Dr. Heiko Richter, LL.M. (Columbia), Dipl.-Kfm., ist wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb in München.
Louisa Specht-Riemenschneider/Moritz Henneman, Data Governance Act: DGA, Handkommentar, Baden-Baden (Nomos) 2023, ISBN 978-3-8487-8340-3, 129 EUR
ZD-Aktuell 2023, 04491 Am 22.6.2022 trat der Data Governance Act in Kraft (genau genommen die VO (EU) 2022/868 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 30.5.2022 über europäische Daten-Governance und zur Änderung der VO (EU) 2018/1724). Kaum ein Jahr ist vergangen, und schon legen Louisa Specht-Riemenschneider und Moritz Hennemann mit ihrem gut 700 Seiten zählenden Kommentar zum Data Governance Act (DGA) die erste tiefgründige Gesamtkommentierung zu diesem Rechtsakt vor.
Die Notwendigkeit, Konstruktion und Wirkweise des DGA ist in Fachkreisen umstritten; allerdings zog die Verordnung deutlich weniger rechtspolitische und -wissenschaftliche Aufmerksamkeit auf sich als die anderen, später erlassenen europäischen Digitalgesetzgebungsakte, namentlich DMA, DSA und Data Act. Der DGA ist insofern etwas sperrig, da er drei unterschiedliche Themenkomplexe adressiert: Erstens die Bedingungen für die Weiterverwendung bestimmter geschützter Daten im Besitz öffentlicher Stellen; zweitens einen Anmelde- und Aufsichtsrahmen für die Erbringung von Datenvermittlungsdiensten (auch: Datenintermediäre); drittens die Eintragung von Einrichtungen, die Daten für altruistische Zwecke zur Verfügung gestellte Daten erheben und verarbeiten. Außerdem ruft der DGA einen Dateninnovationsrat ins Leben, dem nicht nur im Rahmen des DGA, sondern auch mit Blick auf zukünftige sektorale und horizontale, datenbezogene Regelungen Kompetenzen zufallen sollen.
Das Werk ist in Co-Autorenschaft geschrieben. So kommentiert Specht-Riemenschneider mit einem Umfang von gut zwei Dritteln die Art. 1-15, und Hennemann reflektiert im verbleibenden Drittel über die Art. 16-38. Da der Kommentar nicht als Herausgeberwerk konzipiert ist, bietet er eine wohltuende Abwechslung: Es scheint branchenüblich, dass Digitalgesetzgebungsakte von einer Bearbeitervielzahl demontiert werden, um besonders schnell „auf dem Markt“ zu sein. Das geht nicht selten zu Lasten der Tiefe und Kohärenz. Specht-Riemenschneider und Hennemann ist indes beides gelungen – eine fachlich profunde Kommentierung aus einem Guss, die obendrein unüblich zeitnah erschienen ist. Das verdient alle Hochachtung.
Die inhaltliche Herausforderung besteht darin, dass die bis dato existierende Literatur zum DGA recht übersichtlich ist. Auch die Gesetzgebungsmaterialien sind im Vergleich zu den o.g. Rechtsakten eher dünn. Außerdem ist der DGA ein gänzlich neues Regelwerk, und einige Regelungen – wie etwa das gesamte Kapitel zu den Datenintermediären – sind noch gar nicht anwendbar, sodass keinerlei Rechtsprechung zum DGA existiert. Was also tun, um eine innovative Kommentierung über ein komplexes, in den Kinderschuhen steckendes Gesetz zu schreiben? Der Kommentar arbeitet alles zum DGA Verfügbare gründlich auf. Darüber hinaus übt die Kommentierung oftmals den Seitenblick auf bestehende Gesetze, um sie für die Auslegung des DGA nutzbar zu machen und mit diesem zu synthetisieren. Das betrifft insbesondere das Datenschutzrecht (DS-GVO). Aber auch das Wechselspiel der unmittelbar geltenden europäischen Verordnung mit dem deutschen Recht findet systematisch Berücksichtigung; so zB bei der privaten Rechtsdurchsetzung nach dem UWG und der zivilrechtlichen Einbettung, in Bezug auf die Verfahrensregeln und die Behördenzuständigkeiten. Specht-Riemenschneider und Hennemann machen so den DGA anschlussfähig für das deutsche Rechtssystem. Insgesamt positioniert sich die Kommentierung in wünschenswerter Klarheit und Nachvollziehbarkeit zu Streitfragen und schürft dabei nicht nur in einer ergiebigen Tiefe, sondern ist auch gleichmäßig über alle 38 Artikel der Verordnung ausgearbeitet, sodass nichts „zu kurz“ kommt.
Abzuwarten bleibt, inwiefern der nicht selten kryptisch anmutende DGA tatsächlich in der Praxis relevant werden wird. Die Kommentierung eröffnet nun jedenfalls Rechtsanwendern (dh insbesondere den mit der Durchsetzung betrauten Behörden und privaten Akteuren) zumindest eine realistische Chance, den Regelungsgehalt des DGA besser (respektive: überhaupt erst) zu verstehen und die Regeln auch für ihre Interessen nutzbar zu machen. Dafür steht in Deutschland noch der Erlass des Durchführungsgesetzes zum DGA aus. In diesem sollen etwa die zuständigen Behörden (größtenteils wohl die Bundesnetzagentur), Verfahren und Bußgelder näher bestimmt werden – schon um dessen Berücksichtigung willen ist eine zeitnahe zweite Auflage des Werks wohl ein hohes Praxisdesiderat. Zunächst aber wird im Herbst eine englischsprachige Fassung des Werks erscheinen. Das ist besonders erfreulich – schließlich gilt die Verordnung unmittelbar in allen Mitgliedstaaten. Die breite Rezeption des Kommentars kann somit auch zur EU-weiten Anwendungskohärenz beitragen.