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Zeitenwende beim Datenzugang? Struktur, Inhalte und Abstimmungsbedarf der aktuellen Regelungsvorschläge

Jasmin Brieske/Benjamin Müller/Lars Pfeiffer/Zaira Zihlmann

ZD-Aktuell 2024, 04505      Von einer „Zeitenwende“ sprach Bundeskanzler Scholz im Kontext des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, und prägte mit diesem Begriff eine der großen aktuellen Krisen des Weltgeschehens. Die Welt danach, so Scholz, sei nicht mehr dieselbe Welt wie davor. Auch abseits des Kriegs in der Ukraine zeichnen sich Zeitenwenden ab, nicht zuletzt im Bereich des Internets und der Digitalisierung und auch das Datenrecht befindet sich im Wandel. Insbesondere in Bezug auf Datenzugangsansprüche und Datenteilungspflichten, die an Relevanz zunehmen, stellt sich die Frage: Stehen wir auch hier vor einer Zeitenwende? Von dieser Überlegung geleitet, hat die Projektgruppe „Datenzugangsregeln“ des Zentrums verantwortungsbewusste Digitalisierung (ZEVEDI) am 13. Oktober 2023 in den Räumlichkeiten des Wissenschaftlichen Zentrums für Informationstechnik-Gestaltung (ITeG) der Universität Kassel eine interdisziplinäre Tagung zu dem Thema „Zeitenwende beim Datenzugang? Struktur, Inhalte und Abstimmungsbedarf der aktuellen Regelungsvorschläge“ organisiert. Entlang vier unterschiedlicher Themenblöcke wurden dabei aus interdisziplinärer Perspektive von u.a. der Rechtswissenschaft, Philosophie, Ökonomie, Soziologie und Ethik Fragen wie jene nach den Chancen und Risiken unterschiedlich ausgestalteter Datenzugangsregeln, nach der Vereinbarkeit von Open-Science-Postulaten mit Dual-Use-Möglichkeiten wissenschaftlicher Erkenntnisse und Datensätze, nach dem Zusammenspiel von Data Act und DS-GVO oder auch nach möglichen neuen Modellen für Datenzugangsinfrastrukturen im Bereich der Forschung diskutiert. 

Themenblock 1: Braucht es eine Zeitenwende beim Datenzugang?

Nach einem kurzweiligen Auftakt zu der Veranstaltung durch die Begrüßungsworte von Prof. Dr. Gerrit Hornung von der Universität Kassel ergriff Prof. Dr. Steffen Augsberg von der Universität Gießen, Sprecher der ZEVEDI-Projektgruppe „Datenzugangsregeln“, das Wort. In seiner Begrüßung äußerte er sein Bedauern, dass der Rückgriff auf den Begriff „Zeitenwende“ angesichts der aktuellen Situation im Nahen Osten unangebracht wirken könne. Der Begriff sei im Vorhinein für die Tagung gewählt worden, um auf die Umwälzungen hinzuweisen, die auch mit Blick auf Datenzugang und Datennutzung festzustellen sind.

