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Steinhuber, Das datenschutz-rechtliche Medienprivileg

Professor Dr. Bernd Holznagel, ITM, ist Leiter der öffentlich-rechtlichen Abteilung der Universität Münster und Mitherausgeber der MMR.

Merle Steinhuber, Das datenschutzrechtliche Medienprivileg, Zum Spannungsfeld zwischen Medienfreiheit und Persönlichkeitsrechten, Berlin (Duncker & Humblot) 2023, ISBN 978-3-428-18779-9, 89,90 EUR

ZD-Aktuell 2023, 04500   Die Medienfreiheit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung stehen in einem Spannungsverhältnis. Einerseits ist das Datenschutzrecht bestrebt, die Erhebung und Verbreitung personenbezogener Daten möglichst zu begrenzen. Andererseits ist es die Aufgabe der Medien, Hintergründe politischer Entscheidungen aufzuklären und die Resultate der journalistischen Arbeit zu veröffentlichen. Art. 85 DS-GVO gestattet deshalb den Mitgliedstaaten, Ausnahmen und Abweichungen von der DS-GVO vorzusehen, soweit diese dazu dienen, die beiden Grundrechte in Einklang zu bringen. Neben dieser Generalklausel in Absatz 1 der Vorschrift werden in Absatz 2 die Kapitel der DS-GVO aufgeführt, von denen die Mitgliedstaaten für die Verbreitung, die zu journalistischen Zwecken oder zu wissenschaftlichen, künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt, Abweichungen oder Ausnahmen festlegen dürfen.

Von den Möglichkeiten dieser Öffnungsklausel haben die Bundesländer in ihren Rundfunk- und Pressegesetzen ausgiebig Gebrauch gemacht. Sie gehen aber nach wie vor von der Tätigkeit eines klassisch-redaktionell arbeitenden Journalisten aus. Daher entstehen oft Unsicherheiten darüber, inwieweit die neuen Formen der Berichterstattung im Internet (Blogs, Tweets, Videos) als eine Verarbeitung zu journalistischen Zwecken eingestuft werden können. Umstritten ist zudem, ob nationale Abweichungsbefugnisse von den Vorschriften der DS-GVO im Bereich der Medien auch auf Art. 85 Abs. 1 DS-GVO gestützt werden können. Die vorliegende Arbeit, die an der juristischen Fakultät der Universität Potsdam als Dissertation angenommen wurde, geht diesen Fragen nach. Sie bemüht sich zudem, Verbesserungsvorschläge zu den bisherigen nationalen Rechtsrahmen auszuarbeiten. Dies ist eine lohnende Aufgabe, da die herkömmliche Art und Weise der Berichterstattung immer mehr an Bedeutung verliert. Denn die Auflagen der klassischen Presse befinden sich im Sinkflug und den kommerziellen Fernsehsendern brechen auf Grund der Konkurrenz durch die Streamingdienste die Geschäftsmodelle weg.

Nach einleitenden Worten wird zunächst die historische Entwicklung des Medienprivilegs nachgezeichnet. Hierbei wird ausgiebig auf die Entwicklung des deutschen und europäischen Datenschutzrechts eingegangen. Viel Neues enthält der Abschnitt jedoch nicht. Anschließend wird die unterschiedliche Ausgestaltung des Medienprivilegs auf der europäischen und der nationalen Ebene dargestellt. Hierbei zeigt sich eine zersplitterte Rechtslage, die durch die unterschiedlichen Regelungsansätze der Länder verursacht wird. Presseunternehmen können sich zudem den im Pressekodex niedergelegten Regeln der journalistischen Datenverarbeitung unterwerfen. Das Datenschutzrecht findet dann auf sie keine Anwendung mehr. Es gilt allein die presserechtliche Selbstregulierung. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die Unternehmen Mitglied im Deutschen Presserat sind. Bei vielen Bloggern, Bürgerjournalisten und ähnlichen Gruppen ist dies jedoch nicht der Fall. Steinhuber weist zu Recht darauf hin, dass die Durchsetzungsbefugnisse des Deutschen Presserats außerordentlich begrenzt sind. Vorschläge, die auf eine zumindest „auffangtatbestandliche Kontrollkompetenz des Staates“ hinauslaufen, konnten sich politisch bisher nicht durchsetzen.

Vor diesem Hintergrund macht es Sinn, dass sich das vierte Kapitel ausgiebig mit der (personellen) Reichweite des Medienprivilegs beschäftigt. Im Mittelpunkt steht zunächst die Frage, wie sich der Journalismus im Zuge der neuen Kommunikationsformen des Internets wandelt. Anschließend werden ausgewählte Meinungsmultiplikatoren (Blogger, Bewertungsportale, soziale Medien, Roboterjournalismus) daraufhin untersucht, inwiefern sie sich auf das datenschutzrechtliche Medienprivileg berufen können. Hierbei ist vieles einzelfallabhängig.

Bevor näher auf aktuelle Reformbedürfnisse und Lösungsvorschläge eingegangen wird, werden die europarechtlichen Spielräume für eine Veränderung des nationalen Medienprivilegs ausgelotet. Steinhuber kritisiert gut vertretbar, dass im nationalen Recht der Regelungsauftrag des Art. 85 Abs. 1 DS-GVO nur unzureichend umgesetzt wurde. Diese Vorschrift würde es aus ihrer Sicht ermöglichen, auch die neuen Formen der Berichterstattung bei der nationalen Ausgestaltung eines datenschutzrechtlichen Medienprivilegs adäquat zu berücksichtigen. Folgerichtig plädiert Steinhuber dafür, alle Kommunikations- und Verbreitungsformen, die einen herausragenden Beitrag zum öffentlichen Diskurs leisten, in den Anwendungsbereich des datenschutzrechtlichen Medienprivilegs einzubeziehen. Um diesen Ansatz umzusetzen, unterbreitet er brauchbare Formulierungsvorschläge (S. 233). Zudem setzt er sich dafür ein, eine einheitliche Aufsichtskontrolle unabhängig vom konkreten Medium zu etablieren. In Anlehnung an die rundfunkrechtliche Aufsicht könnte die externe Kontrolle auch in Form einer Selbstkontrolle durch einen internen Datenschutzbeauftragten durchgeführt werden. Es ließe sich aber auch eine Stelle etablieren, die medienübergreifend für die Aufsicht zuständig wäre.

Der Verfasserin ist darin zuzustimmen, dass das datenschutzrechtliche Medienprivileg einer Überarbeitung bedarf. Die Schwierigkeit besteht darin, einen angemessenen personellen Anwendungsbereich zu bestimmen. Vermutlich bedarf es hierfür einer Aufsichtsbehörde, die empirisch ermittelt, welche Inhalte einen herausragenden Beitrag zum öffentlichen Diskurs leisten und insofern einer Privilegierung bedürfen. Das datenschutzrechtliche Schutzniveau müsste zudem auf die typischen Gefährdungen der einschlägigen Dienste abgestellt werden. Eine Erhöhung journalistischer Sorgfaltspflichten für Online-Dienste, wie es der Verfasser vorschlägt, ist kaum durchsetzbar und kann nur eine begrenzte Ordnungsfunktion wahrnehmen. Auch in Zeiten von Fake News bleibt der Datenschutz ein wichtiges Instrument zur Gewährleistung von Persönlichkeitsrechten.

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