Dr. Stefan Brink ist Geschäftsführender Direktor des Instituts wida/Berlin und LfDI Baden-Württemberg a. D.

ZGI 2024, 197 Vom französischen Romancier Victor Hugo stammt der Satz: „Nichts ist so mächtig wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ Dass es sich bei der Informationsfreiheit, also dem Anspruch eines jeden, Zugang zu amtlichen Informationen bei öffentlichen Stellen zu erhalten, um eine solche unwiderstehliche Idee handelt, konnte man lange Jahre für möglich halten. Und das, obwohl Informationsfreiheit gewiss keine deutsche Idee war, sondern in Deutschland erst erzwungenermaßen durch das europäische Umweltinformationsrecht von 2003 Fuß fasste. Anders als skandinavische Staaten mit jahrhundertealten Transparenztraditionen oder die USA mit ihrem Freedom of Information Act aus dem Jahr 1967 weist die deutsche Verwaltungstradition in die entgegengesetzte Richtung: Verwaltung verstand sich über Jahrhunderte als williges Werkzeug ihres (aristokratischen) Herrn, loyal und verschwiegen, gerade gegenüber den Bürgern, die gezielt aus allen „Verwaltungsangelegenheiten“ herausgehalten wurden und nur Objekt, nie Subjekt der obrigkeitlichen Verwaltung waren. Die Administration war in deutschen Landen stets Machtinstrument der Herrschenden, deren Wissen wie auch deren übrige Macht nicht geteilt wurde. Selbst im Nachkriegsdeutschland der 70er Jahre machten die Demokratisierungsbemühungen unter Bundeskanzler Willy Brandt an den Pforten der Verwaltung halt; gewährt wurde im Verwaltungsverfahrensgesetz von 1976 nur ein individuelles Akteneinsichtsrecht der verfahrensbeteiligten Bürger und Bürgerinnen.
Anstoß für eigenständige Informationszugangsgesetze gab in Deutschland erst die Wiedervereinigung, gerade im Osten der Republik (zuerst im Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz Brandenburg 1998) verstand man Informationsfreiheit als staatskritisches und bürgernahes Instrument zur demokratischen Prägung und Einhegung des Staates. Gerichtet waren die Informationsfreiheitsgesetze (IFG) der neuen Länder gegen Eigeninteressen einer Verwaltung in Staat und Kommunen, die keine Mitsprache der „unwissenden“ Bürger und Bürgerinnen, keine Rechenschaftspflicht und keine Kontrolle jenseits staatlicher Aufsicht wünschten.
Im Westen der Republik setzte die gesetzliche Gewährung von Informationszugang erst rund zehn Jahre später ein und war getragen von stark regionalen Prägungen: in den Hansestädten Hamburg und Bremen (seit 2006) von einer selbstbewussten Bürgerschaft, die die von ihr finanzierte Verwaltung zu eigenen Zwecken nutzen wollte, in Schleswig-Holstein (bereits seit 2000) von einem protestantischen Puritanismus, der Rechenschaft einfordert, und in den Kommunen des Südens von einer Fokussierung auf das wirtschaftliche Wohl und Fortkommen der Bürger (IFG Baden-Württemberg von 2015).
Diese Entwicklung kulminierte in den Transparenzgesetzen von Hamburg und Bremen, die die Bürger und Bürgerinnen aus der Position der Antrags- und Bittstellenden heraushoben und aus seiner Holschuld eine Bringschuld der Verwaltung machten: Die amtlichen Informationen werden so umfassend wie möglich auf ein Internet-Portal eingestellt, das kostenfrei und unüberwacht den Bürgern (und der vernetzten Welt insgesamt) zur Verfügung steht.
Damit schien das Bürgerrecht auf Informationsfreiheit, so selbstverständlich in das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG eingepasst, sich ungehindert aus allgemein zugänglichen Quellen zu unterrichten, eine im Sinne Victor Hugos „mächtige Idee“ geworden zu sein: Per Gesetz erklärten immer mehr Länder die Aktenbestände ihrer Verwaltungen zu „allgemein zugänglichen Quellen“ – und immer mehr Bürger und Bürgerinnen nutzen dieses Zugangsrecht, um sich zu informieren und einzumischen, auch mithilfe zivilgesellschaftlicher Institutionen wie FragDenStaat, die mit großer Breitenwirkung eine internetbasierte und leicht verständliche Nutzung dieses Rechts ermöglichen.
