CHB_RSW_Logo_mit_Welle_trans
JuS_Logobasis_Linsenreflex
Menü

Umsatzsteuer
   

Was ist passiert im 1. Halbjahr 2021 in der Umsatzsteuer?

Dr. Stefanie Becker

 

Auch im ersten Halbjahr 2021 gab es wieder eine Vielzahl an interessanten Entscheidungen der Gerichte sowie BMF-Schreiben der Finanzverwaltung. Eine Auswahl wird im Folgenden vorgestellt.


 

Praxis-Info!

 

Steuerbare grenzüberschreitende Leistungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte

Leistungen zwischen einem Stammhaus und seiner unselbstständigen Betriebsstätte bzw. Zweigniederlassung erfolgen innerunternehmerisch und unterliegen damit nicht der Umsatzbesteuerung. Dies erstreckt sich gleichermaßen auf Fälle, in denen Stammhaus und z.B. Betriebsstätte in unterschiedlichen Staaten ansässig sind.

Der EuGH urteilte nun am 11.3.2021 (C-812/19) im Anschluss an seine Skandia-Rechtsprechung, dass dies nicht gilt, sofern das Stammhaus Teil einer Mehrwertsteuer-Gruppe (umsatzsteuerliche Organschaft) ist. In diesem Fall liege ein abweichender Unternehmer vor, sodass grenzüberschreitende Leistungen umsatzsteuerbar sind.

 

 

Praxisauswirkung:

Nach UStAE 2.9 Abs. 2 S. 2 werden solche Leistungen als nicht steuerbare Innenumsätze angesehen. Für deutsche Unternehmen besteht damit insoweit Vertrauensschutz. Im Übrigen sind die Auswirkungen des Urteils noch nicht abschließend absehbar. Die weiteren Entwicklungen auf Rechtsprechungsebene sowie seitens der Finanzverwaltung sind deshalb aufmerksam zu beobachten. Eine Rolle wird dabei auch der Ausgang der beim EuGH anhängigen Verfahren zur Unionsrechtsmäßigkeit der deutschen Organschaftsregelung spielen.

 

 

Neuregelung zu Fernverkäufen an Nichtunternehmer

Seit 1.7.2021 greift die Neuregelung zu Fernverkäufen und ersetzt die bisherige Versandhandelsregelung. Betroffen sind B2C-Geschäfte (Business to Consumer – der Empfänger der Lieferung oder Leistung ist nichtunternehmerischer Endverbraucher). Hierdurch erweitern sich die Fälle, in denen grenzüberschreitende Lieferungen in anderen Staaten steuerpflichtig sind und grundsätzlich zu einer Registrierungspflicht führen.

Die ausländische Umsatzsteuer kann unter Umständen über ein besonderes Besteuerungssystem – das One-Stop-Shop-Verfahren – über das Bundeszentralamt für Steuern erklärt und abgeführt werden. Mit BMF-Schreiben vom 1.4.2021 (III C 3 – S 7340/19/10003 :022) nahm die Finanzverwaltung zu der Neuregelung ausführlich Stellung (siehe auch hier).

 

 

Praxisauswirkung:

Versandhändler mit ausländischen Kunden müssen sich mit der Neuregelung intensiv beschäftigen. Das BMF-Schreiben enthält hierfür eine Vielzahl von hilfreichen Konkretisierungen und Beispielen (vgl. auch die BC-Beitragsserie von Bathe u.a. in BC 2021, 189 ff., Heft 4).

 

 

Personengesellschaften können Organgesellschaften sein

Mit Urteil vom 15.4.2021 (C-868/19) erteilte der EuGH der Finanzverwaltung eine Absage zu deren restriktiver Auffassung hinsichtlich der Eignung einer Personengesellschaft als Organgesellschaft. Eine finanzielle Eingliederung aller Gesellschafter der Personengesellschaft in das Unternehmen des Organträgers sei unionsrechtlich nicht gefordert.

 

 

Praxisauswirkung:

Sofern es im konkreten Einzelfall günstiger ist, besteht die Möglichkeit, sich auf die abweichende Sichtweise des EuGH sowie des XI. Senats des BFH zu berufen und insbesondere GmbH & Co. KGs auch ohne die engen Anforderungen des UStAE 2.8 Abs. 5a als Organgesellschaften zu behandeln. Dies wird jedoch regelmäßig nur im Wege eines Rechtsbehelfsverfahrens durchsetzbar sein.

 

 

Restaurantleistung bei Mitbenutzungsrecht an Verzehrvorrichtungen

Grundsätzlich unterliegen Restaurantleistungen dem Regelsteuersatz, wohingegen Speisen zum Mitnehmen meist ermäßigt besteuert werden (eine Ausnahme greift pandemiebedingt lediglich bis 31.12.2022). Immer wieder fraglich ist, unter welchen Voraussetzungen Verzehrvorrichtungen im Eigentum Dritter bei der Abgrenzung berücksichtigt werden können. Mit Schreiben vom 22.4.2021 (III C 2 – S 7210/19/10002 :005) schloss sich die Finanzverwaltung nun der Auffassung des BFH in seinem „Wiesnbrezn-Urteil“ an und berücksichtigt entsprechende Verzehrvorrichtungen mit dem ermäßigten Steuersatz, sofern dem Unternehmen eine Verfügungs- bzw. Dispositionsbefugnis (Mitbenutzungsrecht) hieran zusteht.

