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Prof. Dr. Thomas Rönnau | Nov 29, 2024
Nach bisheriger Rechtsprechung der BGH-Strafsenate sind Untreuetaten zulasten einer Personengesellschaft nur dann strafbar, wenn sie zugleich „das Vermögen der Gesellschafter berühren“; eine Vermögensträgerschaft der Gesellschaft selbst erkennt die Strafrechtsprechung nicht an. Die in der Literatur vertretene Gegenauffassung stützt sich auf die jüngeren Entwicklungen im Personengesellschaftsrecht und will auf die Schädigung der Gesellschaft als solcher abstellen. Diese Meinungsströmung erhält massiven Rückenwind durch das zum 1.1.2024 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG). Die Reform gibt Anlass, auf eine Rechtsprechungsänderung zu drängen.
Der BGH und seine vielen Anhänger legen ihrer Auffassung bislang die Prämisse zugrunde, die Rechtspersönlichkeit sei notwendige Voraussetzung, um in den Kreis der (potenziellen) Opfer einer strafrechtlichen Untreue zu fallen. Allein eine natürliche oder juristische Person könne durch den Untreuetatbestand geschütztes Vermögen besitzen, nicht aber eine Personengesellschaft. Die von namhaften Stimmen in der Literatur wie Karsten Schmidt und Henning Radtke vertretene Gegenansicht kritisiert dieses Modell zu Recht. Zwar trifft es zu, dass Personengesellschaften weder natürliche noch juristische Personen sind, sondern einer dritten, eigenständigen Kategorie rechtsfähiger Subjekte (vgl. § 14 Abs. 1 BGB) angehören. Rechtspersönlichkeit und Rechtsfähigkeit sind aber im Zivilrechtskontext schon seit Jahrzehnten keine Synonyme mehr, wie der Begriff „rechtsfähige Personengesellschaft“ in § 14 Abs. 1, 2 BGB deutlich zeigt. Der Grundansatz der Strafrechtsprechung steht daher in offenem Widerspruch zu der zivilrechtsakzessorischen Vermögenszuordnung bei der Untreue, wie sie die ganz hM befürwortet.
Welche Rolle spielt dabei nun das MoPeG? Bis zum 1.1.2024 konnte der BGH ein starkes Argument für sich verbuchen: Nach § 718 BGB aF war das Gesellschaftsvermögen „gemeinschaftliches Vermögen der Gesellschafter“. Die Strafsenate des Obergerichts haben sich auch nicht vom Grundsatzurteil „ARGE Weißes Ross“ (BGHZ 146, 341) beeindrucken lassen, in dem der II. BGH-Zivilsenat das Personengesellschaftsrecht erheblich umgestaltete und das Vermögen der im Rechtsverkehr auftretenden „Außen“-GbR der Gesellschaft selbst zuordnete. Dies ließ sich noch mit der Erwägung rechtfertigen, dass das Strafrecht zwar akzessorisch zum Gesellschaftsrecht ist, nicht aber zu den Gesellschaftsrechtlern (Samson). Durch das MoPeG wendet sich indes das Blatt: Der Gesetzgeber gießt die „ARGE-Weißes-Ross“-Entscheidung in Gesetzesform und weist das Gesellschaftsvermögen in § 713 BGB nF expressis verbis der Gesellschaft selbst zu. Bei der gebotenen zivilrechtsakzessorischen Betrachtung kann heute daher kein Zweifel mehr bestehen, dass das „fremde Vermögen“ iSd § 266 StGB auch das einer Personengesellschaft sein kann.
Die dogmatische Überzeugungskraft der (noch) Minderheitenansicht wird durch ihre praktischen Vorzüge ergänzt. Bislang mussten die Gerichte bei Untreuetaten gegenüber Personengesellschaften zunächst den Gesamtschaden ermitteln und ihn anschließend entsprechend den Beteiligungsverhältnissen auf die einzelnen Gesellschafter aufteilen. Wie Karsten Schmidt (JZ 2014, 878 ff.) anschaulich anhand der „Hochseeschleppergeschäft“-Entscheidung vorgeführt hat, kann dies bei komplexen Kapitalstrukturen innerhalb von Kommanditgesellschaften erhebliche Schwierigkeiten bereiten (vgl. nur BGH NZWiSt 2014, 346). Nimmt man demgegenüber einen Schaden der Gesellschaft an, verflüchtigen sich diese Probleme: Es muss nur noch der Gesamtschaden der Personengesellschaft festgestellt werden – und nur ihr Einverständnis würde den Tatbestand ausschließen.
Der BGH sollte jetzt die erste sich bietende Gelegenheit beim Schopfe packen und das MoPeG als Anlass für die Abkehr von einer jahrzehntelangen problematischen Rechtsprechungslinie nehmen.