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Gewerbesteuerpflicht beim Online-Poker

Dr. Martin Weiss

BFH Urt. v. 22.2.2023 – X R 8/21

 

  1. Auch Gewinne aus dem Online-Pokerspiel (hier: in der Variante „Texas Hold‘em“) können als Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Einkommensteuer unterliegen (Fortführung der BFH-Urteile vom 16.9.2015 – X R 43/12, BFHE 251, 37, BStBl. II 2016, 48 – Turnierpoker –, und vom 25.2.2021 – III R 67/18, BFH/NV 2021, 1070 – Casinopoker –).
  2. Die erforderliche Abgrenzung zu privaten Tätigkeiten richtet sich bei Spielern – ebenso wie bei Sportlern – danach, ob der Steuerpflichtige mit seiner Betätigung private Spielbedürfnisse gleich einem Freizeit- oder Hobbyspieler befriedigt oder ob in der Gesamtschau strukturell-gewerbliche Aspekte entscheidend in den Vordergrund rücken. Für das insoweit maßgebliche „Leitbild eines Berufsspielers“ ist vor allem das planmäßige Ausnutzen eines Markts unter Einsatz „beruflicher“ Erfahrungen prägend.
  3. Bei einem Online-Pokerspieler ist der Raum, in dem sich der Computer befindet, von dem aus der Spieler seine Tätigkeit ausübt, als Betriebsstätte anzusehen, wenn der Steuerpflichtige über diesen Raum eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat. Sofern diese Betriebsstätte sich im Inland befindet, unterliegt die Tätigkeit der Gewerbesteuer (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 25.2.2021 – III R 67/18, BFH/NV 2021, 1070, Rz. 28 – Casinopoker –).


 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Wer als natürliche Person einen Gewerbebetrieb im Sinne des Einkommensteuergesetzes betreibt (§ 15 Abs. 2 EStG), erzielt als Einzelunternehmer Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG). Die Unterscheidung zu anderen Einkunftsarten hat dabei meist keine gravierenden einkommensteuerlichen Auswirkungen, da beispielsweise auch „Einkünfte aus selbständiger Arbeit“ (§ 18 EStG) oder „sonstige Einkünfte“ (§ 22 EStG) voll in das zu versteuernde Einkommen (§ 2 Abs. 5 EStG) eingehen. Dort unterliegen sie dann demselben progressiven Einkommensteuersatz des § 32a EStG.

Allerdings gibt es eine „Folgewirkung“ eines einkommensteuerlichen Gewerbebetriebs, die die Einkünfte aus Gewerbebetrieb von allen weiteren Einkunftsarten unterscheidet: Nach § 2 Abs. 1 S. 1 GewStG unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb der Gewerbesteuer, soweit er im Inland betrieben wird. Nach § 2 Abs. 1 S. 2 GewStG ist unter Gewerbebetrieb ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des Einkommensteuergesetzes zu verstehen. Die sachliche Gewerbesteuerpflicht knüpft sich damit ebenfalls an die Definition des Gewerbebetriebs in § 15 Abs. 2 EStG, auch wenn es keine verfahrensrechtliche Bindung der gewerbesteuerlichen Ermittlung an die einkommensteuerliche Beurteilung gibt (BFH Urt. v. 19.9.2019 – IV R 50/16, BStBl. II 2020, 57, Rn. 28).

Daher ist ein Streit rund um die Unterscheidung zwischen den Einkunftsarten „Einkünfte aus Gewerbebetrieb“ (§ 15 EStG) und beispielsweise „sonstige Einkünfte“ (§ 22 EStG) häufig im Wesentlichen durch die Zusatzlast der Gewerbesteuer bedingt. So erging es etwa einem Fußball-Schiedsrichter, der sich bis zum I. Senat des BFH durchgeklagt hatte. Dieser bestätigte ihm dann allerdings, dass auf seine Einkünfte aus Schiedsrichterleistungen bei Spielen im Ausland Gewerbesteuer im Inland anfalle (BFH Urt. v. 20.12.2017 – I R 98/15, BeckRS 2017, 142674): Ein Gewerbebetrieb liege vor, und eine Begründung „ausländischer Betriebsstätten“, die die Gewerbesteuerbelastung verhindern könnte (§ 9 Nr. 3 S. 1 GewStG), scheitere jedenfalls an der fehlenden „Verfügungsmacht“ über die Räumlichkeiten in den ausländischen Fußballstadien.

