Informationszugang für Beteiligte (mit Verwaltungsverfahren)
Akteneinsicht durch Beteiligte in einem Verwaltungsverfahren regelt nach wie vor § 29 VwVfG, sozusagen der „Dinosaurier“ des Informationszugangsrechts in Deutschland. Die Vorschrift ist seit Jahrzehnten unverändert und natürlich nicht mehr wirklich modern:
So fehlt von vornherein das Recht, Ablichtungen zu fertigen – im Gegensatz zum „Vorbild“ des § 100 VwGO, wohl um die Behörden in einer Zeit, als Fotokopiergeräte noch keineswegs „flächendeckend“ in den Amtsstuben vertreten waren, nicht zu überfordern. Auch wenn aufgrund der heutigen technischen Möglichkeiten (elektronische Übermittlung, Smartphones mit Fotofunktion, die Verbreitung von Fotokopiergeräten überhaupt) „der Kampf um die Kopie“ nicht mehr so versiert ausgefochten werden muss wie noch vor einigen Jahren, wäre es schon mit Blick auf die insoweit bahnbrechende Vorlage der Aarhuskonvention (Art. 4 Abs. 1) 25 Jahre später doch an der Zeit, dies auch ins Gesetz aufzunehmen, sowohl in § 29 VwVfG als auch in die entsprechenden, meist gleichlautenden Landesgesetze.
Eng damit zusammen hängt die Frage der Aktenübersendung in eine Anwaltskanzlei. Auch hier verharrt § 29 VwVfG im Grundsatz immer noch bei der Behörde (Absatz 3 Satz 1); Ausnahmen nach Ermessen lässt § 29 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 VwVfG zu. Weit vom Wahlrecht des § 3 Abs. 2 Satz 2 UIG entfernt, eröffnet der Wortlaut des Gesetzes der Verwaltung damit immer noch großen Freiraum zur Erschwerung der Durchführung der Akteneinsicht, der trotz großer Entfernungen zwischen Anwaltskanzlei und Behörde auch immer wieder (aus-)genutzt wird. Vorbild für eine Reform könnte hier einmal Bayern sein, das (als bislang einziges Bundesland) in Art. 29 Abs. 3 S. 2 BayVwVfG für Organe der Rechtspflege (wie Rechtsanwälte, § 1 BRAO) ausdrücklich die Möglichkeit vorsieht, die Akten zur Einsicht vorübergehend in ihre Geschäftsräume hinauszugeben und damit die Ausnahme sozusagen zum Grundsatz umkehrt. Der – nachvollziehbaren – Sorge der Behörden um ihre Akten in einer fernen Kanzlei mag der (in der Praxis wenig bekannte) § 19 BORA abhelfen, der die sorgfältige Verwahrung und unverzügliche Rückgabe von Originalakten zur Berufspflicht erhebt (mit der Möglichkeit der Rechtsanwaltskammern, bei Bedarf entsprechend einzuschreiten).
Wie dies funktionieren kann, zeigen die jüngsten Novellen zu § 100 VwGO: Die auch in der Praxis durchaus arrivierte elektronische Übermittlung der Akten löst beide Probleme – die Anfertigung von Kopien und die nicht mehr erforderliche Anreise zum Gericht.
Informationszugang für Nichtbeteiligte (ohne Verwaltungsverfahren)
Unverändert gestärkt geht das Informationszugangsrecht nach der Umweltinformationsrichtlinie der EU durch die Umweltinformationszugangsgesetze von Bund und Ländern hervor, die aufgrund der Umsetzung von EU-Recht auch im Wesentlichen gleich lauten (soweit sie nicht ohnehin auf das UIG des Bundes verweisen wie etwa die Hälfte der Landesgesetze), sodass auch die Rechtsprechung hierzu bundeslandübergreifend übertragen werden kann. Hier wird es daher auch in der Zukunft darauf ankommen, insbesondere den Begriff der Umweltinformation weitergehend zu schärfen (vgl. dazu auch das nunmehr rechtskräftige Urteil des VGH München v. 20.12.2022 – 5 B 22.1532 und die Anmerkung dazu in diesem Heft S. 30).