Nach dieser Vorbemerkung wurde sich im ersten Themenblock der übergeordneten Fragestellung gewidmet, ob es einer Zeitenwende beim Datenzugang bedarf. Der Hessische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Prof. Dr. Alexander Roßnagel nahm sich dieser Frage in seinem Vortrag aus rechtswissenschaftlicher Perspektive an. Nach einer kurzen Skizzierung der Chancen des Datenzugangs und der hohen politischen Motivation zur Förderung desselben betonte er die Vielzahl unterschiedlicher subjektiver Interessen und Allgemeininteressen am Datenzugang. Ein Ausgleich dieser Gemengelage an Interessen müsse nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz erfolgen, sich also an der Frage orientieren, wie die bestmögliche Verwirklichung aller Grundrechte zu erreichen sei. Zur Gewährleistung dieses angemessenen Ausgleichs biete sich ein Rückgriff auf das vom BVerfG in seinem Kalkar-Urteil v. 8.8.1978 – 2 BvL 8/77 entwickelte Je-Desto-Prinzip an. Angewandt auf die Frage nach angemessen ausgestalteten Datenzugangsregeln bedeute dies: Je geringer die datenzugangsbezogenen Risiken sind, desto umfassender könne der Datenzugang ausgestaltet sein. In der Folge stellte Roßnagel einzelne Aspekte in den Vordergrund, die bei der Ausgestaltung eines Datenzugangs aus rechtlicher, organisatorischer und technischer Perspektive zu berücksichtigen sind. Diese erstrecken sich u.a. von der Notwendigkeit zur Festlegung einer Zweckbindung der Datenverwendung und der Einräumung ausreichender Interventionsmöglichkeiten für die Betroffenen über die Ermöglichung eines Zugangs in kontrollierten und geschützten sektoralen Datenräumen und eine dezentrale Datenspeicherung bis hin zu Maßnahmen zur Wahrung der Vertraulichkeit und zur Risikoreduzierung. Abschließend wurde die Bedeutung anonymer Daten umfassend dargelegt und dabei mit Blick auf das Risiko der Re-Identifizierung insb. in den Fokus gestellt, dass bei der Bestimmung der Wahrscheinlichkeit einer solchen auch die unterschiedlichen Rollenbilder eines datenschutzrechtlich Verantwortlichen berücksichtigt werden sollten. Zusammenfassend hielt Roßnagel fest, dass Datenzugang für legitime Interessen ermöglicht werden solle, der Zugang dabei jedoch so ausgestaltet werden müsse, dass sowohl die Interessen der betroffenen Personen als auch Allgemeininteressen angemessen berücksichtigt werden. Vor diesem Hintergrund seien wir weniger mit einer Zeitenwende, als vielmehr mit einem dringenden Handlungsbedarf beim Datenzugang konfrontiert.

Hieran anschließend folgte ein ergänzender Kommentar von Prof. Dr. Petra Gehring, Direktorin des Zentrums verantwortungsbewusste Digitalisierung sowie geschäftsführend am Institut für Philosophie der Technischen Universität Darmstadt. In den letzten Jahren, so Gehring, sei generell ein Trend hin zu mehr Datenzugang und offenerer Datennutzung festzustellen. Der Datenschutz würde hierbei in aller Regel als Hindernis stilisiert. Bei den datenzugangsbezogenen Diskussionen gelte es dabei, neben der Wirtschaft insb. der Wissenschaft die notwendige Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Die von Roßnagel unter Rückgriff auf das Kalkar-Urteil aufgeworfenen Je-Desto-Erwägungen seien auch aus Forschungsdatenperspektive sehr interessant, denn schließlich mahne ganz aktuell der russische Angriffskrieg auf die Ukraine daran, dass mit sich teils drastisch verändernden Randbedingungen auch neue Risikoeinschätzungen nötig seien. In der Folge beschränkte sich Gehring auf vier Botschaften, in denen sie wesentliche Punkte Roßnagels aufgriff und nuancierte: Erstens müssten bei der Frage nach Datenzugängen die Themen Geschäftsgeheimnisse und Industriespionage im Blick behalten werden; in dieser Hinsicht ergebe sich gewissermaßen eine neue ‚Sorgfaltspflicht‘. Zweitens sei darauf hinzuweisen, dass auch bei Daten und Informationen an ihren Dual-Use-Charakter und damit etwa an deren simultane militärische Nutzbarkeit gedacht werden müsse; Open-Science-Postulate gerieten hier an ihre Grenzen. Drittens stelle sich die Frage nach Kooperationspartnerschaften. Man müsse sich als wissenschaftliche Einrichtung überlegen, mit wem man kooperieren und Daten teilen darf und insb. auch permanent prüfen, ob bereits eingegangene Kooperationen noch vertretbar sind. Viertens sei auch die Gefahr der Beeinflussung von Öffentlichkeiten zu beachten. Offenheit bei Forschungsdaten könnte hier eine mögliche Gefahrenquelle darstellen, wenn sie zweckentfremdet und zu Propagandazwecken missbraucht würden. Insofern stelle sich die Frage, wie Offenheit verstanden bzw. modifiziert werden müsse, um solche Risiken einzufangen.

