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Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG bei Änderung der rechtlichen Beurteilung

BC-Redaktion

OFD Karlsruhe, Verfügung vom 29.2.2016 (USt-Kartei BW § 15a UStG S 7316 Karte 3)

 

1. Allgemeines

Nach Abschn. 15a.2 Abs. 2 Satz 3 Nr. 6 UStAE tritt eine Änderung der nach § 15a Abs. 1 UStG maßgebenden Verhältnisse auch dadurch ein, dass sich bei tatsächlich gleichbleibenden Verwendungsumsätzen die rechtliche Beurteilung der Umsätze als unzutreffend erweist. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Steuerfestsetzung für das Jahr, in dem die Vorsteuer unzutreffend abgezogen wurde (Abzugsjahr), bestandskräftig und unabänderbar ist (BFH-Urteile vom 19.2.1997, XI R 51/93, BStBl. II 1997, 370, und vom 12.6.1997, V R 36/95, BStBl. II 1997, 589, m. w. N.). Das gilt auch dann, wenn der Rechtsanwendungsfehler darauf beruht, dass von falschen sachlichen Voraussetzungen ausgegangen wurde (BFH-Urteil vom 7.7.2005, V R 32/04, BStBl. II 2005, 907). Bei einer Steuerfestsetzung für das Folgejahr können nur solche Änderungsgründe berücksichtigt werden, deren Voraussetzungen mit Ablauf dieses Folgejahres verwirklicht waren (BFH-Urteil vom 13.11.1997, V R 140/93, BStBl. II 1998, 36).

Eine Berichtigung des unzutreffenden Vorsteuerabzugs nach § 15a UStG in einem Folgejahr kann daher erst ab dem Jahr erfolgen, in dem die Steuerfestsetzung für das Jahr, in dem der Vorsteuerabzug unzutreffend gewährt wurde (Abzugsjahr), abgabenrechtlich nicht mehr änderbar ist (z.B. nach § 164 Abs. 2, § 172 AO). Dabei kommt es nicht auf die abstrakte Möglichkeit einer Änderung an, sondern es ist im jeweiligen Einzelfall zu prüfen, ob die Steuerfestsetzung des Abzugsjahres im jeweiligen Folgejahr hätte geändert werden können (vgl. BFH-Urteil vom 18.12.1997, V R 12/97, BFH/NV 1998, 752).

 

 

Beispiel 1:

U errichtet im Jahr 01 ein Gebäude, das zu 60% steuerpflichtig und zu 40% steuerfrei vermietet wird. In der USt-Jahreserklärung 01, die U am 31.3.02 abgegeben hat, zieht er zu Unrecht 100% der Vorsteuer aus den Herstellungskosten ab. Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Prüfung im Jahr 07 wird der überhöhte Vorsteuerabzug festgestellt. Der Vorsteuerabzug wurde weder vorsätzlich noch fahrlässig in der unzutreffenden Höhe beantragt.

 

Behandlung:

Der Vorsteuerabzug im Jahr 01 wurde fehlerhaft beurteilt, da nach den Verwendungsverhältnissen lediglich ein Abzug von 60 % zulässig ist. Für die Umsatzsteuer 01 tritt mit Ablauf des 31.12.06 Festsetzungsverjährung ein. Eine Korrektur des Steuerbescheides 01 ist daher ab dem 1.1.07 nicht mehr möglich. Da im Jahr 07 die Steuerfestsetzung des Abzugsjahrs abgabenrechtlich nicht mehr geändert werden kann, ist ab 07 bis zum Ende des Berichtigungszeitraums der Vorsteuerabzug nach § 15a UStG zu berichtigen.

 

 

 

2. Vorsteuerberichtigung bei einer Berufung auf eine unionsrechtliche Steuerbefreiung

Sind Ausgangsumsätze nach nationalem Recht steuerpflichtig, besteht für sie nach dem Unionsrecht jedoch eine Steuerbefreiung, kann die auf Eingangsumsätze entfallende Umsatzsteuer nur dann nicht als Vorsteuer abgezogen werden, wenn sich der Unternehmer auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung beruft. Beruft sich der Unternehmer nicht auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung, sind die Umsätze nach nationalem Recht steuerpflichtig und die Vorsteuer wurde zu Recht abgezogen. Es liegt somit keine rechtsfehlerhafte Beurteilung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr vor. Beruft sich der Unternehmer in einem Folgejahr auf eine unionsrechtliche Steuerbefreiung, liegt eine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 15a UStG vor. Der Vorsteuerabzug kann im Folgejahr auch dann geändert werden, wenn das Abzugsjahr noch änderbar ist (BFH-Urteil vom 15.9.2011, V R 8/11, BStBl. II 2012, 368).

