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Leitlinien für die Nachhaltigkeitsberichterstattung im Mittelstand

Dr. Hans-Jürgen Hillmer

KMU-orientierte Governance-Grundsätze vom 13.3.2023


Der richtige Umgang mit dem Thema „ESG“ stellt gerade mittelständische Unternehmen aktuell vor große Herausforderungen. Helfen können neue neutrale Leitlinien für den Mittelstand, die es Unternehmen erleichtern sollen, sich mit ESG-Themen in der Unternehmensführung zu befassen und Ziele für die nachhaltige Ausrichtung zu setzen.


 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Im Mittelstand wird insbesondere die Erfüllung der neuen Regulierungsmaßnahmen zur Nachhaltigkeitsberichterstattung intensive Arbeiten mit hohen Kosten verursachen (vgl. zum Thema zuletzt Hillmer, Nachhaltigkeitsreporting: Überforderung des Mittelstands?). Die insoweit für ESG-Aspekte (Environmental (E), Social (S) und Governance (G) – auf Deutsch: Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) verfügbaren Standards wurden meist für börsennotierte Konzerne entwickelt und sind für den Mittelstand häufig in weiten Teilen ungeeignet.

Vor diesem Hintergrund hat sich eine Expertenkommission unter Vorsitz von Prof. Dr. Julia Redenius-Hövermann (Frankfurt School of Finance & Management) und ihrer Stellvertreterin Prof. Dr. Christina E. Bannier (Justus-Liebig-Universität Gießen) die Aufgabe gestellt, die insoweit identifizierte Lücke mit KMU-orientierten Grundsätzen zu schließen. Die Expertenkommission besteht aus Aufsichtsräten, Management, Verbänden, Wissenschaft sowie Prüfungs- und Beratungsgesellschaften; am 13.3.2023 wurden nun – als anwendungsorientiertes Arbeitsergebnis – die „Governance-Leitlinien für Nachhaltigkeit im Mittelstand“ vorgestellt. Als neutrale Grundlage sollen sie es Mittelständlern erleichtern, sich mit ESG-Themen in der Unternehmensführung zu befassen und Ziele für die nachhaltige Ausrichtung ihrer Unternehmen zu setzen, die sie im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit umsetzen können. Das betrifft auch die Nachhaltigkeitsberichterstattung (NBR), der in diesem Rahmen eine wichtige Funktion zukommt. 

 

Lösung

Die Leitlinien enthalten Empfehlungen für relevante Maßnahmen zur nachhaltigen Strukturierung und Organisation des Unternehmens. Als nachhaltig wird dabei eine Unternehmenstätigkeit verstanden, die auch ökologische und soziale Ziele ausreichend berücksichtigt und Bedürfnissen der Gegenwart gerecht wird, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können. Die Leitlinien stellen dem Mittelstand wissenschaftlich fundierte und zugleich anwendungsorientierte Handlungsempfehlungen in Form von 14 Grundsätzen bereit, die in die Kapitel

  • Geschäftsleitung,
  • Aufsichtsgremium sowie
  • Unternehmensprozesse und Berichterstattung

gegliedert sind (in der beigefügten Tabelle sind diese Grundsätze mit Fokus auf die NBR aufgelistet; sie sind im PDF-Dokument der Leitlinien mit Best-Practice-Beispielen versehen, anhand derer die Unternehmen eine nachhaltige Governance etablieren können).

 

Tabelle: KMU-Leitlinien zur Nachhaltigkeit mit NBR-Fokus
Grundsatz 1
 
Die Geschäftsleitung (GL) führt das Unternehmen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben, der unternehmensinternen Regelungen und der definierten normativen Werte. Dabei sollen auch Aspekte der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit handlungsleitend berücksichtigt werden.
Grundsätze 2 bis 5 Weitere Aufgaben der GL: Wesentlichkeitsanalyse, Erarbeitung Nachhaltigkeitsstrategie, Informationen an Aufsichtsgremium, Verantwortlichkeiten im Unternehmen.
Grundsatz 6 Das Aufsichtsgremium soll bei der Überwachung und Beratung der Geschäftsleitung im Rahmen des Unternehmensinteresses insbesondere die Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit, Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Handelns der Geschäftsleitung sowie die Verfolgung einer mit dem Geschäftszweck des Unternehmens im Einklang stehenden sowie an wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Zielen nachhaltig ausgerichteten Strategie berücksichtigen.
Grundsätze 7 bis 9 Weitere Anforderungen und Aufgaben des Aufsichtsgremiums: eigenes Kompetenzprofil, Anforderungsprofil GL, Vergütung GL.
Grundsatz 10 Die Nachhaltigkeitsberichterstattung soll sich an den gesetzlichen Anforderungen sowie den relevanten Stakeholder-Erwartungen (z.B. Investoren, Lieferanten, Kunden) und somit an den wesentlichen Nachhaltigkeitsthemen für das Unternehmen orientieren.
Grundsatz 11 Damit Nachhaltigkeitsberichterstattung als Katalysator fungieren kann, um das Nachhaltigkeitsmanagement zu professionalisieren, sollen die strategischen Ansätze, die Governance-Strukturen sowie die Datenerhebung und das Controlling in die regulären Managementsysteme, Unternehmensprozesse und Kontrollkonzepte integriert werden.
Grundsatz 12 Professionelles Nachhaltigkeitsmanagement soll einen konsistenten Abgleich von strategischen Nachhaltigkeitszielen mit verlässlicher quantitativer und qualitativer Erfolgsüberprüfung (Performancemessung über Leistungsindikatoren) vorsehen.
Grundsatz 13 Unternehmen sollen die Entwicklung einer professionellen Nachhaltigkeitsberichterstattung und entsprechender Prozesse zu einer Steigerung der Attraktivität auch der administrativen Funktion als Arbeitgeber mit Nachhaltigkeitsperspektive nutzen.
Grundsatz 14 Unternehmen sollen sich bewusst machen, dass eine individuell aufgesetzte Nachhaltigkeitsberichterstattung auch die notwendigen Daten bereitstellt, um die Transparenzanforderungen von Geschäftskunden zu bedienen, und als Zulieferer den Zugang zu Aufträgen sichert.

