FG Münster, Urteil vom 25.9.2014 (veröffentlicht am 15.4.2017), 5 K 1766/14 U (rkr.)
- In den Fällen eines unrichtigen Steuerausweises ist die Berichtigung für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage (hier: Rechnungsberichtigung) eingetreten ist (§ 17 Abs. 1 Satz 7 UStG).
- Erfolgen Rechnungsberichtigungen erst mehrere Jahre nach Bestandskraft von Steuerbescheiden, ist für solche Zeiträume keine Rückwirkung von Rechnungsberichtigungen anzunehmen.
Praxis-Info!
Problemstellung
In den Streitjahren 1992 bis 2000 wurden grenzüberschreitende Beratungsleistungen umsatzsteuerpflichtig behandelt (Ausweis von Bruttohonorar inklusive Umsatzsteuer in den Rechnungen). Nach einer späteren Überprüfung stellte sich heraus, dass es sich im vorliegenden Fall um nicht steuerbare Leistungen handelte. Daher beantragte das Beratungsunternehmen – im Jahr 2008 (!) – für die Jahre 1994 bis 2000 die Erstattung der Umsatzsteuer.
Darüber hinaus hat das Beratungsunternehmen in den Jahren 2009 und 2010 die infrage kommenden Rechnungen berichtigt und die Umsatzsteuer nicht mehr offen ausgewiesen. Das Finanzamt nahm hierauf für 2009 und 2010 Umsatzsteuererstattungen vor.
Ende 2010 wurde beim Finanzamt die rückwirkende Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen für die Jahre 1992 bis 2000 beantragt (u.a. unter Bezugnahme auf die EuGH-Rechtsprechung vom 15.7.2010, C-368/09 – Pannon Gep Centrum). Die in 2009 und 2010 durchgeführten Rechnungsberichtigungen seien (nach Auffassung des Beratungsunternehmens) rückwirkende Ereignisse (im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO). Bei vor Inkrafttreten des Steueränderungsgesetzes 2003 (1.1.2004) erbrachten vergleichbaren Beratungsleistungen sei die Berichtigung ein rückwirkendes Ereignis. Der Rechnungsberichtigungsanspruch unterliege keiner Verjährung.
Das Finanzamt lehnte den Änderungsantrag der Umsatzsteuerfestsetzungen für die Jahre 1992 bis 2000 ab. Auch schon vor Inkrafttreten des Steueränderungsgesetzes 2003 sei eine Rechnungsberichtigung erst in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen gewesen, in dem die Änderung (Rechnungsberichtigung) eingetreten sei. Die Rechnungsberichtigung wirke nicht rückwirkend und sei kein rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 AO. Das Finanzamt habe keine Zusagen auf rückwirkende Rechnungsberichtigungen abgegeben.
Lösung
Die Ablehnung der Änderung der Bescheide für 1992 bis 2000 durch das Finanzamt ist zulässig. Die in 2009 und 2010 durchgeführten Rechnungsberichtigungen wirken nicht auf die Streitjahre 1992 bis 2000 zurück.
Vielmehr ist Verjährung eingetreten. Die regelmäßige vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist (gemäß § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO) begann für das Streitjahr 2000 am 31.12.2002 (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO) und endete am 31.12.2006. Für die noch weiter zurückliegenden Streitjahre endeten die Festsetzungsverjährungsfristen jeweils vorher. Die Änderungsanträge des Beratungsunternehmens sind erst im Jahr 2008 und somit deutlich nach Ablauf der jeweils geltenden Festsetzungsverjährungsfristen gestellt worden. § 171 Abs. 4 AO greift nicht ein, da für die Streitjahre nach Aktenlage keine steuerliche Außenprüfung (Umsatzsteuer-Sonderprüfung) stattgefunden hat.
Des Weiteren ist die Berichtigung einer inhaltlich falschen Rechnung kein „rückwirkendes Ereignis“ im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Für den Fall der Rechnungsberichtigung ist ausdrücklich geregelt, dass keine Rückwirkung eintritt. Der Unternehmer muss den geschuldeten Steuerbetrag in dem Besteuerungszeitraum berichtigen, in dem die Rechnungsberichtigung vorgenommen wurde (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 7 UStG, entsprechend anwendbar gemäß § 14 Abs. 2 bzw. § 14c Abs. 1 UStG).