 

 

3. Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten und aus Glücksspielen

Für die Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten und aus Glücksspielen kann sich der Unternehmer bis zum 5.5.2006 auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung seiner Umsätze berufen (EuGH-Urteil vom 17.2.2005, Linneweber und Akritidis, Rs. C-453/02 und Rs. C-462/02, DStR 2005, 371, BFH-Urteil vom 12.5.2005, V R 7/02, BStBl. II 2005, 617). Ab dem 6.5.2006 sind die Umsätze nach § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG in der Fassung des Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Gestaltungen vom 28.4.2006 (BGBl. I 2006, 1095) steuerpflichtig. Die Steuerpflicht dieser Umsätze ab dem 6.5.2006 führt zu einer Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 15a UStG, wenn sich der Unternehmer für Zeiträume bis zum 5.5.2006 auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung berufen hat (Abschn. 15 a.2 Abs. 2 Satz 3 Nr. 5 UStG). Berichtigungsobjekt im Sinne des § 15a Abs. 1 UStG ist der einzelne Geldspielautomat (vgl. BFH-Urteil vom 3.11.2011, V R 32/10, BStBl. II 2012, 525). Eine Zusammenfassung gleichartiger Geräte zu einem Berichtigungsobjekt ist nicht möglich.

Nach § 44 Abs. 1 UStDV entfällt eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG, wenn die auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallende Vorsteuer 1.000 € (für Leistungsbezüge bis zum 31.12.2005: 250 €) nicht übersteigt. Aufgrund dieser Grenze wird in vielen Fällen eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei Geldspielgeräten nicht in Betracht kommen.

 

 

Beispiel 2:

Der Geldspielautomatenbetreiber G erwirbt im Jahr 2005 ein Geldspielgerät mit Anschaffungskosten von 1.500 € zzgl. 240 € Umsatzsteuer. Bis zum 5.5.2006 beruft sich G auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung und kann daher die auf die Anschaffungskosten des Geräts entfallende Umsatzsteuer nicht als Vorsteuer abziehen. Ab dem 6.5.2006 beantragt er den Vorsteuerabzug nach § 15a UStG zu berichtigen.

 

Behandlung:

Eine Berichtigung entfällt, da die auf die Anschaffungskosten entfallende Vorsteuer die Grenze von 250 € des § 44 Abs. 1 UStDV nicht übersteigt.

 

 

Beispiel 3:

Der Geldspielautomatenbetreiber G erwirbt am 1.2.2006 ein Geldspielgerät mit Anschaffungskosten von 7.000 € zzgl. 1.120 € Umsatzsteuer. Bis zum 5.5.2006 beruft sich G auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung. Die Vorsteuer für das Gerät zieht G in Höhe von 804,79 € ab (Nutzung ab 1.2.2006, davon für steuerpflichtige Umsätze 240 Tage von der Gesamtnutzung 2006 von 334 Tagen; Abschn. 15 a.2 Abs. 5 UStAE). Für das Jahr 2007 beantragt er den Vorsteuerabzug zu berichtigen. Das Gerät hat eine betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer von 4 Jahren.

 

Behandlung:

Eine Vorsteuerberichtigung ist nach § 44 Abs. 1 UStDV durchzuführen, da die Vorsteuer für das Berichtigungsobjekt 1.000 € übersteigt. Im Jahr 2006 bestand eine Vorsteuerabzugsberechtigung von 71,86%. Im Jahr 2007 besteht ein Vorsteuerabzugsrecht von 100%, die für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse ändern sich daher um 28,14%. Somit ist die Prozentgrenze des § 44 Abs. 2 UStDV [10%, Ergänz. d. Red.] überschritten. Der Vorsteuerabzug ist um 1/4 von 1.120 € = 280 € × 28,14% = 78,79 € zu berichtigen. Die Vorsteuerberichtigung kann allerdings erst im Kalenderjahr 2010 erfolgen, da der Berichtigungszeitraum dort endet (§ 44 Abs. 3 UStDV a.F.).

 

Praxis-Info!

