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Aktuelles zum Thema „Steuerhinzuschätzung“

Christian Thurow

FG Hamburg, Urteil vom 7.2.2019, 6 V 240/18 (rkr.)

 

In einem aktuellen Urteil hat sich das Finanzgericht Hamburg mit der Hinzuschätzung von Einnahmen und Umsätzen bei einem Döner-Imbiss befasst. Ein guter Anlass, sich einmal näher mit der Thematik auseinanderzusetzen.


 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung bei einem Döner-Imbiss gelangte der Prüfer zu dem Schluss, dass die Buchführung mangelbehaftet sei. Unter anderem wurden die folgenden Mängel festgestellt:

  • Für einen Zeitraum von über 1.000 Tagen fehlten Einzelaufzeichnungen zu den Einnahmen.
  • Die Tagesendsummenbons der elektronischen Kasse entsprachen nicht den vorgeschriebenen Formerfordernissen, da die Bons keine Angaben zu Stornierungen enthielten.
  • Das freiwillig geführte Kassenbuch wurde nur auf wöchentlicher, nicht aber auf täglicher Basis geführt und hat daher wenig Aussagekraft.
  • Die vom Imbiss erklärten Rohgewinnaufschläge standen in einem erheblichen Missverhältnis zu sämtlichen Erfahrungen im Wirtschaftsverkehr des Gastronomiebereichs.

Aufgrund der Mängel nahm der Prüfer eine Schätzung der Einnahmen vor.


Praxishinweis:

Gemäß § 162 AO „Schätzung von Besteuerungsgrundlagen“ können die Finanzbehörden eine Schätzung vornehmen, wenn die Besteuerungsgrundlagen nicht ermittelt oder berechnet werden können. Sofern die sachliche Richtigkeit der Buchführung nicht gewährleistet ist, kann diese (nach § 158 AO „Beweiskraft der Buchführung“) nicht die Grundlage der Besteuerung bilden. Es kommt somit wiederum zu einer Schätzung.

Die Beweiskraft der Buchführung kann durch formelle und materielle Fehler erschüttert werden:

  • Bei formellen Fehlern (z.B. Nichteinhaltung der Aufbewahrungsvorschriften, unvollständige Aufzeichnungen etc.) kann die gesamte Buchhaltung verworfen und durch Schätzung ersetzt werden.
  • Bei materiellen Fehlern (z.B. Doppelbuchung einzelner Rechnungen) kommt es zu punktuellen Korrekturen.

Die Finanzbehörden verwenden häufig auch statistische Verfahren (z.B. Chi-Quadrat-Test), um Fehler in der Buchführung aufzuspüren. Dabei ist zu beachten, dass eine statistische Auffälligkeit allein nicht ausreichend ist, um die Richtigkeitsvermutung der Buchführung zu erschüttern.

 

Der Prüfer wählte als Schätzmethode den externen Betriebsvergleich. Hierbei kam der Prüfer zu Rohgewinnaufschlägen von 238% auf den erklärten Wareneinsatz (gegenüber 77% bis 86% Rohgewinnaufschlag laut Buchhaltung des Steuerpflichtigen).

 

Praxishinweis:

Dem Außenprüfer stehen verschiedene Schätzmethoden zur Auswahl. Die gängigsten sind:

  • Externer Betriebsvergleich/Richtsatzsammlung:
    Hier wird mithilfe von Vergleichsdaten ähnlicher Betriebe eine Gewinnschätzung vorgenommen. Steuerpflichtige sollten auf jeden Fall darauf achten, ob die verwendeten Vergleichsdaten auch wirklich repräsentativ für das eigene Unternehmen sind.
  • Interner Betriebsvergleich (Zeitreihenvergleich/Nachkalkulation):
    Beim internen Betriebsvergleich wird die Betriebsentwicklung über einen längeren Zeitraum verfolgt (Zeitreihenvergleich). Unerwartete Entwicklungen (z.B. starker Rückgang der Barumsätze bei gleichbleibendem Wareneinsatz) führen zu Korrekturen durch den Prüfer.

Achtung!

Die Hinzuschätzung führt in der Regel zu hohen Steuernachzahlungen. Immer wieder kommt es dabei vor, dass die Finanzbehörden „über das Ziel hinausschießen“ und zu offensiv mit Vergleichsdaten umgehen. Steuerpflichtige sollten daher bei ungerechtfertigt hohen Nachforderungen mit fachkundiger Hilfe gegen die Schätzung vorgehen.

 

 

Der Steuerpflichtige ging gegen die Schätzung vor. Die Aussetzung der Vollziehung (AdV) wurde teilweise gewährt, da gemäß Richtsatzsammlung der niedrigste Rohgewinnaufschlagsatz für Imbissbetriebe 144% betrug. Daher erscheint der für die Schätzung verwendete Aufschlagsatz von 238% hoch. Es wurde deshalb AdV für Steuerzahlungen gewährt, welche sich aus dem Aufschlag von mehr als 191% (Mittelwert aus 144 und 238) ergeben.

 

 

Praxishinweis:

Auch wenn die 191%-Grenze hier mathematisch begründet ist, ist sie dennoch willkürlich, da sie gänzlich von dem vom Betriebsprüfer ermittelten Rohgewinnaufschlag abhängt. Hätte der Prüfer nur einen Aufschlagsatz von 200% verwendet, so hätte die AdV-Grenze nach obigem Verfahren 177% betragen (Mittelwert aus 144 und 200).

Laut Richttafel für das Jahr 2014 betrugen die Rohgewinnaufschläge für Imbisse zwischen 144% und 376%. Der Mittelwert hieraus ist 260%. Der durchschnittliche Richtsatz betrug 223%. Dies verdeutlicht, welchen Spielraum die Finanzbehörden hier haben.

 

 

Lösung

Die Klage vor dem FG Hamburg hatte keinen Erfolg. Im ersten Schritt bestätigt das Finanzgericht, dass die Finanzverwaltung aufgrund der diversen formellen Mängel der Buchhaltung zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen befugt war. Der von den Finanzbehörden verwendete Rohgewinnaufschlagsatz von 238% bewegt sich nahe am durchschnittlichen Richtsatz von 223%. Die aus der Schätzung resultierenden Mehreinnahmen führen – unter Berücksichtigung der sehr guten Lage und der langen Öffnungszeiten – zu realistischen Tageseinnahmen. Insofern ist kein Abschlag oberhalb der 191%-Grenze vorzunehmen.

 

 

Praxishinweis:

Das Urteil verdeutlicht das zweistufige Verfahren:

  • Zunächst ist zu prüfen, ob die Finanzverwaltung zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen befugt war. Wie oben dargestellt, ist dies nur dann gegeben, wenn die sachliche Richtigkeit der Buchführung durch formelle Fehler nicht gewährleistet ist oder Buchhaltungsunterlagen nicht bereitgestellt werden.
  • Im zweiten Schritt wird dann geprüft, ob das Ergebnis der Schätzung angemessen ist.

Entsprechend können sich Steuerpflichtige auf zwei Wegen gegen eine Schätzung wehren. So kann zunächst die Schätzungsbefugnis bestritten werden, etwa weil keine formellen, sondern korrigierbare materielle Fehler vorliegen. Oder es kann gegen die Schätzmethode bzw. die verwendeten Vergleichssätze vorgegangen werden.

 

 

Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)

 

 

BC 5/2019

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