Thomas Kranig war Präsident des Bayerischen Landesamts für Datenschutzaufsicht in Ansbach und ist Mitglied des Wissenschaftsbeirats der ZD.
Johannes Caspar, Wir Datensklaven, Wege aus der digitalen
Ausbeutung, Berlin (Econ) 2023, ISBN 978-3-430-21081-2, 24,99 EUR
ZD-Aktuell 2023, 04498 Knapp zwei Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Amt des Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit beschreibt Johannes Caspar in seinem Buch „Wir Daten Sklaven“ seine Erkenntnisse über die Auswirkungen der permanent fortschreitenden Digitalisierung unserer Welt, Erkenntnisse, die er wohl nicht nur, aber insbesondere auch durch seine konkreten Aufgaben als Leiter der Hamburger Datenschutzbehörde gewonnen hat. Sehr erfreulich ist zunächst, dass Johannes Caspar sein Buch nicht in der Fachsprache eines Juraprofessors und Rechtsphilosophen, sondern für jedermann gut verständlich verfasst hat. Beim Lesen des Buchs wird einem schnell bewusst, welches Bedürfnis es dem Autor war und ist, aus seiner fachlich sehr fundierten Sicht die interessierte Leserschaft auf das hinzuweisen, was um sie herum in der digitalisierten Welt geschieht, aber insbesondere auch, wie die interessierte Leserschaft selbst zum Objekt des Handelns und Gewinnstrebens anderer wird. Man kann seine Ausführungen im ersten Teil des Buchs geistig noch mit „ach so, ja, stimmt, da hat er Recht“ usw. interessiert zur Kenntnis nehmen, wenn er das Geschäftsmodell u.a. von Google und Facebook beschreibt, von zwei Unternehmen, die er aus seiner Hamburger Zeit besonders gut kennt, da sie ihren Deutschlandsitz in Hamburg haben und er für sie zuständig war. Es ist nichts wirklich Neues, wenn er beschreibt, dass wir in den Augen dieser Unternehmen nicht Nutzer, sondern Objekte sind, deren personenbezogene Daten ausgewertet und zu Geld gemacht werden, aber es im Gesamtkontext fast beiläufig noch einmal vor Augen gehalten zu bekommen, ist beeindruckend.
Nicht nur interessiert zur Kenntnis nehmen kann und sollte man seine Ausführungen im zweiten Teil des Buchs, wenn er sehr nachvollziehbar erläutert, welche Gefahr die derzeitige Praxis und drohende weitere Entwicklung für unsere Gesellschaft und unsere Demokratie darstellt. Die Sorge des Autors um Gesellschaft und Demokratie berühren und fesseln den Leser wie ein guter und spannender Kriminalroman, nur dass es sich hierbei nicht um eine Fiktion, sondern um eine Realität handelt, in der wir mittendrin sind, und sich das ungute Gefühl mit dem Zur-Seite-Legen des Buchs, anders als bei einem Kriminalroman, nicht wirklich erledigt. Das Buch ist spannend, richtig und wichtig. Zu kritisieren ist allenfalls, dass der Untertitel des Buchs, „Wege aus der digitalen Ausbeutung“, nicht das hält, was zumindest der Rezensent sich erwartet hat. Er erwartete sich ziemlich konkrete Handlungsanweisungen, wie er und die anderen Leserinnen und Leser ihre personenbezogenen Daten besser bei sich behalten können. Dass dieses Ziel in unserer heutigen digitalisierten Welt, die einerseits von übermächtigen Big-Tech Firmen wie Meta, Google oder Amazon und andererseits von diktatorischen Regimes wie in China beherrscht wird, derzeit nicht zu erreichen ist, hat der Autor mit einer Übertragung in die analoge Welt und der Beschreibung eines Einkaufserlebnisses in einem Supermarkt mit einer großen Anzahl ungewünschter Begleiter beschrieben.
Die vom Autor aufgezeigten Wege aus der digitalen Ausbeutung durch Rückführung der personenbezogenen Daten in demokratisch legitimierte und kontrollierte Organisationen ist logisch stringent, verlangt aber enorm viel Glauben und Fantasie, wie dieses Ziel bei den heutigen politischen und gesellschaftlichen Machtverhältnissen erreicht werden kann. Einen gewissen Trost bietet der Autor mit dem Verweis auf die Geschichte, indem er darauf hinweist, dass zu Beginn der Industrialisierung die Arbeitnehmerschaft wohl auch keinen Plan davon hatte, dass sie später einmal durch gesetzlich garantierte Mitbestimmungsrechte ihr Arbeitsleben mitgestalten können wird.
Das Buch ist, wie oben beschrieben, nicht nur für ein Fachpublikum, sondern für alle am Zeitgeschehen Interessierte geschrieben. Besonders wünschenswert wäre es, wenn viele junge Menschen dieses Buch lesen und darüber nachzudenken anfangen, was diese sog. „sozialen Medien“ mit ihnen machen. Ist es wirklich erstrebenswert, dass Oma und Opa ihre Zeit auf Facebook verbringen, deren Kinder einen Großteil ihrer Kommunikation über WhatsApp abwickeln und die Enkelkinder die Welt weitestgehend nur durch die Brille von Instagram, Tik Tok u.a. kennenlernen und erleben - und alle dadurch wenige Firmen immer mächtiger und wenige Menschen zu immer größeren Multi-Milliardären machen?
Johannes Caspar schaut sehr differenziert auf unsere digitale Welt und beschreibt durchaus sinnvolle und notwendige Einsatzgebiete, ohne dabei seine Grundthese zu verlassen, dass die Herrschaft über die personenbezogenen Daten sich in den Händen demokratisch strukturierter und kontrollierter Organisationen befinden muss.
Zusammenfassend ist festzuhalten: Das Buch „Wir Datensklaven - Wege aus der digitalen Ausbeutung“ ist uneingeschränkt einer sehr breiten Leserschaft, nicht nur aus dem Bereich der Juristerei, der Rechtsphilosophie und/oder der Datenschutzfamilie zu empfehlen. Es macht uns sehr bewusst, in welcher Gesellschaft und mit welchen Rahmenbedingungen wir in unserer digitalisierten Welt leben und was wir erreichen können, wenn wir als Gesellschaft zusammenhalten und uns dafür einsetzen, ein demokratisches Modell der Digitalisierung zu erreichen, wie der Autor es anhand von Beispielen aus Barcelona (S.286) oder Toronto (S. 285) dargestellt hat.