 

 

Praxisauswirkung:

Im ersten Schritt ist weiterhin zu fragen, ob die Vorrichtungen überhaupt berücksichtigungsfähig sind. Sie dürfen hierfür keinen anderen Zwecken als der Bewirtung dienen. Im Übrigen wird es weiterhin auf den Einzelfall ankommen, und es ist zu beurteilen, ob der Art nach ein Mitbenutzungsrecht – nicht zwingend verschriftlicht – vorliegt.

 

 

Betriebsstätte braucht Personal

Das Umsatzsteuerrecht knüpft bei grenzüberschreitenden Sachverhalten häufig an die Ansässigkeit durch eine Betriebsstätte an; so z.B. für die Ortsbestimmung oder die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens (Verlagerung bzw. Umkehr der Steuerschuldnerschaft auf den Liefer- bzw. Leistungsempfänger). Unionsrechtlich braucht es für eine Betriebsstätte sowohl personelle als auch sachliche Ausstattung.

Der EuGH bekräftigte dies nun in seinem Urteil vom 3.6.2021 (C-931/19) und fordert ein kumulatives (summarisches) Vorhandensein beider Merkmale. Eine vermietete Immobilie ohne Personal vor Ort erfülle die Voraussetzungen nicht. Dies steht zum einen im Widerspruch zur Sicht der Finanzverwaltung für die Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens. Ein inländisch vermietetes Grundstück soll hier ausdrücklich zur Ansässigkeit im Inland und damit zum Ausschluss des Reverse-Charge-Verfahrens führen. Zum anderen widerspricht der EuGH der deutschen Rechtsprechung zu Windkraftanlagen, die auch ohne personelle Ausstattung als Betriebsstätte angesehen werden kann.

 

 

Praxisauswirkung:

Betroffene Unternehmer – insbesondere ausländische Vermieter inländischer Immobilien – sollten die weitere Entwicklung in Deutschland, vorrangig die Reaktion der Finanzverwaltung, im Auge behalten, um nicht einen unrichtigen Steuerausweis aufgrund fehlerhafter Nichtanwendung des Reverse-Charge-Verfahrens zu riskieren. Auch kann eine umsatzsteuerliche Registrierungspflicht in Deutschland hinfällig werden, sodass Vorsteuerbeträge im Vorsteuervergütungsverfahren geltend zu machen sind.

 

 

Ortsbestimmung bei Webinaren

Die Finanzverwaltung nimmt im BMF-Schreiben vom 9.6.2021 (III C 2 – S 7110/19/10001 :002) insbesondere zu zwei Themen bei Eintrittsberechtigungen zu Veranstaltungen Stellung. Zum einen ist für eine Ortsbestimmung nach dem Veranstaltungsort auch bei Leistung an Unternehmer nicht mehr erforderlich, dass die Veranstaltung der Öffentlichkeit zugänglich ist. Zum anderen begrenzt die Finanzverwaltung den Anwendungsbereich insoweit auf Präsenzseminare. Sofern es sich um Webinare handelt, bestimmt sich der Leistungsort damit nach dem Ansässigkeitsort des unternehmerischen Teilnehmers.

 

 

Praxisauswirkung:

Damit muss für Webinare zwischen privater und unternehmerischer Teilnahme ausländischer Kunden unterschieden werden. Umsatzsteuer darf bei ausländischen Unternehmern nicht ausgewiesen werden (Reverse-Charge).

 

 

Aufsichtsräte sind nur bei variabler Vergütung selbstständige Unternehmer

Die Finanzverwaltung schließt sich in ihrem BMF-Schreiben vom 8.7.2021 (III C 2 – S 7104/19/10001 :003) der Auffassung der Rechtsprechung an. Aufsichtsräte sind nicht mehr grundsätzlich unternehmerisch tätig.

  • Sofern sie lediglich eine Festvergütung erhalten, z.B. in Form einer pauschalen Aufwandsentschädigung, handeln sie vielmehr nicht unternehmerisch.
  • Werden Sitzungsgelder oder nach tatsächlichem Aufwand bemessene Entschädigungen gezahlt, bleibt es hingegen bei einer selbstständig ausgeübten Tätigkeit.

Bis zum 31.12.2021 gilt eine Übergangsregelung.

 

 

Praxisauswirkung:

Bis spätestens 1.1.2022 müssen damit die bestehenden Vereinbarungen mit Aufsichtsräten überprüft werden, ob künftig eine Abrechnung mit oder ohne Umsatzsteuer zu erfolgen hat, um eine Steuerschuld aufgrund eines unrichtigen Steuerausweises zu vermeiden. Gegebenenfalls sind Anpassungen und Vertragsänderungen erforderlich. Vorteile ergeben sich für Branchen, die nicht zum Vorsteuerabzug aus der gezahlten Tätigkeitsvergütung berechtigt sind.

 

Dr. Stefanie Becker, Dipl.-Wirtschaftsjuristin, Dipl.-Finanzwirtin (FH), Steuerberaterin, Augsburg (www.umsatzsteuer3.de)

 

 

BC 9/2021

becklink441375

Rubriken

Menü

Anzeigen

BC Newsletter

beck-online Bilanzrecht PLUS

wiwicareer-vahlen

Teilen

Menü