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Umsatzsteuerrechtliche Organschaft: Zur organisatorischen Eingliederung und eigenständigen Unternehmenstätigkeit des Organträgers

BC-Redaktion

BFH-Urteil vom 12.10.2016, XI R 30/14

 

  1. Eine organisatorische Eingliederung ist auch ohne Personenidentität in den Leitungsgremien des Organträgers und der Organgesellschaft gegeben, wenn nach dem Anstellungsvertrag zwischen der Organgesellschaft und ihrem nominell bestellten Geschäftsführer dieser die Weisungen der Gesellschafterversammlung sowie eines angestellten Dritten zu befolgen hat, der auf die Willensbildung der Gesellschafterversammlung einwirken kann und der zudem alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer des Organträgers ist.
  2. Eine Organschaft setzt u.a. voraus, dass der Organträger eine eigenständige Unternehmenstätigkeit ausübt.

 

 

 

Abb.: Umsatzsteuerliche Organschaft

 

 

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Die Gesellschafter einer MS-GmbH sind Frau M (Stammkapital: 10%) und deren Sohn, Herr S (Stammkapital: 90%). S hielt aufgrund eines Treuhandvertrags seinen Anteil im Innenverhältnis als Treuhänder seines Vaters, Herrn V. S war seit Oktober 1999 einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der MS-GmbH; dieser hatte die Weisungen der Gesellschafterversammlung sowie des Geschäftsführers (V) der A-GmbH zu befolgen (u.a. Abschluss von Verträgen und Geschäften jeder Art, die im Einzelfall Verpflichtungen von mehr als 1.000 € für die Gesellschaft betragen). Abweichend vom Geschäftsführer-Anstellungsvertrag hat jedoch nicht S, sondern V die Geschäfte der MS-GmbH geleitet, von der V als Angestellter ein Gehalt bezog. V ist somit faktischer Geschäftsführer der MS-GmbH gewesen.

2004 wurde mit Gesellschaftsvertrag die F-GmbH errichtet. Gegenstand dieses Unternehmens war das einheitliche Halten und die einheitliche Verwaltung von Familienbeteiligungen an der A-GmbH sowie an der MS-GmbH. Das Stammkapital der F-GmbH hielten zu 90% deren einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer V und zu 10% M. V und M hatten ihre Geschäftsanteile an der A-GmbH und an der MS-GmbH in die F-GmbH eingebracht.

Für das Jahr 2005 gab die MS-GmbH – in der Annahme, sie sei als Organgesellschaft in das Unternehmen der Organträgerin, der F-GmbH, eingegliedert – keine Umsatzsteuererklärung ab. Das Finanzamt vertrat jedoch die Auffassung, die MS-GmbH sei finanziell und organisatorisch nicht in die F-GmbH eingegliedert. Folge: Festsetzung von Umsatzsteuer.

Nach Einschätzung des Finanzgerichts sei die MS-GmbH zwar finanziell in das Unternehmen der F-GmbH eingegliedert gewesen (Einbringung sämtlicher Anteile von M und V an der MS-GmbH in die F-GmbH). Organisatorisch sei dies jedoch nicht der Fall, weil in den Geschäftsführungsorganen der MS-GmbH und der F-GmbH keine Personenidentität bestanden habe. S als bestellter Geschäftsführer der MS-GmbH sei nicht zugleich leitender Mitarbeiter der F-GmbH gewesen. Anhaltspunkte dafür, dass V seine faktische Geschäftsführung bei der MS-GmbH „für die F-GmbH“ ausgeübt habe, seien nicht ersichtlich.

 

 

Lösung

Das Finanzgericht (FG) hat zu Unrecht das Vorliegen einer Organschaft mit der Begründung verneint, eine organisatorische Eingliederung der MS-GmbH liege nicht vor.

Eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird (gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG) nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Für die Annahme einer Organschaft ist es somit erforderlich, dass der Organträger

  • finanziell über die Mehrheit der Stimmrechte bei der abhängigen juristischen Person verfügt,
  • wirtschaftlich mit der Organgesellschaft verflochten ist und
  • die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung auch rechtlich wahrnehmen kann.

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt.

Dies gilt auch für die organisatorische Eingliederung. Diese liege im Sinne einer engen Verflechtung mit Über- und Unterordnung regelmäßig dann vor, wenn Personenidentität in den Leitungsgremien von Organträger und Organgesellschaft gegeben ist.

