Von PD Dr. Dr. Markus P. Beham, LL.M. (Columbia), Universität Passau
Das AG Flensburg reiht sich mit seinem Urteil vom 7. November 2022 betreffend die Anklage gegen einen Besetzer des Flensburger Bahnhofswalds wegen Hausfriedensbruchs (440 Cs 107 Js 7252/2) in die Riege zitabler Referenzen für die These einer nachhaltigkeitsrechtlichen Auslegungsmaxime ein: das Recht als Mittel zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele. Unter Verweis auf den Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts urteilte die Richterin, dass der Klimaschutz ein notstandsfähiges „anderes Rechtsgut“ im Sinne des § 34 StGB darstellt, das seine Grundlage in Art. 20a GG findet. Zumal es sich bei diesem Staatsziel um eine justiziable Rechtsnorm handelt, „folgt hieraus unter anderem, dass unbestimmte Rechtsbegriffe des einfachen Rechts, einschließlich des Begriffs des anderen Rechtsgutes sowie weiterer Rechtsbegriffe i.S.d. § 34 StGB, im Lichte und unter Berücksichtigung einer effektiven Verwirklichung der verfassungsrechtlichen Klimaschutzverpflichtung gemäß Art. 20a GG auszulegen sind“.
So kommt das Gericht auch zum Schluss, dass im Fall der geplanten Rodung des Flensburger Bahnhofswalds eine gegenwärtige Gefahr für das Rechtsgut Klimaschutz vorlag. Zur Frage möglicher Handlungsalternativen gegenüber der Besetzung wurde hervorgestrichen, dass in Anbetracht „der hohen Wertigkeit des Klimaschutzes sowohl hohe Anforderungen an die objektiv gleiche Eignung von Handlungsalternativen zu stellen“ sind, „als auch dem Angeklagten gleichsam ein gewisser begrenzter Einschätzungsspielraum bei seiner ex ante erfolgenden Beurteilung der gleichen Eignung einzuräumen“ ist.
Das Urteil lässt für den Prozessfortgang einen parallelen Verlauf zur vom Schweizer Bundesgericht bestätigten Entscheidung des Kantonsgerichts Waadt vom 22. September 2020 (Jug 2020/333/371) erahnen, der die Besetzung einer Bankfiliale durch Klimaaktivisten zugrunde lag. Auch hier wurden in erster Instanz noch alle Elemente des rechtfertigenden Notstands als erfüllt angesehen und anschließend schrittweise von einer Instanz zur nächsten verworfen.
Doch selbst wenn die Staatsanwaltschaft im Fall der Besetzung des Flensburger Bahnhofswalds bereits Revision eingelegt hat, hat die Richterin mit ihrem Urteil – bewusst oder unbewusst – für die Lehrbücher geschrieben. Die argumentative Verankerung der Nachhaltigkeitsziele im Recht ist damit jedenfalls wieder zwei Schritte vorausgegangen, sodass ein Schritt zurück auf dem steten Weg dieses gesamtgesellschaftlichen Paradigmenwechsels am Ende nur Makulatur sein kann.