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Wahlrecht zwischen Sofort- und Zuflussbesteuerung auch bei Veräußerung von Wirtschaftsgütern gegen wiederkehrende Bezüge im Rahmen einer Betriebsaufgabe

Christian Thurow

BFH-Urteil vom 29.6.2022 – X R 6/20

 

In der Psychologie sind die positiven Auswirkungen eines sogenannten Belohnungsaufschubs hinlänglich bekannt. Hierbei erfolgt eine Belohnung nicht sofort, sondern verzögert. Der deutsche Fiskus scheint von diesem Effekt noch nicht gehört zu haben, sondern wünscht sich seine Belohnung – in Form von Steuerzahlungen – gerne direkt hier und jetzt. Der BFH dagegen scheint dem Belohnungsaufschub in Form der Zuflussbesteuerung etwas abgewinnen zu können.

 

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Ein Handwerker gab seinen Betrieb aus gesundheitlichen Gründen auf und veräußerte einen Großteil der Wirtschaftsgüter gegen die Zahlung einer lebenslangen monatlichen Rente.

Aus Sicht des Finanzamts war der Barwert der Leibrente bei der Ermittlung des Aufgabegewinns zu berücksichtigen. Ein Wahlrecht zur Besteuerung des Zuflusses sei nur bei einer Betriebsveräußerung vorgesehen, nicht aber bei einer Betriebsaufgabe.

Aus Sicht des Handwerkers war die Sofortbesteuerung nicht angemessen, da hier die Gefahr bestehe, dass er bei Versterben vor dem Erreichen seiner statistischen Lebenserwartung einen zu hohen Gewinn versteuere.

 

 

Lösung

Der BFH widerspricht in seinem Urteil der Auffassung von Finanzamt und erstinstanzlichem Finanzgericht. Das Wahlrecht zwischen Sofort- und Zuflussbesteuerung bei einer Betriebsveräußerung beruht auf der gängigen BFH-Rechtsprechung. Die hierbei entwickelten Grundsätze sind allerdings auch auf den Fall einer Betriebsaufgabe anwendbar. Ebenso wie nach der Betriebsveräußerung im Ganzen ist der Veräußerer nach einer Veräußerung einzelner Wirtschaftsgüter im Rahmen einer Betriebsaufgabe nicht mehr Inhaber des Betriebs.

Im Vordergrund der Rechtsprechung steht das Risiko, dass im Fall eines frühen Todes des Veräußerers bei einer Sofortbesteuerung mehr versteuert werden muss, als dem Steuerpflichtigen tatsächlich zugeflossen ist. Um diesem Risiko zu begegnen, ist es angemessen, bei der Besteuerung auf den tatsächlichen Zufluss der monatlichen Zahlungen abzustellen. Der Steuerpflichtige hat also auch bei einer Betriebsaufgabe ein Wahlrecht zwischen Sofort- und Zuflussbesteuerung. Dass der Steuerpflichtige im Ausgangsfall einen Teil der zuvor betrieblich genutzten Wirtschaftsgüter in seinem Eigentum behält und nur einen Teil weiterveräußert, ist für die Anwendung des Wahlrechts unerheblich.

 

Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)

BC 1/2023 

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