Die erwähnten EuGH-Entscheidungen vom 15.7.2010 (C – 368/09 – Pannon Gep Centrum) und vom 8.5.2013 (C – 271/12 – Petroma) beschränken die Rückwirkung von Rechnungsberichtigungen ausdrücklich auf solche Vorgänge, die bis zur Verwaltungsentscheidung erfolgt sind (also bis zum Steuerbescheid oder zur Einspruchsentscheidung). Im Streitfall sind die Rechnungsberichtigungen nämlich erst mehrere Jahre nach Bestandskraft erfolgt. Für solche Zeiträume ist nach den vorgenannten Entscheidungen keine Rückwirkung von Rechnungsberichtigungen anzunehmen. Ein bestandskräftiger und erst recht festsetzungsverjährter Bescheid (nach Eintritt der Festsetzungsverjährungsfrist) ist nicht änderbar. Das EuGH-Urteil vom 15.7.2010 (C – 368/09 – Pannon Gep Centrum) geht von einer Rückwirkung einer berichtigten Rechnung nur dann aus, wenn die berichtigte Rechnung der Finanzbehörde vor Erlass ihrer Verwaltungsentscheidung vorgelegt worden ist. Dasselbe gilt für das EuGH-Urteil vom 8.5.2013 (C – 271/12 – Petroma).
Im Übrigen stellt der vorliegende Fall, dass nicht steuerbare Leistungen irrtümlich der Umsatzsteuer unterworfen wurden, keinen Fall des unberechtigten Steuerausweises dar (§ 14 Abs. 3 UStG a.F., § 14c Abs. 2 UStG). Vielmehr handelt es sich um einen Fall des unrichtigen Steuerausweises (§ 14 Abs. 2 UStG a.F., § 14c Abs. 1 UStG). Für den unrichtigen Steuerausweis hat es mit Blick auf die Rechnungsberichtigungsmodalitäten durch das Steueränderungsgesetz 2003 keine Änderungen gegeben.
- In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist derzeit noch nicht vollständig geklärt, ob eine Rechnungsberichtigung, die Rückwirkung entfalten soll, bis zum Erlass des Steuerbescheids oder bis zur Einspruchsentscheidung erfolgt sein muss. Diese Frage ist im Streitfall aber nicht klärungsfähig, weil die Rechnungsberichtigungen erst viele Jahre nach Bestandskraft der Steuerbescheide erfolgt sind.
- Schon bislang war es gängige Rechtsauffassung in Deutschland, dass ein Unternehmer eine Rechnung jederzeit berichtigen kann, sofern diese lediglich formale Fehler enthält (z.B. Rechtschreibfehler oder anderweitige falsche Angaben zum Rechnungsdatum oder Leistungszeitpunkt). Anders verhielt es sich, wenn die Umsatzsteuer unrechtmäßig ausgewiesen wird.
- Eine berichtigungsfähige Rechnung liegt dann vor, wenn sie Angaben
– zum Rechnungsaussteller, – zum Leistungsempfänger, – zur Leistungsbeschreibung, – zum Entgelt und – zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer enthält. Diesbezügliche Angaben sollten nicht in so hohem Maße unbestimmt, unvollständig oder offensichtlich unzutreffend sein, dass sie fehlenden Angaben gleichstehen. - Zur Rechnungsberichtigung müssen die fehlenden oder unzutreffenden Angaben durch ein Dokument, das spezifisch und eindeutig auf die Rechnung bezogen ist, übermittelt werden; es gelten die gleichen Anforderungen an Form und Inhalt wie in § 14 UStG (§ 31 Abs. 5 Sätze 2 und 3 UStDV).
- Für die Praxis ist Folgendes zu beachten: Auf die ordnungsgemäße Rechnungsstellung ist weiterhin äußerster Wert zu legen. Sofern z.B. während einer steuerlichen Betriebsprüfung oder Umsatzsteuer-Sonderprüfung eine Rechnung zu Recht beanstandet wird, empfiehlt es sich vorsorglich, so bald wie möglich dem Finanzamt eine korrigierte Rechnung zuzuleiten, die der Leistende zuvor ausgestellt hat. Die Umsatzsteuerbescheide bzw. Festsetzungen sollten angefochten werden. Als Vorsichtsmaßnahme sollte zusätzlich ein Antrag auf rückwirkende Gewährung des Vorsteuerabzugs nach § 163 AO im Billigkeitswege gestellt werden. Denn unklar ist, inwieweit die Rückwirkung für die Stornierung oder Neuausstellung fehlerhafter Rechnungen gilt. Das BFH-Urteil vom 20.10.2016, V R 26/15, bezieht sich lediglich auf die Rückwirkung der Rechnungsberichtigung hinsichtlich Rechnungsergänzungen (gemäß § 31 Abs. 5 Satz 1 UStDV).
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[Anm. d. Red.]
BC 5/2017
becklink389015