Themenblock 2: Europäische Datenzugangsregeln: Weiterentwicklung oder Abkehr von DS-GVO-Prinzipien?

Den zweiten Themenblock leitete das Impulsreferat „Der Data Act als Markt-Design für neue Geschäftsmodelle – Erfahrungen aus dem parlamentarischen Prozess“ von Johannes Jänicke ein, Ökonom, Politikwissenschaftler und seines Zeichens Berater von MdEP Damian Boeselager in Wirtschafts-, Haushalts- und Digitalfragen. In dieser Funktion hat Jänicke im Europaparlament im Industrieausschuss die Datenstrategie, den Data Governance Act (DGA) und zuletzt den Data Act (DA) für die Grüne/EFA Fraktion „Wort für Wort“ mitverhandelt und konnte dementsprechend wertvolle Einblicke in die Debatte liefern. Zunächst stellte er vorweg, dass der Data Act nie das Ziel verfolgt habe, die DS-GVO umzuinterpretieren. Insofern sei der DA tatsächlich kein „großer Wurf bei personenbezogenen Daten“. Vielmehr handelt es sich aus Jänickes Sicht primär um ein B2B-Gesetz, das eine breitere Nutzung nicht-personenbezogener Daten ermöglichen soll. Grundsätzlich lägen dem DA drei Hypothesen zu Grunde, die dessen Sinnhaftigkeit erklären: Erstens gebe es tatsächlich nicht-personenbezogene Daten. Zweitens sei freiwilliges Datenteilen eine Illusion, die mit der freien Wirtschaft wenig zu tun habe. Drittens müsse man sich verdeutlichen, dass Datenteilen mit Kosten verbunden ist, etwa bei der Aufbereitung, Organisation und Zurverfügungstellung der Daten. Daher könne Datenteilen nur dann funktionieren, wenn die Datenteilenden dafür einen monetären Ausgleich erhielten. Mit dem DA sei nun ein Impetus gegeben, der zum Entstehen eines Markts für nicht-personenbezogene Daten beitrage und zur Monetarisierung von Daten, respektive Wertgegenstandsschaffung von Datensätzen führe. So könnten Daten zB in Bilanzen als Assets aktiviert werden, wobei sich dann die Folgefrage stellen würde, wie diese zu bewerten sind. In seinem Referat hob Jänicke zudem Art. 4 Abs. 14 DA hervor, welcher seiner Ansicht nach einen Meilenstein der Digitalgesetzgebung darstelle, da er den Nutzern die exklusiven Vermarktungsrechte an nicht-personenbezogenen Produktdaten einräume.

Prof. Dr. Rolf Schwartmann, Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der TH Köln und Vorsitzender der Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit e.V., thematisierte in seinem Kommentar – in Anspielung auf die Geschichte „Doktor Dolittle und seine Tiere“ – die „Stoßmich-Ziehdich“-Problematik, die seines Erachtens das europäische Datenrecht kennzeichne. So würden etwa der DA und die DS-GVO in verschiedene Richtungen drängen. Schwartmann betrachtete indes nicht nur den DA, sondern erweiterte das Themenfeld, indem er auch den DGA in seinen Ausführungen berücksichtigte. Wie schon Roßnagel adressierte auch Schwartmann u.a. den Aspekt der Anonymisierung von personenbezogenen Daten und nutzte diesen zur Erläuterung der verschiedenen Stoßrichtungen von DGA und DS-GVO. So folge die DS-GVO bei der Anonymisierung einem relativen Begriffsverständnis, während die Formulierung in Erwägungsgrund 15 DGA einen absoluten Ansatz suggeriere. In Anbetracht dieser unterschiedlichen Ansätze stelle sich dann die Frage nach dem Konkurrenzverhältnis der beiden Rechtsakte, wozu Art. 1 Abs. 3 S. 3 DGA klar stelle, dass im Konfliktfall eine Regelung zum Umgang mit personenbezogenen Daten der Union oder auf der Ebene eines Mitgliedstaates den Bestimmungen des DGA vorgeht. Insofern müsse Schwartmann zufolge auch hinsichtlich der Anonymisierung im Kontext des DGA von einem relativen Begriffsverständnis ausgegangen werden. Ein Bereich, in dem die Relevanz der Anonymisierung besonders zum Tragen kommt, sei die Frage, wann Akteure ggf. zur Datenteilung verpflichtet sind. So bestehe bei anonymisierten Daten etwa eine Datenteilungspflicht nach dem DA, während es bei pseudonymen Daten nach der DS-GVO ein Teilungsverbot gebe. Es gebe aber weder in der Wirtschaft noch in der Wissenschaft Klarheit darüber, wann ein Datum wirklich anonym sei, weshalb bei jeder Entscheidung Sanktionen drohen würden. Die Lösung der Datenteilungsproblematik nach DA und DGA sieht Schwartmann in einer risikoorientierten Interessenabwägung, wie sie in der DS-GVO angelegt ist.