Ähnliches gilt für das Verbraucherinformationsgesetz, wo freilich weiterhin die Zersplitterung des Informationsfreiheitsrechts in Deutschland nach wie vor schmerzlich ins Auge fällt.
Dem Vorbild des Informationsfreiheitsgesetzes des Bundes schließlich sind inzwischen beinahe alle Bundesländer gefolgt, zuletzt auch noch Sachsen mit dem Sächsischen Transparenzgesetz v. 19.8.2022 (SächsGVBl. S. 486), in Kraft seit 1.1.2023 (und vielfach, wohl auch zu Recht, als immer noch nicht weit genug reichend kritisiert). Gibt es also bald Informationsfreiheit in ganz Deutschland? Nein, zwei wackere Bundesländer halten die Arkantradition weiterhin aufrecht: Niedersachsen und Bayern, wobei der Freistaat ja mit Art. 36 (später 39) BayDSG (sinnigerweise also in seinem Datenschutzgesetz) im Jahr 2015 (2018) ein „allgemeines Auskunftsrecht“ geschaffen hat. Die Etikette täuscht freilich – das Recht auf Auskunft besteht (auch) hiernach nämlich nur, „soweit ein berechtigtes Interesse glaubhaft dargelegt wird“. Das war auch zuvor schon Rechtslage nach Maßgabe des Grundsatzes von Treu und Glauben, der Akteneinsicht von jeher nach Ermessen zuließ. In diesem Sinne hatte auch § 9 Abs. 2 Satz 1 AGO (Allgemeine Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern) bereits Auskunft und Akteneinsicht bei berechtigtem Interesse zugelassen, sodass die „Neuregelung“ des Art. 39 BayDSG nicht wirklich als legislatorischer Gewinn bewertet werden kann.
Das wenig gute Vorbild des Freistaats Bayern insofern hat dazu geführt, dass hier kommunale „Informationsfreiheitssatzungen“ wie Pilze nach einem warmen Sommerregen aus dem Boden geschossen sind – knapp 90 davon gibt es freistaatsweit (Überblick auf https://informationsfreiheit.org/ubersicht/). Folgt man dem obiter dictum des VGH München in seinem Beschluss vom 27.2.2017 – 4 N 16.461 (Rn. 34), sind sie alle unwirksam, „weil der bayerische Gesetzgeber mit Wirkung vom 30.12.2015 in Art. 36 BayDSG [nunmehr Art. 39 BayDSG] einen allgemeinen Auskunftsanspruch normiert hat. Dieser könnte unter dem Gesichtspunkt des rechtsstaatlichen Gesetzesvorrangs zur Unwirksamkeit der ortsrechtlichen Regelung führen“ (aA – zu Recht – der BayLfD in seiner Stellungnahme zu dieser Entscheidung, abrufbar unter: https://www.datenschutz-bayern.de/3/informationsfreiheitssatzung.html). Jedenfalls sind „Abwägungslösungen“ gegenüber Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen oder personenbezogenen Daten unzulässig, weil die behördliche Gestattung des Informationszugangs gegen den Willen des Grundrechtsträgers einen Grundrechtseingriff darstellt, der allein aufgrund der kommunalrechtlichen Generalklausel zum Satzungserlass nicht gerechtfertigt werden kann. Nicht einmal dieser doch recht klaren Vorgabe der Rechtsprechung haben die Kommunen in ihren Satzungen inzwischen Rechnung getragen.
Fazit und Ausblick
Es bleibt also viel zu tun, und das Recht der Informationsfreiheit wird auch 2024 Kommunen und Behörden, Bürger und Unternehmen, Rechtsanwender und Rechtsanwälte sowie Rechtsprechung und (hoffentlich auch) Rechtsetzung in Atem halten. In diesem Sinn ein gutes Neues Jahr auch noch von der Schriftleitung der ZGI.