Bemerkenswert blieb bei all der positiven Entwicklung in den deutschen Ländern und auch im Bund (seit 2006), dass diese Öffnung der öffentlichen Verwaltung nicht von deren Einsicht in die demokratisch-rechtsstaatliche Notwendigkeit einer transparenten Exekutive getragen war – sondern vielerorts von der Bürgerschaft selbst, teils mit direktdemokratischem Druck auf die Parlamente, forciert werden musste.
Der Gegenschlag der Verwaltung blieb nicht aus, spätestens seit 2010 ließen sich die staatlichen und kommunalen Verwaltungen vermeintlich gute Gründe gegen eine aus ihrer Sicht „übermäßige“ Transparenz der Exekutive einfallen und versorgten die ohnehin verwaltungsabhängigen Parlamente mit einem Arsenal vorgeblich fachlicher Argumente, IFGs zu verwässern oder gar leerlaufen zu lassen:
Ganz vorne stand die Behauptung, der Zeitaufwand für die Beantwortung von Bürgeranfragen gehe von der „eigentlichen“ Arbeit der Verwaltung ab und füge so ihrer Hingabe an Fachaufgaben Schaden zu. Dieses Vorbringen musste allerdings verwundern, wiesen die Parlamente mit den IFGs der Verwaltung die Gewährung von Informationszugang doch als eigenständige gesetzliche Aufgabe zu, die völlig gleichrangig neben den bisherigen Zuständigkeiten steht. Aber die Verwaltung wollte eben lieber selbst bestimmen, wofür sie ihre personellen und sächlichen Mittel aufwendet und diese Entscheidung weder dem Parlament noch irgendwelchen neugierigen Bürgern überlassen.
Sodann deklarierte die Verwaltung eine Vielzahl von „Schutzbereichen“, die vor dem Informationszugriff der Bürger zu bewahren seien: ganz vorne die innere Sicherheit und Institutionen wie der Verfassungsschutz, aber auch jede Art der Aufsichtstätigkeit sollte pauschal ausgenommen werden. Der Mühe, im konkreten Einzelfall begründen zu müssen, warum ein Zugang weder jetzt noch später und auch nicht teilweise gewährt werden könne, mochte die Verwaltung sich nicht unterziehen. Auch die Verwaltungsspitze machte Ausnahmegründe geltend, so beanspruchte das Kabinett einen „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“, der vor Bürgerneugier beschützt gehöre. Dass dieser Topos im Verhältnis zur Staatsgewalt Legislative entwickelt und begründet wurde und im Verhältnis zu den Bürgern und Bürgerinnen kaum taugt, störte dabei wenig – er fand sich flugs in einer Reihe von IFGs wieder.
„Gut gemeinte“ Ausnahmen gibt es auch in Fülle, sie betreffen etwa Schulen, deren Bildungsergebnisse verschleiert werden, um dem Entstehen sozialer Brennpunkte entgegenzuwirken (vgl. § 2 Abs. 3 Nr. 2 LIFG Baden-Württemberg). Aber auch die Eigeninteressen öffentlich Bediensteter kommen nicht zu kurz: Zuletzt gestellte Prüfungsaufgaben werden ausgenommen, um (Hoch-)Schullehrern die Mühe zu ersparen, aktuelle Aufgaben zu ersinnen und ihnen die Möglichkeit zu belassen, solche Aufgabenstellungen privatwirtschaftlich zu verwerten. Gleiches gilt für ein angebliches Urheberrecht öffentlich Bediensteter an den Ergebnissen ihrer (bereits bezahlten) amtlichen Tätigkeit. Schließlich fanden Ausnahmen ihren Weg in IFGs, die den Mantel des Schweigens über erkennbar ungerechtes hoheitliches Handeln decken sollen, etwa um die absurd hohen Gehälter von Sparkassenvorständen (die ein Mehrfaches der Bezüge des Bundeskanzlers betragen) aus der Diskussion zu nehmen, oder die exorbitanten Ausgaben der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten für Sportübertragungen.
Auch in Sachen „Kosten durch IFG-Anfragen“ sind Verwaltungen rege, hier werden Bürger und Bürgerinnen, die gute Dienste an der erwünschten Transparenz leisten, mit individuell häufig kaum tragbaren Kosten überzogen, was zu den „erwünschten“ Antragsrücknahmen führt.