Als nächster Referent thematisierte Prof. Dr. Wolfgang Kerber, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Marburg, die zentrale Rolle der DS-GVO für Fragen des Datenzugangs. Man müsse konstatieren, dass aus dem Datenschutz ein Hindernis für die Datenteilung resultiere, wobei das Problem weniger der Datenschutz selbst, als vielmehr die hierin liegende Rechtsunsicherheit sei. Kerber warf dabei ganz grds. die Frage auf, ob die materiellen Regelungen des Datenschutzrechts die neuen Gefahren und Chancen infolge des technischen Fortschritts noch angemessen adressieren können. Die DS-GVO habe zwar einen Markt geschaffen, dieser sei jedoch von einem Marktversagen gekennzeichnet. Im DA sieht Kerber dann auch in erster Linie eine verpasste Gelegenheit, um Regeln für personenbezogene Daten zu konkretisieren und dadurch Rechtsunsicherheit abzubauen, vor allem, was das Internet of Things anbelangt. Der DA hätte genutzt werden können, um datenschutzspezifische Fragen zu klären, bei denen die DS-GVO überfordert sei, etwa im Bereich der Datenportabilität gem. Art. 20 DS-GVO. Darüber hinaus wagte sich Kerber an einer Einschätzung zur Effektivität des DA. Er sei skeptisch, was dessen Eignung zur Förderung des Entstehens von Datenmärkten und datengetriebener Innovationen angehe, insb. da die Verfahren zur Rechteausübung zu kompliziert ausgestaltet seien. Zwar sei die Klarstellung des DA positiv zu bewerten, dass Gerätehersteller nicht gleichzusetzen seien mit „Dateneigentümern“, gleichzeitig habe sich jedoch mit der Klärung der Frage nach der Zuordnung von Produktdaten das Problem nun auf einen anderen Akteur, nämlich den Nutzer, verlagert (s. zu dieser Problematisierung auch Funk CR 2023, 421).

Dr. Michael Dose, Referent für Digitalisierung und Innovation beim Bundesverband der Deutschen Industrie, widmete sich zum Abschluss des zweiten Themenblocks der Frage, ob der DA ein Anstoß für die Datenökonomie sein werde. Die neuen Datenzugangsregeln aus der Perspektive der Industrie betrachtend lieferte er konkrete Zahlen, etwa zur sog. Data Readiness von Unternehmen und zum Status Quo der Datenwirtschaft in Deutschland. Letzterer weise ein Ungleichgewicht auf, weil zwar 26% der Unternehmen einen Bedarf an Daten aus externen Quellen ausweisen, gleichzeitig jedoch nur 12% bereit sind, auch selbst Daten zu teilen. Die Hemmnisse einer stärkeren wirtschaftlichen Datennutzung seien dabei vielschichtig und reichen von der Sorge vor unberechtigtem Zugriff über datenschutzrechtliche Grauzonen bis hin zu Unklarheiten hinsichtlich des Werts der Daten. Inwieweit der DA als Boost für die Datenökonomie fungieren wird, werde nach Dose auch davon abhängen, wie viele Nutzer bzw. Dritte von ihren Rechten Gebrauch machen werden. Ferner gab Dose zu bedenken, dass es weiterhin viele rechtliche „Graubereiche“ gebe und sich besonders die Bedeutung der Frage nach der Unterscheidung zwischen personenbezogen und nicht-personenbezogenen Daten verstärken werde. Als Fazit endete er mit einer Anspielung auf zwei aus dem Bereich der effizienten Ressourcenallokation bekannten Kriterien: Der DA sei definitiv keine Pareto-, möglicherweise jedoch eine Kaldor-Hicks-Verbesserung.