 

 

Julia Redenius-Hövermann betonte anlässlich der Vorstellung am 13.3.2023, dass die Leitlinien gleichermaßen Impulse geben und Hilfestellung leisten sollen. Die Grundsätze sollen „Denkanstöße geben, ob und wie sich das Thema Nachhaltigkeit in Prozessen und Kontrollstrukturen im Sinne des Unternehmensinteresses, der Produktivität und Resilienz verankern lässt“. Besonders bemerkenswert, weil praxisorientiert, ist, dass die Grundsätze mit konkreten Beispielen (Best Practices) versehen sind. Hiermit werde die „Vielfältigkeit gespiegelt, die die Umsetzung nachhaltiger Strategien in der Unternehmensführung erlaubt“. Dem fügte Christina Bannier ergänzend hinzu, dass insbesondere das Thema „Wesentlichkeit“, das in der finalen Version der neuen europäischen Nachhaltigkeitsberichterstattungspflichten weite Spielräume zulässt, daher in den Leitlinien eine wichtige Rolle einnehme.

 

Praxishinweise:

  • Ein Lob für die in der Tabelle aufgelisteten Leitlinien kommt von einem als Vorreiter bereits ausgezeichneten Familienunternehmen, das Nachhaltigkeit vorbildlich lebt. Es handelt sich um die Dussmann Group, die von der Rating-Agentur EcoVadis die Platin-Auszeichnung ihrer Nachhaltigkeitsstrategie erhalten hat und sich damit zu dem besten 1% aller weltweit analysierten Unternehmen rechnen darf. Wolf-Dieter Adlhoch, Vorsitzender des Vorstands, Dussmann Group, spricht für die mittelständischen Unternehmen, die diese Leitlinien zum Aufbau ihres Nachhaltigkeitsmanagements heranziehen, die Empfehlung aus, dass sie in der Lage sein werden, die Grundlage für eine wirkungsvolle Nachhaltigkeitsstrategie zu legen und so zur nachhaltigen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft beitragen können.
  • Die Governance-Leitlinien für Nachhaltigkeit Mittelstandsunternehmen können heruntergeladen werden (PDF-Dokument im Umfang von 44 S.). Die Leitlinien sollen fortlaufend überprüft, bei Bedarf angepasst und überarbeitet werden. Zudem wird auf der Internetseite der Expertenkommission weiteres Informationsmaterial zur Verfügung gestellt.
  • Um die deutlichen Unterschiede mittelständischer Unternehmen in Bezug auf Größe, Rechtsform, Eigentümerstruktur, Ausrichtung oder Branchenzugehörigkeit – und die sich daraus ergebenden individuellen Herausforderungen – in den Leitfaden einfließen zu lassen, umfasst die Expertenkommission ein weites Personenspektrum: Neben wissenschaftlicher Fundierung und Neutralität ist Expertise aus dem Mittelstand (ergänzt um die Perspektive von Governance- und Prüfungs-Experten) aus dem Finanzsektor sowie von juristischer Seite vertreten. Die Expertenkommission wird geleitet von Prof. Dr. Julia Redenius-Hövermann und ihrer Stellvertreterin Prof. Dr. Christina E. Bannier; die Kommission ist entsprechend der Struktur der Leitlinien in vier Arbeitskreise aufgeteilt, die von Prof. Dr. Christoph Kumpan (AK Präambel), von Prof. Dr. Klaus-Michael Ahrend und Bettina Laurick (AK Geschäftsleitung), von Prof. Christian Strenger und Dr. Jan Dörrwächter (AK Aufsichtsgremium) und von Dr. Arno Probst (AK Berichterstattung) geleitet werden.
  • Zur Umsetzung der mit den Leitlinien festgeschriebenen Anforderungen wird es kostengünstiger, auf Mittelstandsbedürfnisse zugeschnittene Softwarelösungen einzusetzen. Darauf wurde vom BVBC-Arbeitskreis Nachhaltigkeitsberichterstattung bereits hingewiesen (vgl. BC 2022, 485 f., Heft 11). Aktuell hat der internationale ERP-Hersteller Monitor in einer lesenswerten Mitteilung vom 14.3.2023 anhand von konkreten Beispielen erklärt, wie ERP-Lösungen die Umsetzung von ESG-Aufgaben unterstützen können. Nähere Erläuterungen hierzu sind in Vorbereitung.

                                 

 

Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld

 

BC 4/2023

BC2023413 

 

 

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