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Nachzahlungszinsen: Kein Erlass wegen Verfassungswidrigkeit des Zinssatzes (für Verzinsungszeiträume von 2014 bis 2018)

BC-Redaktion

BFH-Urteil vom 27.7.2022, X R 5/20

 

Der Zinssatz für die Vollverzinsung von 0,5% Zinsen pro Monat des Zinslaufs (6% p.a.) ist ab dem Verzinsungszeitraum 2014 wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht angeordnet, dass die bisherige gesetzliche Regelung für Verzinsungszeiträume vom 1.1.2014 bis zum 31.12.2018 angewendet werden darf.

Kommt es durch die Finanzbehörde zu einer verzögerten Bearbeitung eines Steuerfalls, kann dies nicht zu einer abweichenden Zinsfestsetzung aus Billigkeitsgründen (Kürzung der Zinsen auf Steuernachzahlungen) führen.


 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Ein Einzelunternehmer (im Januar 2012 auf eine GmbH ausgegliedert) erzielte im Streitjahr 2011 u.a. Einkünfte aus Gewerbetrieb. Eine steuerliche Außenprüfung, die sich wegen Erkrankung der Betriebsprüferin vom März 2015 bis November 2016 hingezogen hatte, gelangte zu der Feststellung, dass im Streitjahr 2011 ein Veräußerungsgewinn hätte versteuert werden müssen. Hierfür setzte das Finanzamt Zinsen auf Steuernachforderungen (gemäß § 233a AO) – entsprechend dem geänderten Einkommensteuerbescheid 2011 – im Februar 2017 in Höhe von rund 77 T€ (6% p.a.) fest.

Wegen der Verfahrensverzögerung sowie der angenommenen Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe von 6% p.a. begehrte die GmbH einen Teilerlass der Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer 2011 in Höhe von 50%. Mindestens ab dem Jahr 2015 habe sich die Zinsfestsetzung als offensichtlich und eindeutig unrichtig erwiesen.

 

 

Lösung

Ein Erlass der Nachzahlungszinsen aus Billigkeitsgründen, der im Fall einer offensichtlich und eindeutig unrichtigen Steuer- bzw. Zinsfestsetzung unter weiteren Bedingungen ausnahmsweise möglich ist, kommt nicht in Betracht.

 

Verzinsungszeiträume vom 1.1.2014 bis zum 31.12.2018

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 8.7.2021 – 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 (BVerfGE 158, 282) entschieden: Der Zinssatz für die Vollverzinsung von 0,5% Zinsen pro Monat des Zinslaufs (6% p.a.) sei ab dem Verzinsungszeitraum 2014 wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig. Allerdings solle die bisherige gesetzliche Regelung für Verzinsungszeiträume vom 1.1.2014 bis zum 31.12.2018 noch fortgelten. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, auch für diesen Zeitraum rückwirkend eine verfassungsgemäße Regelung zu schaffen.

Die Zinsfestsetzung vom Februar 2017 betrifft ausschließlich Verzinsungszeiträume vor dem 31.12.2018. Nach dem Beschluss des BVerfG war der bisherige Zinssatz für die Vollverzinsung für Zeiträume bis Ende des Jahres 2013 verfassungsgemäß, sodass hier insoweit schon keine unrichtige Zinsfestsetzung vorlag. Von einer Unrichtigkeit der Zinsfestsetzung ab dem Verzinsungszeitraum 2014 kann nicht ausgegangen werden, da das BVerfG die Fortgeltung der §§ 233a, 238 Abs. 1 S. 1 AO für Verzinsungszeiträume vom 1.1.2014 bis zum 31.12.2018 angeordnet hat.

 

Verzögerter Ablauf der steuerlichen Außenprüfung

Die Verzinsungsregelung in § 233a AO bezweckt einen typisierten Ausgleich für die Liquiditätsverschiebungen, die aus dem individuell sehr unterschiedlichen Verlauf des Besteuerungsverfahrens entstehen können. Es soll ein Ausgleich dafür geschaffen werden, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festgesetzt und fällig werden. Derjenige, dessen Steuer ganz oder zum Teil zu einem späteren Zeitpunkt festgesetzt wird, habe gegenüber demjenigen, dessen Steuer bereits frühzeitig festgesetzt wird, einen Liquiditäts- und damit auch einen potenziellen Zinsvorteil.

Aus welchem Grund es zu einem Unterschiedsbetrag gekommen ist und ob die möglichen Zins- und Liquiditätsvorteile tatsächlich bestanden haben und genutzt wurden, ist grundsätzlich unbeachtlich. Eine verzögerte Bearbeitung des Steuerfalls durch die Finanzbehörde ist für sich genommen nicht geeignet, eine abweichende Zinsfestsetzung aus Billigkeitsgründen zu begründen. Überdies erscheint dem BFH der Zeitraum zwischen der im März 2015 beginnenden und im November 2016 mit Erstellung des Prüfungsberichts endenden steuerlichen Außenprüfung – insbesondere unter Berücksichtigung des Aspekts der Hinzuziehung einer Fachprüferin – im Streitfall nicht als unangemessen bzw. ungewöhnlich lang.

[Anm. d. Red.]

 

 

BC 12/2022

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