BFH-Beschluss vom 19.3.2014, V B 14/14
Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt es zu einer Einschränkung der Befugnisse der Geschäftsführung. Dies wirft die Frage auf, ob eine umsatzsteuerliche Organschaft (Konzernbesteuerung) bei einer Insolvenz vom Organträger (von der Konzernobergesellschaft) oder von der Organgesellschaft (Konzerngesellschaft) aufrechterhalten werden kann.
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Problemstellung
Eine Kapitalgesellschaft bildete zusammen mit ihren sechs Tochtergesellschaften eine umsatzsteuerliche Organschaft. Nachdem der Organträger einen Insolvenzantrag gestellt und Eigenverwaltung beantragt hatte, ist ein vorläufiger Sachverwalter bestellt worden. Bald darauf wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft und ihrer Tochtergesellschaften eröffnet. Für alle Verfahren ist Eigenverwaltung (im Sinne des § 270 Abs. 1 InsO) angeordnet.
Das Finanzamt ging von einem Fortbestand der Organschaft aus und fasste die in der Folgezeit gesondert abgegebenen Umsatzsteuer-Voranmeldungen zusammen. Der Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid wurde in voller Höhe gegen den alten Organträger erlassen.
Den hiergegen erhobenen Einspruch wies das Finanzamt zurück. Die daraufhin angestrengte Klage blieb erfolglos. Aus Sicht des erstinstanzlichen Finanzgerichts bestanden keine ernstlichen Zweifel am Fortbestand der Organschaft. Durch die Eigenverwaltung – ohne Bestellung eines Insolvenzverwalters – habe die organisatorische Eingliederung unverändert fortbestanden. Danach hatte der Organträger die Umsätze der Organgesellschaften auch während des Insolvenzverfahrens weiter zu versteuern.
In der Revision führt die Kapitalgesellschaft an, Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung hätten (gemäß § 276a InsO) keinen Einfluss auf die Geschäftsführung mehr. Der Geschäftsführer ist den Gläubigern und nicht mehr den Gesellschaftern verpflichtet. Es fehlt somit an einer finanziellen und organisatorischen Eingliederung der Tochtergesellschaften. Eine freie Beherrschung durch den Organträger habe es dadurch nicht mehr gegeben. Die Kapitalgesellschaft beantragt daher die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheids.
Lösung
Im Gegensatz zum erstinstanzlichen Finanzgericht sieht der BFH ernstliche Zweifel am Fortbestand der umsatzsteuerlichen Organschaft (Konzernbesteuerung). Dies gilt unabhängig davon, ob das Insolvenzgericht einen Insolvenzverwalter bestellt oder Eigenverwaltung anordnet.
In seiner Urteilsbegründung erläutert der BFH zunächst die Voraussetzungen für eine AdV und die Grundlagen der umsatzsteuerlichen Organschaft. Durch die Bildung der Organschaft entsteht dem Organträger (Konzernobergesellschaft) aus der Zahlung der Umsatzsteuer ein Ausgleichsanspruch gegenüber den Organgesellschaften (Konzerngesellschaften). Die Höhe dieses Ausgleichsanspruchs bemisst sich als Saldo der „internen” Umsatzsteuer-Voranmeldungen der Organgesellschaften (also der Saldo aus der durch die Organgesellschaft verursachten Umsatzsteuerlast und dem der Organgesellschaft zustehenden Vorsteuerabzug).
Durch die Bestellung eines (vorläufigen) Insolvenzverwalters kann der Organträger seinen Willen nicht mehr bei der Organgesellschaft durchsetzen. Der Ausgleichsanspruch lässt sich daher nicht mehr verwirklichen. Somit entfallen durch die Bestellung des Insolvenzverwalters die organisatorische Eingliederung und daher auch die Organschaft. Weiterhin führt der BFH aus, dass der Ausgleichsanspruch des Organträgers keine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 InsO darstellt.
Im Insolvenzrecht gibt es keine Regelungen zur Konzerninsolvenz. Vielmehr werden Konzernunternehmen im Insolvenzfall als selbstständige Unternehmen behandelt. Die Bildung einer konzernweiten Haftungsmasse scheidet aus. Als Folge dieses insolvenzrechtlichen Einzelverfahrensgrundsatzes kann der Organträger seinen Ausgleichsanspruch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Organgesellschaft nicht mehr durchsetzen. Daher ist es unerheblich, ob ein Insolvenzverwalter bestellt oder ob dem Antrag auf Eigenverwaltung stattgegeben wurde. Somit führt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen von Organträger und Organgesellschaft zu einer Beendigung der Organschaft.
Da im Ausgangsfall ernsthafte Zweifel am Fortbestand der Organschaft bestehen, ist aus Sicht des BFH dem Antrag auf AdV stattzugeben.
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Operational Risk Manager Corporate Finance, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)
BC 5/2014
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