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Auswirkungen der Ausbreitung des Corona-Virus auf die Rechnungslegung und deren Prüfung

Christian Thurow

IDW-Schreiben vom 25.3.2020

 

Bereits am 4.3.2020 hatte das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) einen ersten "Fachlichen Hinweis" veröffentlicht, in dem die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf ausgewählte Aspekte der HGB- und IFRS-Rechnungslegung für Abschlüsse und Lageberichte zum 31.12.2019 und deren Prüfung dargelegt wurden – siehe hier. In dem nun veröffentlichten zweiten Teil des Schreibens geht es vor allem um Jahresabschlüsse mit einem Stichtag nach dem 31.12.2019.


 

1. HGB

1.1. Allgemeines

  • Aufgrund der aktuellen Situation werden bei Aufstellung des Jahresabschlusses mehr Ermessensentscheidungen zu treffen sein.
  • Bei der Aufstellung des Jahresabschlusses ist der Grundsatz der Stetigkeit zu beachten. Allerdings lässt das HGB eine Durchbrechung des Stetigkeitsgrundsatzes in Ausnahmefällen zu. Die Folgen des Corona-Virus können einen solchen Ausnahmefall darstellen und eine Änderung der bisherigen Bilanzpolitik rechtfertigen. Als Beispiel nennt das IDW hier den Fall, dass die bisherige Bilanzpolitik zur Legung stiller Reserven geführt hat und dies fortan vermieden werden soll. Bei einer Durchbrechung des Stetigkeitsgrundsatzes ist eine entsprechende Angabe im Anhang zu machen.
  • Kann aufgrund der Folgen der Corona-Pandemie nicht mehr von der Fortführung der Unternehmenstätigkeit ausgegangen werden, so ist der Abschluss unter Abkehr von der Going-Concern-Annahme (Bewertung unter Berücksichtigung der Unternehmensfortführung) aufzustellen. Dies gilt auch dann, wenn die Gründe für die Abkehr von der Fortführungsannahme erst nach dem Bilanzstichtag eingetreten sind. Als Folge hat in der Regel eine Bewertung der Vermögensgegenstände und Schulden unter Liquidationsgesichtspunkten zu erfolgen.
  • Bei Verstößen gegen Offenlegungsfristen kann im Falle einer unverschuldeten Behinderung auf Antrag bei der zuständigen Behörde eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gewährt werden. Die durch das Corona-Virus ausgelösten Folgen können eine solche unverschuldete Behinderung darstellen. Dies ist aber dann unzulässig, wenn den gesetzlichen Pflichten aus objektiv nicht durch das Corona-Virus verursachten Gründen in der Vergangenheit nicht nachgekommen worden ist.
  • Die Verbreitung des Corona-Virus als weltweite Gefahr ist durch den sprunghaften Anstieg der Infektionen ab Januar 2020 aufgetreten. Somit sind das Virus und seine Folgen erst nach dem 31.12.2019 als wertbegründend anzusehen. Für Abschlüsse mit Stichtag nach dem 31.12.2019 ist im Umkehrschluss davon auszugehen, dass die aktuellen, nach dem Abschlussstichtag gewonnenen Erkenntnisse über die Folgen des Corona-Virus als wertaufhellend anzusehen und bei der Bilanzierung zu berücksichtigen sind.
  • Zurzeit werden diverse staatliche Hilfspakete für Unternehmen aufgelegt. Soweit hieraus direkte Ansprüche entstehen, sind diese erst nach einer verbindlichen Zusage bilanziell zu erfassen.
  • Bei gebildeten Bewertungseinheiten ist zu prüfen, ob die getroffenen Annahmen bezüglich des Ausgleichs von Grund- und Sicherungsgeschäft weiterhin gültig sind. Kann nicht mehr mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass die erwartete Transaktion tatsächlich bzw. zu dem bislang angenommenen Zeitpunkt stattfinden wird, so ist die Bewertungseinheit aufzulösen.

 

 