Die Korrektur der Vorsteuer ist auf die gesetzlich festgelegten Berichtigungszeiträume beschränkt:

  • Bei Grundstücken einschließlich ihrer wesentlichen Bestandteile, bei Berechtigungen, für welche die Vorschriften des BGB über Grundstücke gelten, und bei Gebäuden auf fremdem Grund und Boden tritt an die Stelle des Zeitraums von fünf Jahren ein Zeitraum von zehn Jahren;
  • bei allen anderen Vorsteuerberichtigungsobjekten gilt ein Berichtigungszeitraum von fünf Jahren.

Insbesondere bei folgenden Sachverhaltsgestaltungen ist zu überprüfen, ob eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG durchzuführen ist:

  • Eine Nutzungsänderung, d.h. jede Änderung in der Verwendung eines Berichtigungsobjekts, kann eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG erforderlich machen. Beispiel: Der Anteil der steuerpflichtigen Umsätze, für die der Steuerpflichtige das Berichtigungsobjekt verwendet, ist höher oder niedriger als im Jahr der Eingangsleistung.
  • Auch der Verkauf oder die Entnahme eines Berichtigungsobjekts kann eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG erforderlich machen. Beispiel: Ein Kraftfahrzeug wird beim Erwerb zu 50% zur Ausführung von Umsätzen verwendet, die den Vorsteuerabzug ausschließen. Die Vorsteuer aus dem Kauf ist nur zu 50% abzugsfähig. Das Kraftfahrzeug wird nach zwei Jahren verkauft oder entnommen. Der Verkauf bzw. die Entnahme ist steuerpflichtig. Die Vorsteuer ist nach § 15a UStG zu berichtigen.
  • Eine unzutreffende rechtliche Beurteilung des Vorsteuerabzugs im Jahr des Leistungsbezugs, wenn die Steuerfestsetzung für dieses Jahr bestandskräftig ist. Die Korrektur der Vorsteuer erfolgt in den Folgejahren durch § 15a UStG. Beispiel: Die Option zur Steuerpflicht von Umsätzen (§ 9 UStG) wurde im Jahr des Leistungsbezugs anerkannt und die Vorsteuer zum Abzug zugelassen. Später wird festgestellt, dass die Voraussetzungen für eine Option bereits ab dem Zeitpunkt des Leistungsbezugs nicht vorlagen. Sofern die Steuerfestsetzung für das Jahr des Leistungsbezugs bestandskräftig ist, erfolgt eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG.
  • Der Vorsteuerabzug aus einer Anzahlung für ein Berichtigungsobjekt wurde wegen der beabsichtigten Nutzung zu steuerpflichtigen Umsätzen in voller Höhe gewährt. Nach der Lieferung des Berichtigungsobjekts verwendet der Steuerpflichtige dieses auch zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen. Ab dem Jahr der erstmaligen Verwendung ist die Vorsteuer nach § 15a UStG zu berichtigen. Beispiel: Der Steuerpflichtige leistet eine Anzahlung für den Erwerb eines Kfz, das er für eigenbetriebliche Zwecke zur Ausführung von steuerpflichtigen Umsätzen verwenden will. Bei Lieferung des Kfz hat der Steuerpflichtige sein Unternehmen erweitert und erbringt auch Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen. Die Vorsteuer ist nach § 15a UStG zu berichtigen.

Erhöht sich der Anteil der wirtschaftlichen Nutzung des jeweiligen Gegenstands, gestattet die Finanzverwaltung „aus Billigkeitsgründen” eine Vorsteuerberichtigung zugunsten des Unternehmers nach § 15a UStG, sofern die Grenzen des § 44 UStDV (siehe Abbildung) überschritten sind.

 

 

 

Abb.: Vorsteuerberichtigung: Vereinfachungen gemäß § 44 UStDV

 

 

Die Berichtigung des Vorsteuerabzugs ist grundsätzlich jeweils für das Kalenderjahr vorzunehmen, in dem sich die für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse im Vergleich zu den ursprünglich für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnissen geändert haben. Gemäß § 22 Abs. 4 UStG besteht eine gesetzliche Verpflichtung des Unternehmers, in den Fällen des § 15a UStG die Berechnungsgrundlagen aufzuzeichnen.

  • In der Steuerbilanz werden Mehrbeträge (= zusätzlicher Vorsteuerabzug) als Betriebseinnahmen sowie Minderbeträge (= Steuernachzahlung) als Betriebsausgaben gebucht (§ 9b Abs. 2 EStG).
  • Im Handelsrecht fehlt eine entsprechende Vorschrift. Nach herrschender Meinung darf § 9b Abs. 2 EStG gleichsam im handelsrechtlichen Jahresabschluss herangezogen werden.

 

[Anm. d. Red.] 

 

BC 4/2016

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