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Paradigmenwechsel

Von Prof. Dr. Jürgen Taschke, Rechtsanwalt in Frankfurt am Main

Auch das Strafrecht wandelt sich, und scheinbar unumstößliche Gewissheiten gelten über Nacht nicht mehr. Das Wirtschaftswunder des Exportweltmeisters Deutschland gründete, wie manche meinen, auf der Bestechung von Amtsträgern in Asien. Das fand ein Ende mit der OECD-Konvention zur Bekämpfung der Korruption und deren Umsetzung im Internationalen Bestechungsgesetz. Der Fortsetzungszusammenhang, über Jahrzehnte solider Baustein der strafrechtlichen Ahndung lange zurückliegender Straftaten, war in den Augen des Großen Senats nicht mehr als eine Schimäre gewesen. Das BVerfG hat der schadensgleichen Vermögensgefährdung bei der Untreue unauffällig den Garaus gemacht. 30 Jahre brauchte die Rechtsprechung, die bei der Bestechung im Profifußball entwickelte Nützlichkeitsbetrachtung zugunsten einer beweiserleichternden Dogmatik aufzugeben. Die Absicht, dem Unternehmen vermeintlich Gutes tun zu wollen, zählt nicht; die rote Linie überschreitet, wer Geld in schwarze Kassen steckt. Dass keiner der Richter am Volksgerichtshof oder an einem der vielen Sonder- und Kriegsgerichte wegen Rechtsbeugung verurteilt worden ist, hat das höchste Gericht aus Anlass der Verurteilung eines DDR-Richters als falsch bezeichnet. Dem Urteil gegen Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrats der DDR verdanken wir die Erkenntnis, dass es den Täter hinter dem Täter doch gibt und staatliche Kriminalität wie Bandenkriminalität verfolgt werden kann. Das hat, wiederum spät, doch noch einen Rechtsprechungswandel bei der strafrechtlichen Bewertung von NS-Taten ermöglicht und den Weg frei gemacht für das höchstrichterliche Unwerturteil, auch Wachpersonen in Auschwitz seien Gehilfen des staatlich organisierten Massenmordes an europäischen Juden gewesen

Ein weiterer Paradigmenwechsel bahnt sich an. Ein Land, das in zwei Unrechtsstaaten ein ausgeklügeltes System der Bespitzelung erlebte und in dem das Unbehagen an Verrat und Denunziation ähnlich stark verankert ist wie die Angst vor Inflation, wird bald ein Gesetz zum Schutz von Hinweisgebern haben. In Umsetzung einer EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern hat das Bundeskabinett einen entsprechenden Gesetzesentwurf beschlossen. Auch wenn, was sich abzeichnet, einzelne Punkte in den parlamentarischen Beratungen Stoff für Kontroversen bieten, die große Linie wird sich nicht mehr ändern. Emotionale Vorbehalte sollten einer Akzeptanz des Gesetzes bei Beschäftigten und Unternehmen nicht entgegenstehen. Wer Hinweise auf konkrete Gefährdungen wichtiger Rechtsgüter gibt, verdient Schutz vor Diskriminierung. Einer Rechtskultur des Denunziatorischen leistet das keinen Vorschub.

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