In Ausnahmefällen kann eine organisatorische Eingliederung aber auch ohne personelle Verflechtung in den Leitungsgremien des Organträgers und der Organgesellschaft bestehen. Voraussetzung: Es sind institutionell abgesicherte unmittelbare Eingriffsmöglichkeiten in den Kernbereich der laufenden Geschäftsführung der Organgesellschaft gegeben. Eine bloß faktische Geschäftsführung reicht dagegen nicht aus. Der Organträger muss durch schriftlich fixierte Vereinbarungen (z.B. Geschäftsführerordnung, Konzernrichtlinie) in der Lage sein, gegenüber Dritten seine Entscheidungsbefugnis nachzuweisen und den Geschäftsführer der Organgesellschaft bei Verstößen gegen seine Anweisungen haftbar zu machen.

Im vorliegenden Fall hätte sich S in der Gesellschafterversammlung nicht durchsetzen können, da die Geschäftsanteile an der MS-GmbH im Streitjahr von der F-GmbH, an deren Stammkapital V zu 90% beteiligt war, gehalten wurden. Aufgrund des Anstellungsvertrags und der Bestellung von V zum einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführer der F-GmbH ist daher im Streitfall von einer organisatorischen Eingliederung auszugehen. Besteht Personenidentität in der Geschäftsführung, muss von der organisatorischen Eingliederung ausgegangen werden.

Darüber hinaus ist eine wirtschaftliche Eingliederung der MS-GmbH gegeben. Denn die F-GmbH erbrachte gegenüber der MS-GmbH und der A-GmbH Beratungsleistungen.

Last, not least müssen für die Annahme einer Organschaft nicht alle drei Eingliederungsmerkmale (finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch) gleichermaßen feststellbar sein. Tritt auf einem der drei Gebiete die Eingliederung weniger stark in Erscheinung, so hindert dies nicht, trotzdem eine Organschaft anzunehmen.

 

 

Praxishinweise:

Entscheidende Voraussetzung einer Organschaft ist – so der BFH – zudem, dass der Organträger (hier: F-GmbH) eine eigenständige Unternehmenstätigkeit ausübt. Konkret bedeutet das: Die F-GmbH hat die Beratungsleistungen gegenüber der MS-GmbH und/oder der A-GmbH gegen Entgelt zu erbringen, d.h., die F-GmbH sollte selbständig und nachhaltig zur Erzielung von Einnahmen tätig sein (§ 2 Abs. 1 Sätze 1 und 3 UStG). Dies wurde im vorliegenden Streitfall offengelassen.

Die Anwendung der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft (gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG) im Organkreis der betroffenen Unternehmen bewirkt im Rechnungswesen der einbezogenen Gesellschaften zwei wesentliche Umstellungen:

  • Die von den Organ- bzw. Tochtergesellschaften an deren Kunden in Rechnung gestellten Umsatzsteuerbeträge des betroffenen Voranmeldezeitraums sowie die von Lieferanten verrechneten Vorsteuerbeträge sind rechtzeitig dem Organträger (Mutterunternehmen) zu melden. Hiermit kann der Organträger diese Zahlen ordnungsgemäß in seiner Umsatzsteuer-Voranmeldung berücksichtigen.
  • Die Ausübung der umsatzsteuerlichen Organschaft sollte sämtlichen darin einbezogenen Organgesellschaften insofern eine Verwaltungsvereinfachung ermöglichen, als Verrechnungen zwischen dem Organträger und den Organgesellschaften, aber auch zwischen den Organtochterunternehmen untereinander als steuerfreie Innenumsätze (gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG) behandelt und somit von der Umsatzsteuerpflicht freigestellt werden. Dadurch brauchen die Mitarbeiter/innen der Finanzbuchhaltung bei der Erstellung von Ausgangsrechnungen an Empfängergesellschaften des Organkreises die speziellen Formerfordernisse für Rechnungen im Sinne des § 14c Abs. 1 UStG nicht mehr zu berücksichtigen. Denn die im Inland gelegenen Unternehmensteile sind folglich als ein Unternehmen (im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG; Abschn. 2.8 Abs. 1 UStAE) zu behandeln (vgl. ausführlich Drabek – mit buchhalterischer Behandlung – in BC 2016, 570 ff., Heft 12).

 

[Anm. d. Red.]          

 

 

BC 2/2017

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