Beim Pokerspielen können sich ähnliche Probleme einstellen: Für „Präsenz-Spiele“, bei denen die Spieler physisch an einem Tisch sitzen, hatte der III. Senat des BFH bereits die mögliche Gewerblichkeit in den Raum gestellt (BFH Urt. v. 25.2.2021 – III R 67/18, BeckRS 2021, 18167). Es handele sich beim Poker nicht um ein reines Glücksspiel. Vielmehr sei es als eine Mischung aus Glücksspiel und Geschicklichkeitsspiel einzustufen. Insofern könne eine Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr (als hier besonders streitiges Tatbestandsmerkmal des § 15 Abs. 2 S. 1 EStG) zu bejahen sein.

Bei dem Kläger des Verfahrens vor dem X. Senat des BFH ging es hingegen um Pokerspiele in Online-Portalen in der Variante „Texas Hold‘em/Fixed Limit“. An diesen nahm der Kläger aus seinem „Kinderzimmer“ im Elternhaus teil, wobei er im Streitjahr 2009 fünfstellige und in späteren Jahren deutlich sechsstellige Gewinne erzielte.

 

 

Lösung

Der X. Senat des BFH hat die Klage (u.a. gegen den Gewerbesteuermessbescheid) als unbegründet abgewiesen. Alle Tatbestandsmerkmale des § 15 Abs. 2 S. 1 EStG seien bei den Pokerspielen des Klägers gegeben. Auch die besonders kritische „Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr“sei zu bejahen. Eine physische Präsenz der Teilnehmer an dem Pokerspiel im selben Raum sei hierfür nicht erforderlich.

Die Belastung mit Gewerbesteuer kommt für den Kläger hinzu. Da er ohnehin ausschließlich im Inland tätig geworden ist, stellt sich die Frage einer inländischen Betriebsstätte – im Gegensatz etwa zum „Schiedsrichter-Urteil“ des BFH – nicht. Vielmehr liegt die einzige Betriebsstätte in dem von ihm genutzten Zimmer im Haus seiner Eltern.

 

 

Praxishinweise:

  • Der Kläger ist gegen den Gewerbesteuermessbescheid vorgegangen, da dieser Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 S. 1 AO) für den Gewerbesteuerbescheid der Gemeinde ist (BFH Urt. v. 26.4.2017 – I R 76/15, BeckRS 2017, 124029, Rn. 16). Der Rechtsschutz gegen Entscheidungen in einem Grundlagenbescheid muss dann immer gegen den Grundlagenbescheid selbst gesucht werden (§ 42 FGO i.V.m. § 351 Abs. 2 AO).
  • Die konkrete Belastung mit Gewerbesteuer hängt vom Hebesatz der Gemeinde ab, in der die „Betriebsstätte“ des Pokerspielers belegen ist. Die minimale Effektivbelastung beim vorgeschriebenen Mindest-Hebesatz von 200% (§ 16 Abs. 4 S. 2 GewStG) beträgt (3,5% Messzahl x 200% Hebesatz =) 7%.
  • Bei „normalen“ Hebesätzen von 400 % verdoppelt sich die Belastung. Zudem ergeben sich zusätzliche „Compliance-Aufgaben“ durch die Pflicht zur Abgabe einer Gewerbesteuererklärung (§ 149 Abs. 1 AO; § 14a S. 1 GewStG).
  • § 35 EStG bietet eine Steuerermäßigung bei der Einkommensteuer für die erlittene Gewerbesteuer. Allerdings gleicht die Steuerermäßigung keinesfalls jegliche Gewerbesteuerbelastung aus, sondern „funktioniert“ jedenfalls nur bis zu einem Hebesatz von ca. 420%. Bei höheren Hebesätzen bleibt auch unter „Idealbedingungen“ immer ein Überhang an Gewerbesteuer, die zudem keine Betriebsausgabe darstellt (§ 4 Abs. 5b EStG).
  • Bei Streit um die richtige Einkunftsart und damit zusammenhängende Gewerbesteuer als Folgebelastung muss auch die Vollverzinsung der Gewerbesteuer (§ 233a Abs. 1 AO) bedacht werden. Die Zinsen in den Fällen des § 233a AO betragen ab dem 1.1.2019 0,15% für jeden Monat, d.h. 1,8% für jedes Jahr (§ 238 Abs. 1a AO). Der Kläger im vorliegenden Verfahren hatte dementsprechend für das Streitjahr eine Gewerbesteuererklärung abgegeben und dann gegen die erklärungsgemäße Bescheidung Einspruch eingelegt.


 

Dr. Martin Weiss, Steuerberater, Fachberater für Internationales Steuerrecht, Dipl.-Kfm., Verlag C.H.BECK, München

 

 

BC 7/2023

BC2023721 

 

 

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