Themenblock 3: Datenzugang im Bereich Forschung: Innovationen für Innovationen?

Im dritten Themenblock, der sich dem Datenzugang im Bereich der Forschung auseinandersetzte, machte Gerald Jagusch von der Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt den Auftakt, indem er einen Überblick über die Datenzugangsstrategie der Bundesregierung im Hinblick auf Forschungsdatenzugänge gab. Schon aus dem Koalitionsvertrag ergebe sich das Ziel, Forschungsdaten und den Zugang zu diesen zu fördern. Jagusch verwies diesbezüglich insb. auf das geplante Forschungsdatengesetz sowie die Einführung von Forschungsklauseln, mit besonderem Hinweis auf die hierzu ergangene Studie von Prof. Dr. Specht-Riemenschneider aus dem Jahr 2021. Die nationale Digitalstrategie der Bundesregierung, zu der neben Gesetzgebungsvorhaben wie dem Bundestransparenzgesetz und dem Forschungsdatengesetz beispielsweise auch die Einrichtung sektoraler Datenräume wie die Nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) zählen, werde maßgeblich hierauf gestützt. Zweifel erhebt Jagusch vor allem daran, ob die von der Bundesregierung gesetzte Roadmap bis 2024 eingehalten werden könne. Abschließend warf er noch einen Blick auf Hessen mit dem Open Data Gesetz von März 2023, der Hessischen Forschungsdaten Infrastruktur (HeFDI) sowie den aktuellen Diskussionen um ein „hessisches Forschungsdatenkompetenzzentrum“. Es zeichne sich ein Bild guter Ideen (NFDI), die jedoch Gefahr liefen, einem hohen Abstimmungsaufwand, Bürokratie und einer mangelnden Finanzierung zum Opfer zu fallen. Statt einzelner Leuchtturm-Projekte bedürfe es eines generellen Umdenkens, was den Datenzugang angeht, und einem Niederschlag in tatsächlicher Gesetzgebung.

Im anschließenden Kommentar von Prof. Stefan Bender von der Deutschen Bundesbank, gab dieser einen Einblick in die Datenzugangspraxis der Bundesbank. Zu Beginn betonte Bender, dass Datenteilung einen Mehrwert für alle Beteiligten (Institutionen, Forschende und Gesellschaft) bieten müsse. In den Blick zu nehmen seien daher auch die Kosten des Datenteilens. So stelle die Bundesbank Forschenden Daten kostenfrei zur Verfügung, müsse selbst jedoch Personalkosten für die Aufbereitung der Daten und deren Qualitätskontrolle decken. Der Zugang zu Daten der Bundesbank geschehe auf Vertragsbasis und unter Einhaltung strenger Sicherheitsvorkehrungen (zB durch die Bereitstellung eines geschützten Raums) samt Ergebniskontrolle. Mit der am Ende stehenden Publikation und der Zugänglichmachung gewonnener Erkenntnisse soll der Forschende der Wissenschaft dann auch wieder etwas zurückgeben, und dadurch zu einem Gleichgewicht der Kosten und Nutzen des Datenzugangs beitragen. Mit diesem Prozess versuche die Bundesbank, ihrem Selbstverständnis auch als Datentreuhänder gerecht zu werden.

Themenblock 4: Datenzugang im Bereich Gesundheit: Trendsetter oder sektorbezogene Konkretisierung?

