 2010 auf, sodass beim Kläger erhöhte Einkünfte aus Gewerbebetrieb anzusetzen waren.

 

 

Lösung

Der X. Senat des BFH hat die Revision des Klägers als unbegründet zurückgewiesen. Eine Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG kann auch bei einer Veräußerung des Mitunternehmeranteils für die begünstigungsfähigen Wirtschaftsgüter gebildet werden, wie u.a. § 34 Abs. 1 S. 4 EStG zeigt. Diese Rücklage ist in einer Sonderbilanz für den ausgeschiedenen Gesellschafter zu passivieren, und zwar so lange, bis sie entweder tatsächlich auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines tauglichen Reinvestitionsguts übertragen oder „zwangsaufgelöst“ wird. Bei der späteren Auflösung einer solchen Rücklage entstehen nachträgliche gewerbliche Einkünfte des ehemaligen Gesellschafters nach § 24 Nr. 2 EStG, die allerdings nicht mehr Teil des Gewinnfeststellungsverfahrens der Mitunternehmerschaft nach § 179 Abs. 2 AO, § 180 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst. a AO sind.

Gewerbesteuerlich ergeben sich dabei jedenfalls bei natürlichen Personen als Gesellschafter der Personengesellschaft aus der Auflösung der Rücklage keine weiteren Konsequenzen. Veräußerungsgewinne (unmittelbar beteiligter, § 7 S. 2 GewStG) natürlicher Personen sind nicht gewerbesteuerbar (BFH Urt. v. 22.10.2015 – IV R 17/12, BFH/NV 2016, 209, BeckRS 2015, 96085; GewStR 7.1 Abs. 3 S. 1 Nr. 1). Die spätere Auflösung der dabei gebildeten Rücklage nach § 6b EStG ist dann ebenfalls nicht gewerbesteuerlich zu erfassen.

 

 

Praxishinweise:

  • Das Verfahrensrecht der § 6b-Rücklage ist überaus komplex (Weiss, BB 2021, 747, 748). Das Urteil stellt den derzeitigen Stand der Rechtsprechung hierzu übersichtlich dar. Wichtig ist insbesondere, dass die steuerbilanzielle Rücklage nach § 6b EStG nicht „als solche“ – ohne gleichzeitigen Abzug von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Reinvestitionsguts – in einen anderen Betrieb übertragen und in der dortigen Bilanz fortgeführt werden kann (EStR 6b.2 Abs. 8 S. 3; BFH Urt. v. 22.11.2018 – VI R 50/16, BStBl. II 2019, 313, Rn. 21, 24 ff.).
  •  Verfahrensrechtlich wurde die Änderung des Einkommensteuerbescheids 2010 – des Jahres der „Auflösung“ der Rücklage – mit § 174 Abs. 4 AO, der Regelung zu „widerstreitenden Steuerfestsetzungen“, begründet. Der Ablauf der Festsetzungsfrist (§ 169 AO) ist insoweit unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden (§ 174 Abs. 4 S. 3 AO).
  • Die Reinvestitionsfrist von 4 Wirtschaftsjahren des § 6b Abs. 3 S. 2 EStG verlängert sich bei neu hergestellten Gebäuden auf 6 Jahre, wenn mit ihrer Herstellung vor dem Schluss des vierten auf die Bildung der Rücklage folgenden Wirtschaftsjahres begonnen worden ist (§ 6b Abs. 3 S. 3 EStG). Die Anforderungen an den „Beginn der Herstellung“ hat der BFH in seinem Urteil vom 9.7.2019 (X R 7/17, BeckRS 2019, 26106; BC 2019, 567) herausgearbeitet (Weiss, BB 2021, 747, 749).


 

Dr. Martin Weiss, Steuerberater, Fachberater für Internationales Steuerrecht, Dipl.-Kfm., Verlag C.H.BECK, München

 

 

BC 11/2023

BC20231104

 

 

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