Dr. Hans-Jürgen Hillmer
BFH-Urteil vom 3.12.2015, V R 61/14
Die Umsatzsteuerermäßigung für ausübende Künstler hängt nicht davon ab, ob von den Zuschauern oder Zuhörern eine „Eintrittsberechtigung“ verlangt wird. Ein Trauer- oder Hochzeitsredner ist ein solcher „ausübender Künstler“, wenn seine Leistungen eine schöpferische Gestaltungshöhe erreichen.
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Problemstellung
Die Abgrenzung zwischen der Anwendung des umsatzsteuerlichen Regelsteuersatzes (19%) und des ermäßigten Steuersatzes (7%) gehört zu den steuerlichen Grundproblemen, mit denen sich jedes deutsche Buchhaltungsbüro auseinandersetzen muss – oft täglich, wenn z.B. Blumen zusammen mit Vasen oder Bürokaffee zusammen mit Kaffeetassen im Rahmen eines Einkaufs beschafft werden. Eine spezifische Variante dieses Abgrenzungsproblems stellt sich bei besonderen Anlässen, die von so erfreulichen Events wie Hochzeitsfeierlichkeiten bis hin zu so traurigen Verpflichtungen wie Beerdigungen reichen: Das ist z.B. der Fall, wenn damit befasste Catering- und Eventagenturen die Aufgabe gestellt bekommen, einen Hochzeits- bzw. Trauerredner zu engagieren. Letzteres dürfte in Familienunternehmen gar nicht so selten vorkommen. Betrieblich veranlasste Hochzeitsfeste gibt es zwar durchaus noch hie und da – da sie aber doch eher früheren Jahrhunderten zuzuordnen sind, dürfen Fragen der steuerlichen Anerkennung hier vernachlässigt werden, um die Argumentation auf den Trauerredner konzentrieren zu können.
Mit der rechnerischen Abwicklung solcher Veranstaltungen befasste Bilanzbuchhalter und andere Buchungsfachleute können nun dem neuen, am 17.2.2016 veröffentlichten BFH-Urteil (vom 3.12.2015) entnehmen, dass Hochzeits- und Trauerredner unter bestimmten Voraussetzungen den ermäßigten Steuersatz als ausübende Künstler in Anspruch nehmen dürfen. Im Streitfall hatte der Kläger für die von ihm gehaltenen Hochzeits-, Geburtstags-, Trennungs- und Trauerreden den ermäßigten Steuersatz geltend gemacht, während sich Finanzamt und Finanzgericht (FG) für die Anwendung des Regelsteuersatzes aussprachen.
Lösung
Demgegenüber hält der BFH die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes für möglich. Denn der ermäßigte Steuersatz von 7% umfasst auch die Eintrittsberechtigung für Theater, Konzerte und Museen sowie die den Theatervorführungen und Konzerten vergleichbaren Darbietungen ausübender Künstler (§ 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG). Nach den Feststellungen des BFH kommt es für die Steuerbegünstigung der Darbietungen ausübender Künstler nicht auf die Art der Vergütung an. Letztere muss entgegen dem – keineswegs als Aprilscherz fehleinzuschätzenden – Urteil des FG Nürnberg vom 1.4.2014 (Az.: 2 K 1042/12, EFG 2014, 1343) nicht in einer von einem Zuhörer oder Zuschauer gezahlten Eintrittsberechtigung bestehen. Vielmehr gilt dies auch für eine Vergütung durch den Veranstalter des Ereignisses – wie etwa dem Unternehmen bei einer Trauerfreier für den verstorbenen Senior-Chef.
Entscheidende Bedeutung misst der BFH dem Begriff des „ausübenden Künstlers“ zu. Für die Darbietungen des Trauer- oder Hochzeitsredners müssen eigenschöpferische Leistungen prägend sein, um die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes zu rechtfertigen. Schablonenartige Redetätigkeiten sind danach nicht begünstigt.
- Die Last der konkreten Feststellung solcher Fertigkeiten, die den Begriff des „ausübenden Künstlers“ ausfüllen, mögen die Münchener BFH-Richter allerdings nicht selbst tragen, sondern wälzen sie auf die Nürnberger Vorinstanz ab, auf Richterkollegen also, die sich in einem immerhin auch noch bayerisch geprägten Umfeld bewegen, selbst wenn dies manchem schon fränkische Kopfschmerzen bereiten wird. Auch jenseits des Mains beheimatete Nordlichter bekommen vom BFH den Anhaltspunkt vorgegeben, dass die Einstufung einer Tätigkeit als die eines „ausübenden Künstlers“ nicht an der fehlenden Eintrittsberechtigung bei Hochzeits- und Trauerreden scheitert.
- Sogar die Rechtsprechung des EuGH bemüht der BFH für die Aussage, dass es für die steuerbegünstigte Leistung eines ausübenden Künstlers nach dem Neutralitätsgrundsatz genügt, wenn er sein Entgelt nicht von den Zuhörern oder Zuschauern, sondern von einem Veranstalter erhält.
