BFH-Urteil vom 12.12.2019, V R 3/19
Kleinunternehmer im Sinne des § 19 UStG können wählen, ob sie umsatzsteuerrechtlich weitestgehend wie Nichtunternehmer oder als Unternehmer behandelt werden wollen. Doch gilt dieses Wahlrecht auch, wenn der Unternehmer in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässig ist?
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Problemstellung
Die Klägerin lebte in den Streitjahren in Italien und vermietete eine Wohnung im Inland über diverse Internetportale auf kurzfristiger Basis.
Aus Sicht des Finanzamts lag aufgrund der Kurzfristigkeit der Vermietungen eine steuerpflichtige Leistung vor. Da die Klägerin nicht im Inland ansässig sei, könne von der Kleinunternehmerregelung kein Gebrauch gemacht werden.
Die Klägerin vertrat dagegen die Auffassung, dass im Inland eine feste Niederlassung vorliege, da sie sich selbst persönlich vor Ort um die Instandhaltung und Verwaltung gekümmert habe. Die Schlüsselübergabe an die Mieter und die Reinigung der Wohnung seien durch freie Mitarbeiter erfolgt.
Lösung
Wie schon das erstinstanzliche Finanzgericht folgt auch der BFH der Auffassung des Finanzamts. Die Kleinunternehmerregelung des § 19 UStG beruht auf Art. 282 MwStSystRL. Laut Art. 283 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL a.F. (in der bis zum 21.3.2020 geltenden Fassung) findet die Kleinunternehmerregelung keine Anwendung, wenn der Unternehmer nicht in dem EU-Mitgliedstaat ansässig ist, in dem die Mehrwertsteuer geschuldet wird.
Der EuGH hat diese Regelung in seinem Urteil Schmelz vom 26.10.2010, C-97/09 (EU:C:2010:632), für unionrechtskonform befunden. Die Regelung sei nötig, um zu verhindern, dass Personen in mehreren Staaten als Kleinunternehmer tätig werden, wobei die Gesamtheit der Kleinunternehmertätigkeiten aber die Grenzwerte übersteigt. Eine solche Konstruktion würde dem Zweck der Regelung – der Förderung von Kleinunternehmen – zuwiderlaufen.
Somit bleibt (vorerst (!) – siehe Praxishinweis) die Kleinunternehmerregelung auf solche Unternehmer beschränkt, die im EU-Mitgliedstaat der Leistungserbringung ansässig sind.
Anders als von der Klägerin vorgetragen, ist die Vermietung einer Wohnung für die Anwendung der Kleinunternehmerregelung weder als ansässigkeits- noch als niederlassungsbegründend anzusehen. Im oben genannten EuGH-Urteil wird klargestellt, dass zur Begründung einer Ansässigkeit oder Niederlassung eine dauernde Präsenz im Aufnahmestaat sichergestellt sein muss, die sich durch objektive Anhaltspunkte wie Geschäftsräume, Personal und Ausrüstungsgegenstände nachprüfen lassen kann. Eine solche dauernde Präsenz ist im Ausgangsfall nicht gegeben.
Das BFH-Urteil gibt lediglich den Status quo wieder. Laut der EU-Richtlinie 2020/285/EU, ABl. L 62, vom 2.3.2020 sollen Kleinunternehmen, die in anderen EU-Mitgliedstaaten ansässig sind als in dem Mitgliedstaat, in dem die Umsatzsteuer geschuldet wird, die Steuerbefreiung ebenfalls in Anspruch nehmen dürfen. Damit sollen Wettbewerbsverzerrungen vermieden werden. Kleinunternehmen können die Steuerbefreiung nur dann in Anspruch nehmen, wenn ihr Jahresumsatz unter dem Schwellenwert liegt, der vom EU-Mitgliedstaat, in dem die Umsatzsteuer geschuldet wird, angewandt wird. Gemäß dem neuen Art. 284 MwStSystRL gelten künftig folgende Schwellenwerte: - Kleinunternehmen können für vereinfachte MwSt-Befolgungsvorschriften infrage kommen, wenn ihr Jahresumsatz einen Schwellenwert, der von einem betroffenen EU-Mitgliedstaat festgesetzt wurde und höchstens 85.000 € betragen darf, nicht überschreitet (sog. „Jahresumsatz im EU-Mitgliedstaat“).
- Unter bestimmten Voraussetzungen werden Kleinunternehmen aus anderen EU-Mitgliedstaaten, die diesen Schwellenwert nicht überschreiten, ebenfalls in den Genuss der vereinfachten Regelung kommen können, sofern sich ihr EU-weiter Jahresumsatz insgesamt auf höchstens 100.000 € beläuft (sog. „Jahresumsatz in der Union“).
Die grenzüberschreitende Anwendung der Kleinunternehmerregelung ist damit davon abhängig, dass sowohl der jeweilige nationale Jahresumsatz als auch der Jahresumsatz insgesamt innerhalb der EU nicht überschritten werden (siehe Beispiel). Damit eine wirksame Kontrolle der Anwendung der Steuerbefreiung ermöglicht wird und der Zugang der EU-Mitgliedstaaten zu den erforderlichen Informationen sichergestellt ist, sollten Steuerpflichtige, die die Steuerbefreiung in einem Mitgliedstaat, in dem sie nicht ansässig sind, in Anspruch nehmen wollen, verpflichtet sein, den Mitgliedstaat, in dem sie ansässig sind, vorab zu benachrichtigen. Aus Gründen der Vereinfachung und der Senkung der Befolgungskosten sollten solche Steuerpflichtige nur im Mitgliedstaat der Ansässigkeit eine individuelle Nummer erhalten. Diese Nummer kann, muss aber nicht die individuelle USt-IdNr. (Umsatzsteuer-Identifikationsnummer) sein. Die EU-Mitgliedstaaten haben die Neuregelung bis 31.12.2024 umzusetzen (Inkrafttreten am 1.1.2025). |
Beispiel Anwendung der grenzüberschreitenden Regelung „Jahresumsatz in der Union“: - Der Jahresumsatz des in Deutschland ansässigen Unternehmers U beläuft sich in 2020 auf 60.000 €. Da U die umsatzsteuerliche Kleinunternehmergrenze von 50.000 € überschreitet, wird U in Deutschland als regelbesteuerter Unternehmer geführt.
- In Italien (EU-Mitgliedstaat) gilt ein Jahresumsatz von 30.000 €. U führt in (nicht nach!) Italien umsatzsteuerpflichtige Leistungen mit einem Jahresumsatz von 10.000 € aus.
Behandlung: Bei Übertragung der ab dem Jahr 2025 vorgesehenen Regelung auf das Jahr 2020 wäre wie folgt zu verfahren: Da der Jahresumsatz des U in Italien unterhalb der dort gültigen Schwelle von 30.000 € liegt und sein Jahresumsatz innerhalb der EU mit 70.000 € unterhalb der Schwelle von 100.000 € bleibt, kann U in Italien die Steuerbefreiung für Kleinunternehmer in Anspruch nehmen. |
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)
BC 6/2020
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