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Bilanzstrafrecht und Berufsaufsichtsrecht – ein rechtsdogmatischer Dornröschenschlaf?

Von StB Michael Sell, Leiter der Abschlussprüferaufsichtsstelle (APAS) beim BAFA, Berlin

Während auf neue Formen der Alltagskriminalität, seien es Computer- oder Internetdelikte, aufgrund der massiven Betroffenheit der Bevölkerung zügig strafrechtlich und strafrechtsdogmatisch reagiert wurde, stehen Bilanzierungsdelikte trotz hoher Schadenssummen im Abseits. Und dies, obwohl die Einzelfälle im Inland (zB Bremer Vulkan, EM.TV, Holzmann) und im Ausland (Parmalat, WorldCom, Enron) über viele Monate die Wirtschaftsseiten der Presse beherrschten.

In den USA hat der Gesetzgeber mit der Strafbarkeit des Abschlussprüfers durch den Sabanes Oxley Act regiert, Deutschland mit der Einführung des § 332 HGB.

Daneben besteht die Pflicht zu berufsaufsichtlichen Disziplinarmaßnahmen nach der Wirtschaftsprüferordnung, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) im Nachgang zum Wirecard-Skandal.

Schaut man sich allerdings die rechtsdogmatische Durchdringung der Tatbestände an, stößt man auf ein weißes Feld. Ausnahmen bilden Dissertationen wie etwa von Thea Christine Bauer zur Strafbarkeit des Abschlussprüfers oder Christoph Lindheim zum Einfluss der International Financial Reporting Standards auf das deutsche Bilanzstrafrecht. Eine strafrechtsdogmatische Durchdringung des Berufsaufsichtsrechts fehlt in Gänze, obwohl die Verfolgung der berufsrechtlichen Verstöße nach strafrechtlichen Kriterien erfolgt, vom Anfangsverdacht zur Aufnahme von Ermittlungen, Zurechnung von Handlungen zu Personen und Organisationen bis zu Fragen von Konkurrenzen und Disziplinarmaßnahmenverbrauch. Hinzu kommt, dass die strafrechtlichen Schuldfragen zwar im Kapitalstrafrecht in Wissenschaft und Rechtsprechung intensiv durchdrungen sind, sie aber im Wirtschaftsstraf- und Berufsaufsichtsrecht außerhalb der Steuerhinterziehung nahezu gänzlich fehlen.

Mit dem Berufsaufsichtsverfahren im Wirecard-Fall als erstem Umfangverfahren wird in allen Facetten Neuland beschritten; die Parallelen zum strafrechtlichen Verfahren werden durch die APAS genau beachtet und durch einen ausgewiesenen Experten begleitet.

Zuletzt sei nicht vergessen, dass die Strafprozessordnung im gerichtlichen Berufsaufsichtsverfahren ergänzend anzuwenden ist (vgl. §§ 86 Abs. 2 Satz 2, 127 WPO).

Im Ergebnis lässt sich feststellen, dass die strafrechtsdogmatische Durchdringung des Berufsaufsichtsrecht der Edlen Schweiß wert ist oder anders ausgedrückt: Dissertationen und Habilitationen finden hier ein interessantes wissenschaftlich zu bearbeitendes Feld, das auch im Anschluss praktische Betätigungsmöglichkeiten eröffnet.

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