- In der Praxis keine Rolle spielen dürfte die im Streitfall gegebene Tatsache, dass der Kläger evangelische Theologie studiert hatte und auf dieser Ausbildungsbasis Hochzeits-, Geburtstags-, Trennungs- und Trauerreden hielt. Auch künstlerisch ambitionierte Bilanzbuchhalter und Controller dürfen also in analoger Übertragung der BFH-Ansicht auf die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes hoffen, wenn sie sich jenseits nüchterner Zahlenkolonnen als „Event-Pfarrer“ und „Zeremonienmeister“ in der Darbietung eines Gesamtkunstwerks betätigen (so die Darstellung des studierten Theologen im Streitfall).
- Die zunächst mit diesem Fall befassten Finanzbeamten vermochten in solchem Tun allerdings kein „Gesamtkunstwerk“ zu erkennen: Es fehle „an einer künstlerischen Gestaltungshöhe“. Die Auslegung dessen, was hoch genug für eine solche wäre, kann hier jedoch zunächst offenbleiben; denn die Finanzbeamten wollen wissen, dass der Teilnehmer einer Trauerfeier nicht teilnehme, „um einem Kunstgenuss beizuwohnen, sondern um dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen“. Und ein praktisches Argument liefert die Finanzverwaltung auch gleich mit: „Das Finanzamt sei nicht in der Lage, jede einzelne Hochzeits- oder Trauerrede nach ihrer Gestaltungshöhe zu bewerten und könne den Trauerredner nur typisierend einordnen.“ Diese fiskalische Selbstbeschränkung verdient Lob. Das sieht der BFH allerdings offenbar ganz anders.
- Demgegenüber trauen sich Finanzrichter doch erheblich mehr zu, was für den BFH aber kein Ruhmesblatt ist; denn man selbst könne ja „mangels weiterer Tatsachenfeststellungen zum Inhalt der Reden nicht“ entscheiden. Dafür hat man in München ja auch anderweitig genug zu tun; schließlich stellt sich der BFH sehr breit auf und kommt in seiner Grundsatzentscheidung – deren Stellenwert sogar mit einer eigens herausgegebenen Pressemitteilung unterstrichen wird – nicht nur auf „Theater, Orchester, Kammermusikensembles, Chöre und Museen“ zu sprechen, sondern hält auch die Bezugnahme auf „Zirkus, Jahrmärkte, Vergnügungsparks, Konzerte, Museen“ und sogar Tierparks für geboten.
- Warum so viel Zirkus um ein steuerliches Randproblem? Immerhin schimmert Verständnis des BFH für ein oben seitens der Finanzverwaltung bereits befürchtetes Übermaß an Arbeitsbelastungen durch, indem es als nicht sachgerecht eingestuft wird, „wenn eine künstlerische Leistung bei einer geschlossenen Hochzeitsfeier nicht begünstigt würde, während bei einem vergleichbaren Vortrag auf einer Trauerfeier in faktischer Öffentlichkeit, bei der der Zutritt von Nachbarn und anderen Bekannten nicht ausgeschlossen ist und z.B. bei der Trauerfeier einer bekannten Persönlichkeit eine Vielzahl von Teilnehmern erreichen kann, nach der Anzahl der nicht geladenen, aber teilnehmenden Gäste unterschieden werden müsste“. Richtig so, auch wenn das Problem etwas aufgebauscht erscheinen mag, indem schlicht ungeladene Teilnehmer arg umständlich als „nicht geladene, aber teilnehmende Gäste“ bezeichnet werden. Wem solche semantische Vernebelung nützt, bleibt vorerst ein BFH-Geheimnis – oder soll aus dem Bezeichnungsumstand etwa eine diskriminierungsverdächtige Wertung herausgelesen werden?
- Wohl auch um die Gefahr eigener Definitionsschwierigkeiten in Grenzen zu halten, zieht sich der BFH dann noch auf die schon aus 1971 und 1984 stammende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurück, wonach das Wesen einer künstlerischen Tätigkeit in der freien schöpferischen Gestaltung liegt, „in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden“. Der Rückzug auf diese an Abstraktheit kaum noch zu überbietende Begriffsumschreibung führt den BFH zu seiner Schlusserkenntnis, dass bei einer Redetätigkeit die schöpferische Gestaltungskraft fehlen werde, „wenn sie sich im Wesentlichen auf eine schablonenartige Wiederholung anhand eines Redegerüstes beschränkt“. Das müssten immerhin Politiker und copy-paste-erfahrene Ersteller von Begründungstexten gut nachvollziehen können.
- Zum guten Schluss drängt sich die Frage auf, ob Juristerei und künstlerische Fähigkeiten vielleicht in manchen Fällen doch zu weit auseinanderliegen? Den Umsetzungsproblemen in der Buchführungspraxis könnten Politiker abhelfen, wenn sie sich an die Aufgabe herantrauen würden, die teilweise bizarr anmutenden Zuordnungen zum ermäßigten Steuersatz durch Eindampfen des Letzteren auf einige Kerntatbestände zu erleichtern. Das wäre dann im Endeffekt wenigstens noch ein Praxisnutzen der BFH-Rechtsprechung, die ansonsten mehr Fragen aufwirft als löst.
- Wie nicht selten sonst auch drängt sich die Metapher auf, wonach man vor Gericht und auf hoher See nur noch auf Gottes Hand vertrauen kann. Griffige Abgrenzungshilfen beispielsweise für Rechnungsprüfungsprozesse in den Unternehmen wären besser als der Aufbau von nicht objektivierbaren Konstrukthürden!
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Dipl.-Kfm. Dr. Hans-Jürgen Hillmer, Coesfeld
BC 3/2016
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