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Noch einmal: Verfassungswidrigkeit der Beschränkung der Entfernungspauschale?

Jürgen Plenker

BFH-Beschlüsse vom 10.1.2008, VI R 17/07 und VI R 27/07

 

Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob die Neuregelung der Entfernungspauschale (§ 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007) insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, als danach Aufwendungen des Arbeitnehmers für seine Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte keine Werbungskosten sind und keine weiteren einkommensteuerrechtlichen Regelungen bestehen, nach denen die vom Abzugsverbot betroffenen Aufwendungen ansonsten die einkommensteuerliche Bemessungsgrundlage mindern.

 

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

 

Seit dem 1.1.2007 sind Aufwendungen von Arbeitnehmern für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte keine Werbungskosten mehr. Der Gesetzgeber geht demnach davon aus, dass der Weg von und zur regelmäßigen Arbeitsstätte in die private Sphäre fällt (sog. Werkstorprinzip). Die Aufwendungen eines Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte können bekanntlich erst ab dem 21. Entfernungskilometer mit 0,30 € je Entfernungskilometer wie Werbungskosten geltend gemacht werden. Gegen diese Neuregelung sind zahlreiche Einspruchsverfahren bei den Finanzämtern und Klageverfahren bei den Gerichten anhängig.

 

 

Lösung

 

Der Bundesfinanzhof hat nunmehr zwei Verfahren ausgesetzt, welche die teilweise Ablehnung von Lohnsteuerermäßigungsanträgen betreffen, und das teilweise Abzugsverbot bei der Entfernungspauschale dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Der zuständige VI. Senat des Bundesfinanzhofs hält die Neuregelung für verfassungswidrig, soweit Aufwendungen eines Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte weder als Werbungskosten noch auf andere Weise steuerlich abgezogen werden können.

 

 

 

Praxishinweise:

  • Nach Auffassung des Bundesfinanzhofs sind Aufwendungen eines Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte Erwerbsaufwendungen. Sie sind deshalb auf Grund der Einkommensbesteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen (sog. objektives Nettoprinzip). Zudem handelt es sich bei den Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte um unvermeidbare Ausgaben, denen sich Arbeitnehmer nicht beliebig entziehen können und die nicht bereits durch den steuerlichen Grundfreibetrag abgegolten sind (sog. subjektives Nettoprinzip). Auch im Sozialhilferecht würden die Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte als notwendige Ausgaben das Einkommen mindern. Die vom Gesetzgeber angeführte Haushaltskonsolidierung biete allein noch keinen sachlichen Grund für die Neuregelung. Sehr interessant ist: Der Bundesfinanzhof kann sich vorstellen, dass die Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte aus den vorstehenden Gründen in tatsächlicher Höhe steuerlich zu berücksichtigen sein könnten.
  • Die endgültige Entscheidung, ob die durch die Einführung der 20-km-Grenze erfolgte Beschränkung der Entfernungspauschale verfassungsgemäß ist oder nicht, wird letztlich erst das Bundesverfassungsgericht voraussichtlich im Laufe dieses Jahres treffen.
  • Bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird allen Einkommensteuerbescheiden ab 2007 wegen der Beschränkung der Entfernungspauschale automatisch durch die Finanzverwaltung ein Vorläufigkeitsvermerk beigefügt (BMF-Schreiben vom 8.10.2007, IV A 4 – S 0038/07/0003, BStBl. I, S. 723). Der Steuerfall bleibt also bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts insoweit „offen“. Einsprüche sind trotz des Vorläufigkeitsvermerks zulässig, wenn gleichzeitig Aussetzung der Vollziehung beantragt wird. Die Aussetzung der Vollziehung kann auch zur vorläufigen Erstattung von entrichteten Einkommensteuer-Vorauszahlungen oder z.B. einbehaltener Lohnsteuerbeträge führen (BMF-Schreiben vom 4.10.2007, IV A 4 – S 0623/07/0002, BStBl. I, S. 722).
  • Je nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann eine Aussetzung der Vollziehung jedoch zu einer Steuernachzahlung zuzüglich 0,5% Zinsen pro Monat (= 6% jährlich) führen. Wer dies nicht riskieren will, sollte die endgültige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abwarten.
  • Auf Wunsch der Arbeitnehmer tragen die Finanzämter einen Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte 2008 im Wege der Aussetzung der Vollziehung auch für die ersten 20 Entfernungskilometer zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte ein (BMF-Schreiben vom 4.10.2007, IV A 4 – S 0623/07/0002, BStBl. I, S. 722) ein. Auch dies kann zu einer Steuernachzahlung führen.
  • Führt die Anwendung der 20-km-Grenze bei der Entfernungspauschale dazu, dass die eigenen Einkünfte und Bezüge eines sich in Berufsausbildung befindenden Kindes den unschädlichen Jahresgrenzbetrag von 7.680 € übersteigen, werden auch die Kindergeldfestsetzungen vorläufig durchgeführt. Sollte nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Kindergeld festzusetzen sein, erfolgt dies automatisch durch die Familienkasse. Eine Aussetzung der Vollziehung kann allerdings nur auf Antrag der Eltern im Einspruchsverfahren gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung bei Rückforderung des bereits gezahlten Kindergeldes erfolgen. Ablehnungsbescheide über Kindergeld sind nicht vollziehbar und können daher auch nicht ausgesetzt werden.

 

 

Dipl.-Finanzwirt Jürgen Plenker

 

BC 2/2008

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