FG Münster, Urteil vom 16.1.2014, 5 K 3930/10 U; Pressemitteilung vom 20.2.2014, Nr. 5 (Revision zugelassen)
Die erste Lieferung im Rahmen eines Reihengeschäfts kann eine sog. unbewegte und damit steuerpflichtige Lieferung sein, obwohl vor der Beförderung der Ware ins Ausland eine Eigentumsübertragung an den Letztabnehmer noch nicht erfolgt ist.
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Problemstellung
Eine deutsche GmbH verkaufte Handys an eine in Großbritannien ansässige Gesellschaft (Limited – Ltd), die ihrerseits ein Beförderungsunternehmen mit dem Transport an ihre Abnehmer in Dubai beauftragte (Abholung bei der deutschen GmbH). Dort kamen die Handys auch tatsächlich an. Die deutsche GmbH behandelte den Vorgang in ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung als umsatzsteuerbefreite bewegte Ausfuhrlieferung in ein Drittland (gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. a, § 6 Abs. 1 Nr. 2 UStG). Begründung: Die bewegte Lieferung sei der Lieferung der deutschen GmbH zuzuordnen, denn die Handys seien unmittelbar vom ersten beteiligten Unternehmer (hier: der deutschen GmbH) an die letzten beteiligten Unternehmer in der Kette nach Dubai transportiert worden. Hierbei habe der mittlere Unternehmer (hier: die britische Ltd) die Ware versendet. Da der britische Abnehmer als Lieferer fungiere, sei (gemäß § 3 Abs. 6 Satz 6 UStG) die Lieferung an diesen Abnehmer die bewegte Lieferung im Reihengeschäft. Auch nach der EuGH-Rechtsprechung gelte: Sofern bei zwei aufeinanderfolgenden Lieferungen der erste Erwerber die Verfügungsmacht im Ausland erlangt und seine Absicht zum Ausdruck bringt, die Waren in ein Bestimmungsland zu befördern, ist die bewegte Lieferung dem Umsatz an den Ersterwerber zuzuordnen, wenn der Zweiterwerber nicht auch im Ausgangsland die Verfügungsmacht erworben habe.
Dem folgte das beklagte Finanzamt nicht, weil die Lieferung der deutschen GmbH an die britische Gesellschaft als sog. unbewegte Lieferung in Deutschland steuerbar und steuerpflichtig sei. Beförderung oder Versendung seien dann nicht der ersten Lieferung zuzuordnen, wenn der Ersterwerber (hier: die britische Ltd) dem ersten Lieferer (hier: der deutschen GmbH) bereits vor Beginn der Beförderung oder Versendung mitteile, dass er den Gegenstand an einen Zweiterwerber verkauft habe (vgl. § 3 Abs. 6 Satz 6 letzter Halbsatz UStG). Dies ergebe sich aus den vorliegenden Ausfuhrbegleitdokumenten (Anmeldung der Waren durch die deutsche GmbH gegenüber der Zollbehörde mit den Angaben „Ausführer: S Ltd, Empfänger: O T, Dubai“ und Lieferbedingung: EXW, N …).
Abb.: Reihengeschäft mit Drittland von Deutschland nach Dubai – Zuordnung der Warenbewegung nach der Entscheidung des FG Münster vom 16.1.2014
Lösung
Das Finanzgericht Münster folgte der Auffassung des Finanzamts. Bei einem Reihengeschäft, bei dem die Ware unmittelbar vom ersten Lieferanten an den letzten Abnehmer gelangt, könne nur eine der Lieferungen die bewegte und damit steuerfreie Ausfuhrlieferung sein. Die von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesfinanzhofs entwickelten Grundsätze für die Frage, welcher Lieferung die Warenbewegung zuzuordnen ist, seien zwar zu innergemeinschaftlichen Lieferungen innerhalb der EU ergangen, aber auf Ausfuhrlieferungen in Drittstaaten zu übertragen.
