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Justizgewährleistung für Konventionsverstöße?

Von Rechtsanwalt Thomas C. Knierim, Mainz

Dem guten Verständnis eines den Grund- und Menschenrechten verpflichteten Rechtsstaats entspricht es, für Fehlentscheidungen und Justizirrtümer rechtlich verbindliche Korrekturen vorzusehen. Wer dieses Verständnis teilt und die Umsetzungspflicht des Art. 46 Abs. 1 EMRK für EGMR-Entscheidungen kennt, wundert sich, dass Deutschland kein umfassendes Umsetzungsverfahren bereitstellt. Vielmehr genügen die bestehenden Regelungen in keiner Weise den Anforderungen an einen effektiven Menschenrechts- und Grundrechtsschutz. Zwei Beispiele verdeutlichen das:

Im ersten Fall entschied der EGMR (Urt. v. 16.2.2021 – 1128/17, NJW 2021, 2947) rund 10 Jahre nach der Verurteilung, dass zu Unrecht ein vorbefasster Richter an Verfahren und Urteil mitgewirkt hatte. Der für solche Fälle vorgesehene Wiederaufnahmeantrag gem. § 359 Nr. 6 StPO stellt die Umsetzung der Entscheidung nicht sicher, da er als relativer Wiederaufnahmegrund ausgestaltet ist. Hierzulande muss der Antragsteller, trotz des schon von Enttäuschungen und Tränen gepflasterten langjährigen erfolglosen Weges durch die Instanzen, trotz des Obsiegens vor dem EGMR wegen eines Menschenrechtsverstoßes, nachfolgend das Wiederaufnahmegericht noch davon überzeugen, dass der festgestellte Verstoß das (alte) Urteil entscheidend beeinflusst hat. Was aber soll dargelegt werden, wenn der gesetzliche Richter (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG) nicht mitgewirkt hat. Erst knapp drei Jahre nach dem EGMR machte das BVerfG (Beschluss v. 4.12.2023 – 2 BvR 1699/22, NJW 2024, 956) klar, dass Justizgewährleistung nicht durch unmögliche und unerfüllbare Anforderungen eingeschränkt werden darf. Jenseits der Freude über einen frei gemachten Weg bleiben Zweifel am Willen, die EGMR-Entscheidung effektiv umzusetzen.

Im zweiten Fall erkannte der EGMR (Urt. v. 4.6.2024 – 22321/19) einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK, weil in Deutschland die Zuständigkeit der Gerichte für Anträge auf gerichtliche Entscheidung von Vollzugsinsassen (§ 109 StVollzG) von dem Sitz der beteiligten Vollzugsbehörde abhängig ist (§ 110 StVollzG). Im konkreten Fall war der Betroffene so oft von einer in die andere Anstalt verlegt worden, dass sich kein zuständiges Gericht für seine Anträge fand. Eine effektive Justizgewährleistung war (und ist) somit unmöglich. Es bedarf grundlegender und wirksamer Zuständigkeiten und Verfahren in Deutschland, um Konventionsverstöße in Strafsachen zu heilen.

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