Aktuell besonders im Schwange steht der Versuch, Bürger von der Wahrnehmung ihrer Rechte durch eine „Identifikationspflicht“ abzuschrecken: Fragen können soll nur, wer sich für die Verwaltung sichtbar macht; hier paaren sich Neugier der Verwaltung mit kaum verhohlenen Drohgebärden.
„The Empire strikes back“ – mit erheblichem Erfolg. Die mächtige Idee der Informationsfreiheit gerät seit mehr als zehn Jahren in die Defensive.
Dagegen halten, mit durchaus überschaubarem Erfolg, die Beauftragten für Informationsfreiheit von Bund und Ländern. Sie verfügen jedoch kaum über effektive Kompetenzen gegenüber der Verwaltung – und haben augenscheinlich auch kein Interesse an einem beherzten Einsatz ihrer personellen Mittel (sie sind ja gleichzeitig noch Datenschutzbeauftragte und verteilen ihre Ressourcen im Verhältnis 1:10 und schlechter zulasten der Informationsfreiheit).
Bleibt noch die Justiz in Gestalt der Verwaltungsgerichte: Auch hier scheinen Anfangserfolge – wie vom einst munteren VG Berlin – mittlerweile zu verblassen. Und das BVerwG (ZGI 2024, 164 mAnm Gerhold und mAnm Schnabel) vertrat jüngst bei der Frage einer Identifizierungspflicht sogar ohne überzeugende Gründe eine explizit bürger(rechts)-unfreundliche Position.
Selbst scheinbare Erfolge der Informationsfreiheit in den letzten Jahren erweisen sich als Pyrrhussiege: Die Transparenzgesetze in Rheinland-Pfalz und Sachsen nehmen die
Kommunen weiträumig aus; politische Zusagen in Koalitionsverträgen zugunsten weiterer Transparenzgesetze (im Bund und Baden-Württemberg) werden von der Verwaltung durch Obstruktion kassiert, indem Gesetzentwürfe gezielt so lange verzögert werden, bis die Koalition vor ihrem Ende steht und die Verwaltungsbeamten auf „zahmere“ Parlamente hoffen dürfen.
Ist die Zeit der Informationsfreiheit also um? Keineswegs. Denn langfristige Entwicklungen stützen sie nachhaltig: Die Digitalisierung ermöglicht und fordert Transparenzportale, um den Datenschatz der öffentlichen Verwaltung zu heben. Viele Regierungen verhalten sich zwar paradox, wenn sie wertvolle „Datenschätze“ bei den Bürgern und Bürgerinnen preisen, die dann gefälligst auf Datenschutz und selbst Gesundheitsdatenschutz verzichten mögen, um das „neue Öl“ fließen zu lassen – aber gerade die Datenberge der öffentlichen Verwaltung dabei nicht „zum Abbau“ freigeben. Diesen Widerspruch wird die Kraft der Digitalisierung aber sicherlich auflösen. Zumal die in der öffentlichen Verwaltung erarbeiteten verlässlichen Informationen als zentraler Baustein im Kampf gegen die Geschwüre digitaler Kommunikation unerlässlich sind: Hass, Hetze und Fake News. Zeiten der politischen Polarisierung erfordern zudem mehr Bürgerbeteiligung und -engagement, nicht weniger. Und damit liegen die Vorteile der transparenten Verwaltung heute klarer auf der Hand denn je: mehr Bürgernähe, bessere Kontrolle der Bürokratie, weniger politische oder finanzielle Korruption der Verwaltung, all das führt zu besseren Verwaltungsentscheidungen.
Um mit Victor Hugo zu sprechen: Es gibt in der Kulturgeschichte der Menschheit Ideen, die unwiderstehlich stark sind und sich gegen alle Widerstände durchsetzen – nicht, um dann wieder zu verschwinden, sondern um zur Selbstverständlichkeit zu werden. Hierzu zählen sicherlich Ideen der Gleichberechtigung (von gesellschaftlichen Klassen und Gruppen sowie Geschlechtern) und auch des gerechten und nachhaltigen Umgangs mit unseren Lebensgrundlagen. Auch die Zeit für Informationsfreiheit ist gekommen – um zu bleiben.