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Systemfremd und übermäßig!

Von Dr. Gina Greeve, Rechtsanwältin in Frankfurt am Main

Auf der 94. JuMiKo-Konferenz 2023 ist bereits darauf hingewiesen worden, dass Gesetzesvorschläge der Europäischen Kommission zum materiellen Strafrecht zunehmend detailreicher werden und weitreichende Zugriffe auf das nationale Strafrecht nehmen, Souveränitätsbelange der Mitgliedstaaten betreffen und den Mitgliedstaaten den Freiraum nehmen, ihr Strafrecht innerhalb ihres in sich stimmenden (Sanktionen-)Systems zu gestalten. Der aktuelle Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung der Korruption (COM (2023) 234 final, 2023/0135 (COD) sieht erneut erhebliche punitive Zugriffe vor, die in Bezug auf das deutsche Strafrecht eine weitgehende Vorverlagerung und Ausdehnung der strafrechtlichen Haftung bedeuten. Mit diesem Vorschlag verlässt die EU-Kommission die maßgeblichen Fundamente ihrer strafrechtlichen Regelungskompetenzen.

Dies betrifft nur beispielhaft die begriffliche Gleichstellung von Mandatsträgern und nationalen Beamten, die den materiellen Unterschied zwischen dem freien Mandat des Abgeordneten und der materiellen Verwaltungstätigkeit des Mandatsträgers nicht mehr vorsieht. Ebenso sollen im Anwendungsbereich des Tatbestandes der Veruntreuung Handlungen sowohl im öffentlichen wie auch privatwirtschaftlichen Raum weit im Vor- bzw. im Umfeld von Korruption – ohne erkennbaren, begrifflichen Bezugspunkt zum Vermögen – unter Strafe gestellt werden. Dies wiegt schwer, denn die geplante – dem deutschen Strafrecht zu Recht fremde – Versuchsstrafbarkeit der Veruntreuung lässt allein den (bloßen) Schutz der Dispositionsfreiheit zu. Es sind zudem höchst bedenklich weitgefasste Tatbestände zur Korruptionsbekämpfung sowie erhebliche Strafandrohungen und lange Verjährungsfristen vorgesehen.

Das Strafrecht in einem demokratischen Rechtsstaat unterliegt dem Ultima-ratio-Prinzip und dem Erfordernis eines legitimen Rechtsgutes. Beides ist mit den Regelungen des RL-Vorschlages nicht vereinbar. Gesetze zur unionsrechtlichen Harmonisierung von Straftatbeständen müssen dem Schutz eines legitimen Rechtsguts dienen. Es darf zudem kein weniger eingriffsintensives Mittel geben. Die Vorgaben des RL-Vorschlages sehen schließlich erhebliche Strafschärfungen vor – ohne Blick auf die jeweiligen Strafrahmensysteme der einzelnen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Die Verhältnismäßigkeits- und Subsidiaritätsgrenzen werden überschritten, denen die EU-Kommission aber unterliegt. 

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