BFH-Urteil vom 30.6.2015, VII R 30/14
Es besteht kein Anspruch des Leistungsempfängers aus § 37 Abs. 2 AO auf Erstattung zu Unrecht vom Leistenden in Rechnung gestellter Umsatzsteuer gegen den Fiskus, wenn eine Erstattung vom Leistenden wegen dessen Insolvenz nicht mehr (vollständig) erreicht werden kann.
Es kann jedoch eine Erstattung der Vorsteuer im Wege eines Billigkeitsverfahrens erfolgen.
[Leitsatz d. Red.]
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Problemstellung
Der Messe-Dienstleister E stellte in den Jahren 1999 bis 2005 an den Leistungsempfänger F Rechnungen aus, in denen Umsatzsteuer in Höhe von über 4,8 Mio. € ausgewiesen war. Diesen Betrag führte E an das zuständige Finanzamt (FA) ab. F machte wiederum die Vorsteuer bei dem für ihn zuständigen FA X geltend.
Im Zuge einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung beim Dienstleister E wurde festgestellt, dass die Leistungen des E im Ausland erbracht worden sind und im Inland nicht umsatzsteuerpflichtig waren. Daraufhin erstattete F große Teile der Vorsteuerbeträge dem FA X und forderte von E die Rückzahlung der rechtswidrig gezahlten Umsatzsteuer bzw. die Abtretung deren Erstattungsanspruchs gegen das FA.
Am 24.3.2006 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des E eröffnet. Das FA erstattete die in den fraglichen Rechnungen zu Unrecht gezahlte (ausgewiesene) Umsatzsteuer der Insolvenzmasse. Der Insolvenzverwalter erteilte dem Leistungsempfänger F berichtigte Rechnungen ohne Ausweis der Umsatzsteuer. Zugleich verwies er F auf die Anmeldung des Erstattungsbetrags zur Insolvenztabelle.
F beantragte beim FA sodann die Erstattung der zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer (gemäß § 37 Abs. 2 AO i.V.m. § 14c Abs. 1, § 17 UStG). Das FA lehnte diesen Antrag ab. Grund: Im Fall der Anerkennung eines Direktanspruchs der Klägerin nach § 37 Abs. 2 AO müsse der Fiskus doppelt erstatten.
Lösung
Der Leistungsempfänger F hat gegen das FA keinen Anspruch auf Erstattung des Umsatzsteuerbetrags, der ihm von E zu Unrecht in Rechnung gestellt und dem E gezahlt worden ist. F kann seinen Erstattungsanspruch nicht auf § 37 Abs. 2 AO stützen. Nach dieser Vorschrift hat nur derjenige einen Erstattungsanspruch aus Überzahlungen, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist. Das sind hinsichtlich der zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer allein die Rechnungsaussteller, die ihre Rechnungen nach § 17 UStG berichtigt haben.
Der nicht realisierbare Teil des Erstattungsanspruchs – nach dem quotalen Ausgleich der Insolvenzforderung – kann jedoch (gemäß den Billigkeitsregelungen der § 163 und § 227 AO) im Verfahren der Vorsteuererstattung erstattet werden.
- Einerseits: Dem Leistungsempfänger F ist der zur Neutralisierung der wirtschaftlichen Belastung mit der Umsatzsteuer führende Vorsteuerabzug (gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG) – unabhängig von einer späteren Rechnungsberichtigung – versagt, wenn die erbrachten Leistungen in Deutschland nicht steuerbar waren. Denn das Recht auf Vorsteuerabzug besteht nur für diejenigen Steuern, die geschuldet werden, d.h. mit einem der Umsatzsteuer unterworfenen Umsatz in Zusammenhang stehen. Das Recht auf Vorsteuerabzug erstreckt sich nicht auf eine Steuer, die ausschließlich deshalb geschuldet wird, weil sie in der Rechnung ausgewiesen ist.
- Andererseits: Die Billigkeitsregelungen des § 163 (abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen) und des § 227 AO (Erstattung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis) bieten eine hinreichende Möglichkeit, trotz Nichtvorliegens der materiell-umsatzsteuerrechtlichen Voraussetzungen den Vorsteuerabzug – jedenfalls im wirtschaftlichen Ergebnis – geltend zu machen. Auf diesem Weg erhält der Leistungsempfänger den im Insolvenzverfahren nicht zu realisierenden Teil der gegen den Rechnungsaussteller gerichteten, zivilrechtlichen Forderung vom FA erstattet. Diesen Anspruch auf einen Billigkeitserweis sollte der Leistungsempfänger F beim FA X geltend machen.
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[Anm. d. Red.]
BC 10/2015
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