1.2. Bilanzposten

  • Geschäfts- oder Firmenwert: Aufgrund der verschlechterten Geschäftsaussichten durch die Folgen der Corona-Pandemie kann eine Wertberichtigung auf bilanzierte Geschäfts- oder Firmenwerte erforderlich sein.
  • Sachanlagen: Hinsichtlich der Abschreibung gilt Folgendes: Vorübergehend stillgelegte oder eingeschränkt genutzte Anlagen sind weiterhin planmäßig abzuschreiben. Bei einer dauerhaft eingeschränkten Nutzung sind unter Umständen zusätzliche außerplanmäßige Abschreibungen erforderlich. Bei einer dauerhaften Stilllegung ist die Anlage außerplanmäßig abzuschreiben.
  • Vorräte: Bei der Ermittlung der Herstellungskosten dürfen nur angemessene Teile der Materialgemeinkosten, der Fertigungsgemeinkosten sowie des Werteverzehrs des Anlagevermögens berücksichtigt werden. Kommt es aufgrund es Corona-Virus zu einer vorübergehenden Stilllegung bzw. zu einer erheblichen Auslastungsbeschränkung von Anlagen, dürfen die hieraus entstandenen Leerkosten nicht in die Herstellungskosten einbezogen werden. Die aktuelle Situation kann auch Abschreibungen auf das Vorratsvermögen notwendig machen, wenn etwa die Umschlagshäufigkeit sinkt oder erhöhte Lagerkosten anfallen.
  • Forderungen: Durch die Folgen des Corona-Virus können vermehrte Zahlungsschwierigkeiten bei Kunden auftreten. Dem ist durch Einzelwertberichtigungen Rechnung zu tragen. Auch eine Anhebung der Pauschalwertberichtigungen sollte in Erwägung gezogen werden.
  • Rückstellungen: Die Corona-Pandemie kann die Bildung von Drohverlustrückstellungen für schwebende Absatz- und Beschaffungsgeschäfte erforderlich machen. Zu prüfen ist allerdings, ob in den zugrunde liegenden Verträgen sog. Material-Adverse-Effect-Klauseln (Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung bei wesentlicher Verschlechterung der Vermögensverhältnisse) oder Force-Majeure-Klauseln (Entfallen der Inanspruchnahme aus Verpflichtungen bei höherer Gewalt) enthalten sind, welche die Corona-Pandemie als höhere Gewalt einstufen. Dies hätte zur Folge, dass Abnahme- bzw. Lieferverpflichtungen ausgesetzt sind und die Pflicht zur Bildung einer Drohverlustrückstellung entfallen würde.
  • Verbindlichkeiten: Da sich der Erfüllungsbetrag der Verbindlichkeiten durch das Corona-Virus nicht ändert, wird das Virus nur in Ausnahmefällen eine Auswirkung auf die Bilanzierung von Verbindlichkeiten haben. Möglich wäre etwa, dass die Folgen des Virus zur Verletzung von sog. Financial Covenants (d.h. die Einhaltung bestimmter Bilanzrelationen) führen, was eine vorzeitige Fälligkeit der Verbindlichkeiten zur Folge haben kann.
  • Latente Steuern: Die Berücksichtigung aktiver latenter Steuern aus temporären Differenzen setzt voraus, dass sich diese Differenzen in den folgenden Jahren wieder abbauen. Ist aufgrund der Folgen der Corona-Pandemie davon auszugehen, dass das zukünftige steuerliche Einkommen entfällt oder reduziert wird, kann eine Wertminderung erforderlich werden.

 

 

2. IFRS

Das IDW-Schreiben geht intensiv auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die IFRS-Rechnungslegung ein. Wesentliche Punkte sind:

  • Umsatzrealisierung nach IFRS 15: Entscheidend ist, dass der Erhalt der Gegenleistung wahrscheinlich ist. Hier ist zu prüfen, ob die Corona-Pandemie zu einer signifikanten Verschlechterung der Fähigkeit von Kunden zur Zahlung der vereinbarten Gegenleistung geführt haben könnte.
  • Wertminderung von Vermögenswerten nach IAS 36: Es ist davon auszugehen, dass die Corona-Pandemie ein sog. Triggering Event darstellt (also Anzeichen für potenzielle Wertminderungen), was eine Werthaltigkeitsprüfung der Vermögensgegenstände erforderlich macht. Dies geschieht durch einen Vergleich des erzielbaren Betrags (recoverable amount) mit dem aktuellen Buchwert. Der erzielbare Betrag ist der höhere Wert aus Nutzungswert (value in use) und dem Fair Value abzüglich Abgangskosten (Fair Value less cost of disposal).
  • Fair-Value-Bewertung nach IFRS 13: Bei Verwendung von Level 1-Inputfaktoren – also nicht angepassten quotierten Preisen auf aktiven Märkten – werden die gestiegene Volatilität (Schwankung) und der Preisverfall Auswirkungen auf den ermittelten Fair Value haben. Auch bei der indirekten Ermittlung des Fair Value (Level 2) unter Verwendung von Bewertungsmodellen auf Basis von Parametern, wie z.B. Credit Spreads (Kredit- oder Bonitätsaufschlag) oder risikolosem Zinssatz, werden sich die Folgen der Corona-Pandemie zeigen.
  • Rückstellungen: Drohverlustrückstellungen dürfen im IFRS-Abschluss nicht gebildet werden. Kommt eine Versicherung ganz oder teilweise für die Belastungen aus der Corona-Pandemie auf – z.B. in Form einer Betriebsunterbrechungsversicherung – darf die Erfassung des Betrags nur vorgenommen werden, wenn der Zufluss so gut wie sicher ist. Für Abschlüsse zum 31.3.2020 dürfte noch nicht absehbar sein, in welcher Höhe der Schaden ersetzt wird. Eventualforderungen dürfen nicht angesetzt werden, um die Rückstellungen zu mindern.
  • Bewertung des Vorratsvermögens nach IAS 2: Grundsätzlich erfolgt die Bewertung zum niedrigeren Wert aus Anschaffungs- oder Herstellungskosten und dem Nettoveräußerungswert. Die Folgen der Corona-Pandemie können sich hierbei sowohl in Form eines niedrigeren Nettoveräußerungswerts als auch durch gestiegene Anschaffungs- und Herstellungskosten bemerkbar machen.
  • Ertragsteuern: Wie schon bei der HGB-Rechnungslegung muss auch im IFRS-Abschluss bei aktiven latenten Steuern geprüft werden, ob es aufgrund der Corona-Pandemie zu eventuellen Änderungen der Steuersätze hinsichtlich eines künftig zur Verfügung stehenden, zu versteuernden Ergebnisses kommt. Diese können eine Wertminderung erfordern.

 

Im Weiteren geht das Schreiben auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Prüfungsprozess ein.

 

Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)

 

 

BC 4/2020

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