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Zwei Schreiben der Finanzverwaltung zu neuen Entwicklungen bei der Betriebsaufspaltung

Dr. Martin Weiss

BMF-Schreiben vom 21.11.2022, IV C 6 – S 2240/20/10006 :002, DOK 2022/1166461; Oberste Finanzbehörden der Länder vom 22.11.2022

 

Bei einer Betriebsaufspaltung wird ein einheitliches Unternehmen in zwei rechtlich getrennte Gesellschaften überführt. Hierbei kommt der Besitzgesellschaft (regelmäßig Personengesellschaft) die Funktion der Vermögensverwaltung und der Betriebsgesellschaft (meist Kapitalgesellschaft) die der operativen Betriebsführung zu. Voraussetzung einer Betriebsaufspaltung ist die personelle Verflechtung. Sie ist gegeben, wenn die an der Besitz- und Betriebsgesellschaft beteiligten natürlichen Personen einen einheitlichen geschäftlichen Bestätigungswillen haben. Das BMF-Schreiben befasst sich mit dem Sonderfall der mittelbaren Beteiligung an der Besitz-Personengesellschaft über eine Kapitalgesellschaft, und zwar mit dem Zeitpunkt der Berücksichtigung.

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Vermögensverwaltende Personengesellschaften (§ 14 S. 3 AO) sind keine „Gewerbebetriebe“ im Sinne des § 15 EStG. Sie unterliegen deshalb nicht der Gewerbesteuer (§ 2 Abs. 1 GewStG). Allerdings ist Vorsicht geboten, wenn beispielsweise die Bedingungen der gewerblichen Infektion (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG) oder gewerblichen Prägung (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) vorliegen. Dann wird aus einer vermögensverwaltenden Tätigkeit einer Personengesellschaft ganz schnell ein Gewerbebetrieb – bei der Einkommensteuer, aber auch bei der Gewerbesteuer. Die entstehende Zusatzlast durch die Gewerbesteuer wird bei natürlichen Personen als Gesellschafter durch die Steuerermäßigung nach § 35 EStG abgefedert.

Die „Betriebsaufspaltung“ führt ebenfalls zu gewerblichen Einkünften, allerdings nach neuerer Rechtsprechung nicht aufgrund einer Fiktion (Annahme), sondern weil eine originär gewerbliche Tätigkeit (des Besitzunternehmens) vorliegt (BFH Urt. v. 17.11.2020 – I R 72/16, BStBl. II 2021, 484, Rn. 17). Damit unterliegt die Tätigkeit des Besitzunternehmens auch der Gewerbesteuer (§ 2 Abs. 1 GewStG). Eine Betriebsaufspaltung liegt nach ständiger Rechtsprechung des BFH (BFH Beschl. v. 8.11.1971 – GrS 2/71, BStBl. II 1972, 63) vor, wenn

  • einem Betriebsunternehmen wesentliche Grundlagen für seinen Betrieb von einem Besitzunternehmen überlassen werden (sachliche Verflechtung) und
  • die hinter dem Betriebs- und Besitzunternehmen stehenden Personen einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen haben (personelle Verflechtung); dieser ist anzunehmen, wenn die Person oder Personengruppe, die das Besitzunternehmen beherrscht, auch in der Betriebsgesellschaft ihren Willen durchsetzen kann.

Für die personelle Verflechtung gibt es vermeintlich klare „Spielregeln“, die in der Regel auf den Besitz der Mehrheit der Stimmrechte (!) abstellen (EStH 15.7 Abs. 6, „Mehrheit der Stimmrechte“). In Bezug auf das Betriebsunternehmen ist dabei seit Langem auch die Möglichkeit einer „mittelbaren Beherrschung“ anerkannt: Die personelle Verflechtung kann auch über eine zwischengeschaltete Kapitalgesellschaft vermittelt werden (z.B. BFH Urt. v. 29.11.2017 – X R 8/16, BStBl. II 2018, 426, Rn. 48).

In einem neuen, derzeit stark diskutierten (z.B. Broemel/Klein, DStR 2022, 857) Urteil hat der IV. Senat des BFH nun eine solche mittelbare Beherrschung auch für das Besitzunternehmen bejaht (BFH Urt. v. 16.9.2021 – IV R 7/18, DStR 2022, 189). Bislang herrschte insoweit ein „Durchgriffsverbot“, wonach eine nur mittelbar über eine Kapitalgesellschaft bestehende Beteiligung an einer Besitz-Personengesellschaft mangels Mitunternehmerstellung des mittelbar Beteiligten nicht zu einer personellen Verflechtung führen konnte. Diese ständige Rechtsprechung (BFH Urt. v. 16.9.2021 – IV R 7/18, DStR 2022, 189, Rn. 34) hat der IV. Senat des BFH aufgegeben: Für den Fall einer Besitz-Personengesellschaft sieht er keine sachlichen Gründe für die bisherige Unterscheidung zwischen einer mittelbaren Beteiligung über eine Kapitalgesellschaft am Betriebsunternehmen und einer solchen am Besitzunternehmen.