Eine Steuerfreiheit gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 2 UStG scheidet aus, denn nicht die deutsche GmbH, sondern die britische Ltd hat eine Ausfuhrlieferung durchgeführt. Maßgebend ist hierbei § 3 Abs. 6 Satz 6 letzter Halbsatz UStG. Die deutsche GmbH hingegen hat die ruhende (unbewegte) Lieferung erbracht, die (gemäß § 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 UStG) in Deutschland steuerbar und – mangels einer Befreiungsvorschrift – auch steuerpflichtig ist. Als ausschlaggebend (im Rahmen der erforderlichen Gesamtwürdigung) sah das Gericht folgenden Umstand: Die deutsche GmbH wusste bereits vor der Versendung davon, dass der Weiterverkauf der Ware durch die britische Ltd an die Endabnehmer (in Dubai) erfolgen wird (Mitteilung des Zwischenerwerbers, der britischen Ltd). Diese Weiterverkäufe und die Beauftragung des Spediteurs durch die britische Ltd erfolgten zeitgleich mit der Rechnungsstellung durch die deutsche GmbH; Letztere hat auch bei der zollamtlichen Abfertigung mitgewirkt. Denn: Eine bloße Mitteilung des Weiterverkaufs durch den Ersterwerber (hier: der britischen Ltd) reicht nicht aus; es muss außerdem feststehen, dass der Ersterwerber die Waren tatsächlich in das Drittland (hier: nach Dubai) versendet oder befördert hat.
Demgegenüber sei nicht von entscheidender Bedeutung, ob den Erwerbern die Befähigung, wie ein Eigentümer über die Gegenstände zu verfügen, bereits vor der Warenbewegung eingeräumt wurde. Dem ersten Lieferer (hier: der deutschen GmbH) sei es regelmäßig nicht möglich, diese Frage zu beurteilen und hierüber von seinem Geschäftspartner (hier: der britischen Ltd) Informationen zu erhalten. Insoweit wich der Senat von der aktuellen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in seiner Entscheidung vom 28.5.2013 (XI R 11/09) ab, der gerade diese Frage als entscheidendes Kriterium für die Zuordnung angesehen hatte, berief sich aber auf zwei früher ergangene Entscheidungen des Bundesfinanzhofs.
Systematisierung der Zuordnung der Warenbewegung bei Reihengeschäften Die Zuordnung der Warenbewegung zu einer der Lieferungen des Reihengeschäfts ist davon abhängig, ob der Gegenstand der Lieferung durch den ersten Unternehmer, den letzten Abnehmer oder einen mittleren Unternehmer in der Reihe befördert oder versendet wird: - Wird der Gegenstand der Lieferung durch den ersten Unternehmer in der Reihe befördert oder versendet, ist die Beförderung oder Versendung der Lieferung des ersten Unternehmers zuzuordnen.
- Wird der Liefergegenstand durch den letzten Abnehmer befördert oder versendet, ist die Beförderung oder Versendung der Lieferung des letzten Lieferers in der Reihe zuzuordnen.
- Befördert oder versendet ein mittlerer Unternehmer in der Reihe den Liefergegenstand, ist dieser zugleich Abnehmer der Vorlieferung und Lieferer seiner eigenen Lieferung. In diesem Fall ist die Beförderung oder Versendung (nach § 3 Abs. 6 Satz 6 1. Halbsatz UStG) grundsätzlich der Lieferung des vorangehenden Unternehmers zuzuordnen (widerlegbare Vermutung). Der mittlere Unternehmer kann jedoch (nach § 3 Abs. 6 Satz 6 2. Halbsatz UStG) anhand von Belegen nachweisen, dass er als Lieferer aufgetreten und die Beförderung oder Versendung dementsprechend seiner eigenen Lieferung zuzuordnen ist.
(Entnommen aus Kieker/Becker, BC 2013, 429, Heft 10) |
BC 3/2014
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