Im vierten Themenblock richtete sich der Blick sodann dezidiert auf den Zugang zu Daten im Bereich Gesundheit. Dr. Thilo Weichert vom Netzwerk Datenschutzperspektive und ehemaliger Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein referierte in diesem Kontext über die datenschutzrechtliche Dimension des Patientengeheimnisses im Verhältnis zu einem bestehenden Datenzugangsinteresse der Forschung. Das Patientengeheimnis stehe auf verfassungsrechtlichem Fundament und die Verarbeitung von Gesundheitsdaten unterliege dem spezifischen Schutz sensitiver Daten gem. Art. 9 DS-GVO. Zusätzlich müsse die Einhaltung der DS-GVO über technisch organisatorische Maßnahmen sichergestellt werden, um das Interesse der betroffenen Person am Patientengeheimnis zu wahren (§ 22 BDSG). Im Verhältnis zu den Interessen der Forschungsdatenverarbeitung lassen sich jedoch vereinzelte Ausnahmen feststellen, die dem Zugangsinteresse bei Gesundheitsdaten Rechnung tragen sollen. Hierzu gehört beispielsweise die Privilegierung der Zweckbindung (Art. 5 Abs. 1 lit. b DS-GVO iVm Art. 89 Abs. 1 DS-GVO), Ausnahmen von Betroffenenrechten (Art. 89 Abs. 2 DS-GVO) sowie die teilweise Aufweichung des Einwilligungserfordernisses (§ 27 Abs. 1 BDSG). Des Weiteren verwies Weichert auf Entwicklungen innerhalb dieses Bereiches, wie insb. den Vorschlag der EU-Kommission für einen European Health Data Space sowie den Vorschlag der Bundesregierung für ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz. Letzteres sieht Weichert kritisch und fordert eine Nachbesserung im Gesetzgebungsverfahren, u.a. durch einen über die Pseudonymisierung hinausgehenden Schutz der betroffenen Personen, die Konkretisierung der Zwecksetzung und die Gewährleistung der Unabhängigkeit der entscheidenden Instanz im Zulassungsverfahren.

Dr. Jean-Enno Charton, Leiter des Bereichs digitale Ethik und Bioethik bei der Merck KGaA, nahm die Perspektive eines Vertreters aus der Privatwirtschaft ein, der sich den Konsequenzen deutscher und europäischer Regulierung täglich ausgesetzt sieht. In Deutschland stelle er ein grds. großes Misstrauen ggü. jeglicher Art von Datennutzung fest. Zwar gebe es einen großen Bedarf nach neuen Lösungen, aber niemand wolle die zur Erforschung und Entwicklung neuer Technologien und Produkte erforderlichen Daten zur Verfügung stellen. In Anbetracht dessen, dass auch in Deutschland die Erkenntnisse, die auf Basis der Auswertung von Nutzerdaten in anderen Ländern generiert werden, gerne genutzt würden, sei diese Haltung etwas widersprüchlich. Merck reagiere auf diesen Widerspruch, indem das Unternehmen sich eigene Richtlinien und Verpflichtungen auferlege, um so das Vertrauen der deutschen Kunden zu gewinnen. Ferner versuche das Unternehmen durch die interne Ethikberatung die regulatorischen Entwicklungen für innovative Bereiche, welche teilweise noch nicht reguliert wurden, zu antizipieren. Man gehe davon aus, dass ein ethisches Verhalten des Unternehmens in diesem unreguliertem Bereich dazu führe, dass das Unternehmen auch seine zukünftigen rechtlichen Verpflichtungen erfüllen werde. Charton endete mit der Feststellung, dass er es geradezu als Gebot bzw. ethische Verpflichtung sehe, Patientendaten zu nutzen, um so schließlich positive Effekte für das Gemeinwohl erzielen zu können. Der European Health Data Space könnte hierzu einen wichtigen Schritt leisten, allerdings müsse auch an eine Verknüpfung mit weiteren Datenmärkten, insb. den US-amerikanischen, gedacht werden.