Damit fallen künftig mehr Fälle in den Anwendungsbereich der Betriebsaufspaltung. Der BFH selbst hatte in seinem Urteil keine Übergangsfrist zur Anwendung der neuen Rechtsprechung vorgegeben (siehe zu einer solchen Regelung etwa BFH Beschl. v. 17.12.2007 – GrS 2/04, DStR 2008, 545, zur (fehlenden) Vererblichkeit des Verlustabzugs nach § 10d EStG). Um die Folgen dieser Rechtsprechungsänderung für die betroffenen Steuerpflichtigen abzufedern, hat das BMF mit seinem Schreiben vom 21.11.2022 eine Regelung zum Vertrauensschutz erlassen. Eine über eine Kapitalgesellschaft vermittelte Beteiligung an der Besitz-Personengesellschaft ist bei der Beurteilung einer personellen Verflechtung als eine der Voraussetzungen einer Betriebsaufspaltung erst ab dem Veranlagungszeitraum 2024 zu berücksichtigen.

 

 

Praxishinweise:

  • Die Schreiben sorgen für Sicherheit bei den Betroffenen bis zum Ende des Veranlagungszeitraums bzw. Erhebungszeitraums 2023. Wie am 1.1.2024 mit der dann anzuwendenden Rechtsprechungsänderung umzugehen ist, bleibt unklar. Ergibt sich dann eine „Betriebseröffnung“ bei der Besitzgesellschaft – mit der Folge der Bewertung der Wirtschaftsgüter nach § 6 Abs. 1 Nr. 6 EStG? Oder lag die Betriebsaufspaltung „eigentlich schon immer vor“ und wurden lediglich die Rechtsfolgen nicht gezogen?
  • Aufgrund der Übergangsregelung bleibt den betroffenen Steuerpflichtigen Zeit, ihre Beteiligungen so umzustrukturieren, dass keine Betriebsaufspaltung besteht, falls diese für sie unerwünschte Folgen hat.
  • Eine dieser Folgen einer Betriebsaufspaltung ist, dass das Besitzunternehmen die Gewerbesteuerpflicht nicht durch einen Antrag auf „erweiterte Kürzung“ nach § 9 Nr. 1 S. 2 ff. GewStG „unterlaufen“ kann (GewStH 9.2 Abs. 2 „Betriebsaufspaltung“). Auch insoweit gewähren die Finanzbehörden einen Vertrauensschutz bis einschließlich des Erhebungszeitraums (§ 14 S. 2 f. GewStG) 2023: In „Gleich lautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden der Länder“ vom 22.11.2022 wird aus Vertrauensschutzgründen bestätigt, dass die Finanzverwaltung bis einschließlich des Erhebungszeitraums 2023 in einschlägigen Fällen einen Antrag auf erweiterte Kürzung allein wegen der neuen Rechtsprechungslinie nicht versagen wird. Die (strengen) sonstigen Voraussetzungen der erweiterten Kürzung müssen dafür natürlich weiterhin beachtet werden.
  • Vorsicht ist auch bei einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr (§ 8b S. 2 EStDV) der Besitz-Personengesellschaft geboten. Nach § 10 Abs. 2 GewStG gilt der Gewerbeertrag als in dem Erhebungszeitraum bezogen, in dem das Wirtschaftsjahr endet. Im Wirtschaftsjahr 2023/2024 könnte dann bereits die neue Rechtsprechungslinie zur Anwendung kommen.
  • Bei einer Konstellation von zwei „Schwester-Kapitalgesellschaften“ greift die neue Rechtsprechung nicht. Sie bezieht sich ausdrücklich nur auf die mittelbare Beteiligung an einer Besitz-Personengesellschaft. Der I. Senat des BFH vertritt zu „Schwester-Kapitalgesellschaften“ weiterhin die ständige Rechtsprechungslinie, wonach in diesen Fällen keine personelle Verflechtung vorliegt (BFH Urt. v. 16.9.2021 – IV R 7/18, DStR 2022, 189, Rn. 40). Die erweiterte Kürzung ist daher bei der vermietenden Schwester-Kapitalgesellschaft auch weiterhin möglich. Genau dies betonen auch die beiden Schreiben der Finanzverwaltung vom 21.11.2022 und 22.11.2022 noch einmal ausdrücklich.

 

 

Dr. Martin Weiss, Steuerberater, Fachberater für Internationales Steuerrecht, Dipl.-Kfm., Verlag C.H.BECK, München

 

BC 12/2022

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