Nach "Nazi-Schlampe" nun auch "Nazi-Partei"?
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Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil sorgte am Sonntagabend für Aufsehen, als er AfD-Mitglieder im TV als "Nazis" betitelte. Die AfD will rechtliche Schritte prüfen, während ihre Kritiker auf ein Urteil zur Co-Vorsitzenden Alice Weidel verweisen. Was darf man über die Partei sagen?

Die AfD ist ein ständiger Quell von Nachrichtenmeldungen. Entweder ist es die Partei selbst, die für Schlagzeilen sorgt, wie etwa durch irritierende Äußerungen und Auslandsbeziehungen ihres Spitzenkandidaten für Brüssel, Maximilian Krah, oder es sind diejenigen, die über sie reden. Nun war es der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil, der am Abend nach der Europawahl in einer Diskussionsrunde auf ntv den Nachrichtenzyklus dieser Woche anschob.

In einer TV-Runde mit Spitzenvertreterinnen und -vertretern anderer Parteien sagte Klingbeil auf die Frage des Moderators, ob er bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr mit einem ähnlichen Ergebnis wie am Sonntag rechne, man könne die Wahlen nicht vergleichen. Dazu führte er aus: "Ich glaube auch, dass das Ergebnis der Europawahl viele Menschen nochmal wachrüttelt, dass die Nazis bei dieser Wahl stärker geworden sind und ich glaube, da wachen viele auf und kämpfen für die Demokratie." Die ebenfalls anwesende AfD-Vorsitzende Alice Weidel fragte daraufhin: "Wen meinen Sie denn damit?", worauf Klingbeil erwiderte: "Das wissen Sie, dass ich die AfD und Sie meine." Auf Weidels Nachfrage, ob er damit sie selbst und die Partei als Nazis bezeichnen wolle, bekannt er eindeutig: "Ja."

Die AfD kündigte inzwischen nach einem Bericht von ntv an, rechtliche Schritte gegen Klingbeil zu prüfen. Dass das Ganze noch eine juristische Dimension bekommen könnte, mag der SPD-Vorsitzende vielleicht geahnt haben. Jedenfalls sprang ihm auf Weidels empörte Reaktion hin der Grünen-Vorsitzende Omid Nouirpour bei und stellte vor laufenden Kameras fest: "Das ist gerichtsfest."

LG Hamburg erlaubte Bezeichnung Weidels als "Nazi-Schlampe"

Nouripour bezog sich damit – soweit ersichtlich – auf ein Urteil des LG Hamburg aus 2017, in welchem das Gericht die Bezeichnung Weidels als "Nazi-Schlampe" in der NDR-Satiresendung "extra 3" gebilligt hatte. Damals führte das LG aus, Weidels Persönlichkeitsrecht müsse in diesem Fall gegenüber der Meinungsfreiheit zurücktreten, da sie als Spitzenpolitikerin eine öffentliche Person sei und zudem vorher im Rahmen einer Rede mit der provokanten Äußerung "Die politische Korrektheit gehört auf den Müllhaufen der Geschichte" den Anlass gegeben habe. Im satirischen Kontext sei auch eine scharfe Wortwahl zulässig.

Es fragt sich nur, ob der juristische Schnellschuss Nouripours wirklich tragfähig ist. Denn Klingbeil ist kein Satiriker und eine gewollte Überspitzung war seiner nüchternen Feststellung, AfD-Mitglieder als Nazis bezeichnen zu wollen, auch nicht unmittelbar zu entnehmen. Indes ist es kaum einen Monat her, dass das OVG in Münster die Einstufung der AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall gebilligt hat. Es hat sich also einiges getan seit 2017. Das bekräftigte am Dienstag im ZDF auch Klingbeils Parteigenossin Saskia Esken: "Ich bin der Auffassung, dass die AfD, die sich ja in den letzten vier, fünf Jahren ja noch mal weiter radikalisiert hat, mit dieser Bezeichnung leben muss."

Meinungsäußerung braucht Tatsachengrundlage

Doch darf man die AfD und ihre Mitglieder deshalb nun öffentlich pauschal als "Nazis" bezeichnen? Der Äußerungsrechtler Jörn Claßen von der Kölner Medienrechtskanzlei Brost Claßen wirbt gegenüber beck-aktuell für Differenzierung: "Die Bezeichnung der AfD als 'Nazi-Partei' stellt eine Meinungsäußerung dar, die dann zulässig ist, wenn es hinreichende Anknüpfungspunkte gibt." Ein solcher könne durchaus die Einstufung der AfD als rechtsextremistischer Verdachtsfall sein. Anderes gelte jedoch für Parteimitglieder als Einzelpersonen: "Wenn sich die Bezeichnung auf eine bestimmte Person bezieht, dann sind die äußerungsrechtlichen Grenzen deutlich enger. Die Anknüpfungspunkte für die herabsetzende Bezeichnung müssten sich dann konkret auf die Person, z.B. auf bestimmte Äußerungen der Person, beziehen", erklärt Claßen. Fehle es an substanziellen Anknüpfungspunkten, sei die herabsetzende Äußerung unzulässig.

Gleichzeitig gilt auch: In der politischen Arena ist mitunter ähnlich viel erlaubt wie in der Satire. "Gerade im politischen Meinungskampf wird die Meinungsfreiheit sehr weit ausgelegt", so Claßen. "Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gilt die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede." Klingbeil, der sich nicht in satirischer Weise geäußert habe, müsse die Nazi-Titulierung jedoch, sofern Weidel selbst äußerungsrechtlich gegen ihn vorgehe, mit hinreichenden tatsächlichen und in ihrer Person liegenden Anknüpfungspunkten untermauern.

Ob die AfD oder Weidel juristische Schritte unternehmen werden, ist derzeit noch nicht klar – ob diese Erfolg hätten, ebenso wenig. Klar ist: Gesagt werden darf sehr viel, es kommt aber auf den Kontext an. Dass sich auch Politikerinnen und Politiker zumindest nicht jede Herabsetzung gefallen lassen müssen, hat das BVerfG Ende 2021 festgehalten, als es um Äußerungen über die Grünen-Politikerin Renate Künast in einem Internet-Blog ging. Das Gericht bekräftigte dabei ein öffentliches Interesse am Schutz von Politikerinnen und Politikern. Während Gerichte zuvor oft sehr großzügig waren bei jeglicher Form der "Machtkritik", stellte die 2. Kammer des Ersten Senats hier klar, dass sie in Grenzfällen zwischen Meinungsfreiheit und Beleidigung keinen geringeren genössen als der Rest der Gesellschaft. Wer als "Nazi" gelten darf und wer nicht, ist damit freilich nicht beantwortet. Vielleicht leistet die politische Talkshow-Landschaft nun ihren Beitrag zur Klärung. Einen allgemeinen Rat für das politische Spitzenpersonal hatte der Äußerungsrechtler Claßen noch parat: "Ungeachtet der rechtlichen Einordnung wäre auch hier eine inhaltliche und sachliche Auseinandersetzung sicher sinnvoller gewesen als eine undifferenzierte persönliche Herabsetzung."

Redaktion beck-aktuell, Maximilian Amos, 11. Juni 2024.