Prof. Dr. Felix Wilke, Inhaber der Professur für Soziologie in der Sozialen Arbeit an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena, gab im Anschluss Einblick in die laufenden Arbeiten im Forschungsprojekt „Anonymisierung persönlicher Gesundheitsdaten durch Erzeugung digitaler Avatare in Medizin und Pflege“ (AVATAR). Im Rahmen dieses Projekts wird sich u.a. der Frage gewidmet, welche Sicht Bürgerinnen und Bürger auf eine „Spende“ ihrer Gesundheitsdaten hätten. Von den 1.537 Befragten erklärten sich lediglich 20% dazu bereit, Zugang zu ihren persönlichen Gesundheitsdaten und Daten über ihr Wohlbefinden zu gewähren. Aus soziologischer Perspektive sei diese mangelnde Bereitschaft zur Datenspende als Vertrauensproblem zu verstehen. Zudem komme es bei der Frage nach der Spendenbereitschaft stets auf den konkreten Verwertungszusammenhang an. Insofern gelte es, dem Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger als zentraler Ressource die notwendige Aufmerksamkeit zukommen zu lassen und die Sorgen hinsichtlich der Verwertungszusammenhänge ernst zu nehmen. Im Zweifelsfall müssten an dieser Stelle auf Potentiale offener, umfassender Datennutzung verzichtet werden.

Fazit und Ausblick

In seinem Schlusswort dankte Dr. Marcus Düwell von der Technischen Universität Darmstadt und stellvertretender Sprecher der ZEVEDI-Projektgruppe „Datenzugangsregeln“ den Referenten für ihre offene Kommunikation aus ihren jeweiligen Perspektiven, wodurch über den ganzen Tag hinweg viele Spannungen und Herausforderungen zur Sprache gekommen wären. Düwell gab zu bedenken, dass Fragen des Datenzugangs auch Fragen des Vertrauens sowie nach dem Design der (Daten)Regulierung sind.

Diesem Fazit gilt es zuzustimmen. Besonders die während der Tagung aufgezeigten mannigfaltigen Herausforderungen lassen den Eindruck zurück, dass die wissenschaftliche Debatte noch lange nicht abgeschlossen ist und weiter Unklarheit darüber besteht, wohin die Entwicklung bei der – insb. rechtlichen – Ausgestaltung von Datenzugängen gehen soll. Man mag sich fragen, ob es nicht angezeigt gewesen wäre, auf europäischer Ebene eine Weißbuch-Debatte zu Datenzugangsregeln zu führen, ähnlich jener zur Künstlichen Intelligenz. Angesichts dessen, dass sowohl beim DA als auch beim DGA die Würfel schon gefallen sind, ist zu hoffen, dass auf nationaler Ebene, insb. beim Forschungsdatengesetz, eine informierte und transparente Debatte geführt wird. Ungeachtet dessen wurde an dieser Tagung einmal mehr ersichtlich, dass ein interdisziplinärer Diskurs über gegenwärtige und zukünftige Daten(zugangs)regeln nicht nur produktiv, sondern angesichts der vielfältigen Herausforderungen unumgänglich ist. Eine solche Diskursmöglichkeit wird sich insb. auch bei der nächsten von der ZEVEDI-Projektgruppe „Datenzugangsregeln“ organisierten Tagung ergeben, die im April 2024 in Darmstadt stattfinden wird. 

 

Jasmin Brieske ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Informationsrecht (Prof. Dr. Alexander Peukert) sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin von Frau Prof. Dr. Doris Schweitzer an der Goethe-Universität Frankfurt/M.

Benjamin Müller, M. A., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Dr. Steffen Augsberg (Justus-Liebig-Universität Gießen) und Prof. Dr. Petra Gehring (TU Darmstadt).

Lars Pfeiffer, LL.M., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet für Öffentliches Recht, IT-Recht und Umweltrecht (Prof. Dr. Gerrit Hornung, LL.M.) sowie am Wissenschaftlichen Zentrum für Informationstechnik-Gestaltung (ITeG) der Universität Kassel.

Zaira Zihlmann ist Wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für Internationales Wirtschafts- und Internetrecht (Prof. Dr. Mira Burri) an der Universität Luzern sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin von Prof. Dr. Malte-C. Gruber (Justus-Liebig-Universität Gießen).

Alle Autorinnen und Autoren sind zudem als Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an der Projektgruppe „Datenzugangsregeln“ des Zentrums verantwortungsbewusste Digitalisierung (ZEVEDI) beteiligt.

 

 

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