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Mildernde Berücksichtigung von Compliance-Management-Systemen bei der Bußgeldbemessung – aber unter welchen Voraussetzungen?

Von Prof. Dr. Dr. h.c. Gerhard Dannecker | Mai 03, 2021

Die Entscheidung des BGH vom 9.5.2017 – 1 StR 265/16 zur Berücksichtigung eines Compliance-Management-Systems bei der Bußgeldbemessung hat für großes Aufsehen gesorgt. Hiernach ist für die Bemessung der Geldbuße von Bedeutung, inwieweit eine juristische Person ihrer Pflicht, Rechtsverletzungen aus der Sphäre des Unternehmens zu unterbinden, genügt und ein effizientes Compliance-Management installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen zielt. Das wirft die Frage auf, welche Anforderungen ein Compliance-System konkret erfüllen muss, um als solcher Milderungsgrund berücksichtigt zu werden.

Während das Bundeskartellamt bei der bußgeldmildernden Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen zunächst äußerst zurückhaltend war, nennt der Gesetzgeber der 10.GWB-Novelle in § 81d Abs. 1 Satz 2 GWB eine nicht abschließende Aufzählung der Bußgeldbemessungskriterien, unter anderem die bußgeldmindernde Berücksichtigung von Compliance-Maßnahmen vor und nach Begehung des Verstoßes. Auch die BaFin hat mit dem Rundschreiben 05/2018 (WA) in der Fassung vom 19.4.2018, geändert am 29.4.2020, „Mindestanforderungen an die Compliance-Funktion und weitere Verhaltens-, Organisations- und Transparenzpflichten“ zusammengestellt. Im Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft vom 16.6.2020 finden sich keine entsprechenden Vorgaben. Hier bleibt offen, was Unternehmen konkret leisten müssen, um wegen eines angemessenen Compliance-Management-System jedenfalls bei Mitarbeiterkriminalität eine Verbandsverantwortlichkeit auszuschließen und unter welchen Voraussetzungen eine Milderung in Betracht kommt. Immerhin werden in der einschlägigen Norm des § 3 Abs. 1 Nr. 2 E-VerSanG zur Beschreibung tauglicher Vorkehrungen die Begriffe „Organisation", „Auswahl", „Anleitung" und „Aufsicht" genannt. Es wird jedoch nicht konkretisiert, was hierunter zu verstehen ist und welche Vorkehrungen angemessen sind. Ein Gewinn an Rechtssicherheit gegenüber § 130 Abs. 1 OWiG wird nicht erzielt.

In den USA, dem Mutterland der Compliance, finden sich inzwischen detaillierte Regelungen in einem Leitfaden zur „Evaluation of Corporate Compliance Programs“ (https://www.justice.gov/criminal-fraud/page/file/937501/download). Dieser Leitfaden des DOJ, der erstmals im Februar 2017 veröffentlicht wurde, richtet sich an US-Staatsanwälte und soll diesen ermöglichen, die Wirksamkeit von Compliance Programmen zu bewerten. Inhaltlich gibt der Leitfaden keine verbindlichen Mindeststandards vor, sondern soll lediglich die Entscheidung über eine Anklageerhebung und die Sanktionsbemessung erleichtern und eine einheitliche Rechtsanwendung sicherstellen. Dieser Leitfaden, der im Juni 2020 aktualisiert und in wesentlichen Punkten ergänzt worden ist, insb. im Hinblick auf die Berücksichtigung der nationalen Rechtslage, kann aufgrund seines hohen Detailgrades Unternehmen bei der Ausgestaltung von Compliance-Programmen als Orientierungshilfe dienen. Inhaltlich werden drei zentrale Themen als Fragen adressiert:
1. Ist das Compliance-Programm gut konzipiert?
2. Wird das Compliance-Programm ernsthaft und mit guten Absichten angewandt? Besitzt das Programm also ausreichende Ressourcen und kann es effektiv funktionieren?
3. Funktioniert das Compliance-Programm auch tatsächlich?

Diese Fragen werden eingehend erörtert, so dass diese Vorgaben, obwohl sie für das deutsche Recht nicht verbindlich sind, auch von deutschen Unternehmen als „best practice“ herangezogen werden sollten. Sie enthalten zudem Anregungen, die im Rahmen der mildernden Berücksichtigung der Compliance von den Gerichten Beachtung finden sollten und zudem den deutschen Gesetzgeber inspirieren könnten. Der Leitfaden zur „Evaluation of Corporate Compliance Programs” dürfte damit eine ebenso lohnenswerte Lektüre wie ein interessanter Impuls für die deutsche Diskussion über adäquate Standards der Unternehmenscompliance darstellen.

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